Schweig doch mit deiner Aufklärung, erwie- derte Nelkron; wenn ich das Wort höre, so fällt mir der Stadt-Rathsherr ein, der ob seinem Glau- ben an diese Aufklärung eine Wette mit einem Schauspieler verlor: er behauptete, seine (nemlich des Rathsherrn seine Stadt) sey zu aufgeklärt, als daß sie ein schlechtes Theaterstück nicht auspfeifen würde. Der Schauspieler erwiederte, die dümmste Harliquinade müsse der Stadt gut genug seyn, und mehr gefallen, als alles, was sie bisher gesehen. --
Der Herr Rathsherr ließ sich in seiner Stadt gegen den Fremden so weit hinab, daß er mit ihm wettete, das sey nicht möglich; und dieser, mit der Zuversicht eines Manns, der in seinem Leben schon durch gar viele Thore hineingegangen, nahm des Rathsherrn Wette an, spielte zwey Stück, und die gute Stadt klatschte dem Narrenstück, und gähnte beym Guten -- so viel ist sich auf ein solches Raths- herren-Vertrauen auf die Aufklärung ihrer Städten und Landen zu verlassen! -- Einen Augenblick dar- auf sagte er noch: die Geschichte der großen Welt, oder vielmehr der großen Städten, beweiset nichts auffallender, als daß dieses Phantom unserer Zeit, so einseitig als sein Vorschritt gelassen wird, so son- derbar als es sich an falsche Begriffe von natürlicher Einheit ankettet, und bey dem sichtbaren Mangel dasselbe auf den wahren Wohlstand des Volks, auf gute, häusliche Sitten, und bürgerliche Weisheit
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Schweig doch mit deiner Aufklaͤrung, erwie- derte Nelkron; wenn ich das Wort hoͤre, ſo faͤllt mir der Stadt-Rathsherr ein, der ob ſeinem Glau- ben an dieſe Aufklaͤrung eine Wette mit einem Schauſpieler verlor: er behauptete, ſeine (nemlich des Rathsherrn ſeine Stadt) ſey zu aufgeklaͤrt, als daß ſie ein ſchlechtes Theaterſtuͤck nicht auspfeifen wuͤrde. Der Schauſpieler erwiederte, die duͤmmſte Harliquinade muͤſſe der Stadt gut genug ſeyn, und mehr gefallen, als alles, was ſie bisher geſehen. —
Der Herr Rathsherr ließ ſich in ſeiner Stadt gegen den Fremden ſo weit hinab, daß er mit ihm wettete, das ſey nicht moͤglich; und dieſer, mit der Zuverſicht eines Manns, der in ſeinem Leben ſchon durch gar viele Thore hineingegangen, nahm des Rathsherrn Wette an, ſpielte zwey Stuͤck, und die gute Stadt klatſchte dem Narrenſtuͤck, und gaͤhnte beym Guten — ſo viel iſt ſich auf ein ſolches Raths- herren-Vertrauen auf die Aufklaͤrung ihrer Staͤdten und Landen zu verlaſſen! — Einen Augenblick dar- auf ſagte er noch: die Geſchichte der großen Welt, oder vielmehr der großen Staͤdten, beweiſet nichts auffallender, als daß dieſes Phantom unſerer Zeit, ſo einſeitig als ſein Vorſchritt gelaſſen wird, ſo ſon- derbar als es ſich an falſche Begriffe von natuͤrlicher Einheit ankettet, und bey dem ſichtbaren Mangel daſſelbe auf den wahren Wohlſtand des Volks, auf gute, haͤusliche Sitten, und buͤrgerliche Weisheit
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Schweig doch mit deiner Aufklaͤrung, erwie-
derte Nelkron; wenn ich das Wort hoͤre, ſo faͤllt
mir der Stadt-Rathsherr ein, der ob ſeinem Glau-
ben an dieſe Aufklaͤrung eine Wette mit einem
Schauſpieler verlor: er behauptete, ſeine (nemlich
des Rathsherrn ſeine Stadt) ſey zu aufgeklaͤrt, als
daß ſie ein ſchlechtes Theaterſtuͤck nicht auspfeifen
wuͤrde. Der Schauſpieler erwiederte, die duͤmmſte
Harliquinade muͤſſe der Stadt gut genug ſeyn, und
mehr gefallen, als alles, was ſie bisher geſehen. —
Der Herr Rathsherr ließ ſich in ſeiner Stadt
gegen den Fremden ſo weit hinab, daß er mit ihm
wettete, das ſey nicht moͤglich; und dieſer, mit der
Zuverſicht eines Manns, der in ſeinem Leben ſchon
durch gar viele Thore hineingegangen, nahm des
Rathsherrn Wette an, ſpielte zwey Stuͤck, und die
gute Stadt klatſchte dem Narrenſtuͤck, und gaͤhnte
beym Guten — ſo viel iſt ſich auf ein ſolches Raths-
herren-Vertrauen auf die Aufklaͤrung ihrer Staͤdten
und Landen zu verlaſſen! — Einen Augenblick dar-
auf ſagte er noch: die Geſchichte der großen Welt,
oder vielmehr der großen Staͤdten, beweiſet nichts
auffallender, als daß dieſes Phantom unſerer Zeit,
ſo einſeitig als ſein Vorſchritt gelaſſen wird, ſo ſon-
derbar als es ſich an falſche Begriffe von natuͤrlicher
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/425>, abgerufen am 21.11.2024.
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