Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Frage verwirrte den Geistlichen; er wollte
von dem reden was er meyne, und nicht von dem
was er thue; dennoch erholte er sich, und sagte,
Ihr Durchlaucht! er hat die Christenlehre kürzer
gemacht. --

Fürst. Das mag nicht übel seyn. --

Priester. Und sein Pfarrer predigt wenn er
will, und wenn er nicht will, so läßt er es gelten.

Fürst. Nun -- wenn er es nur dann gut
macht! --

Priester. Es ist doch keine Ordnung, Ihr
Durchlaucht! so wenig, als daß er während der
Predigt mit seinen Leuten redt, und sie fragt, ob
alles daheim gesund sey? und der Großvater und die
Großmutter diese Nacht wohl geschlafen haben? --

Der Fürst lachte, und sagte, aber das ist doch
nicht den Herrn der Herrlichkeit gekreuziget? --

Priester. Ja -- ich vergaß mich fast, Ihr
Durchlaucht! man hört die Hauptlehren des Chri-
stenthums, und das Wort Jesus und Heiland manch-
mal in einer ganzen Predigt, kein einzigesmal aus
seinem Munde. --

Fürst. Das thut ja nicht er, sondern sein Pfar-
rer -- und auch das ist nicht den Herrn der Herr-
lichkeit gekreuziget. --

Hier wollte der Priester desserrieren, aber der
Herzog sagte ihm, er solle schweigen, das Ueber-

Die Frage verwirrte den Geiſtlichen; er wollte
von dem reden was er meyne, und nicht von dem
was er thue; dennoch erholte er ſich, und ſagte,
Ihr Durchlaucht! er hat die Chriſtenlehre kuͤrzer
gemacht. —

Fuͤrſt. Das mag nicht uͤbel ſeyn. —

Prieſter. Und ſein Pfarrer predigt wenn er
will, und wenn er nicht will, ſo laͤßt er es gelten.

Fuͤrſt. Nun — wenn er es nur dann gut
macht! —

Prieſter. Es iſt doch keine Ordnung, Ihr
Durchlaucht! ſo wenig, als daß er waͤhrend der
Predigt mit ſeinen Leuten redt, und ſie fragt, ob
alles daheim geſund ſey? und der Großvater und die
Großmutter dieſe Nacht wohl geſchlafen haben? —

Der Fuͤrſt lachte, und ſagte, aber das iſt doch
nicht den Herrn der Herrlichkeit gekreuziget? —

Prieſter. Ja — ich vergaß mich faſt, Ihr
Durchlaucht! man hoͤrt die Hauptlehren des Chri-
ſtenthums, und das Wort Jeſus und Heiland manch-
mal in einer ganzen Predigt, kein einzigesmal aus
ſeinem Munde. —

Fuͤrſt. Das thut ja nicht er, ſondern ſein Pfar-
rer — und auch das iſt nicht den Herrn der Herr-
lichkeit gekreuziget. —

Hier wollte der Prieſter deſſerrieren, aber der
Herzog ſagte ihm, er ſolle ſchweigen, das Ueber-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0454" n="436"/>
        <p>Die Frage verwirrte den Gei&#x017F;tlichen; er wollte<lb/>
von dem reden was er meyne, und nicht von dem<lb/>
was er thue; dennoch erholte er &#x017F;ich, und &#x017F;agte,<lb/>
Ihr Durchlaucht! er hat die Chri&#x017F;tenlehre ku&#x0364;rzer<lb/>
gemacht. &#x2014;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Fu&#x0364;r&#x017F;t</hi>. Das mag nicht u&#x0364;bel &#x017F;eyn. &#x2014;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Prie&#x017F;ter</hi>. Und &#x017F;ein Pfarrer predigt wenn er<lb/>
will, und wenn er nicht will, &#x017F;o la&#x0364;ßt er es gelten.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Fu&#x0364;r&#x017F;t</hi>. Nun &#x2014; wenn er es nur dann gut<lb/>
macht! &#x2014;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Prie&#x017F;ter</hi>. Es i&#x017F;t doch keine Ordnung, Ihr<lb/>
Durchlaucht! &#x017F;o wenig, als daß er wa&#x0364;hrend der<lb/>
Predigt mit &#x017F;einen Leuten redt, und &#x017F;ie fragt, ob<lb/>
alles daheim ge&#x017F;und &#x017F;ey? und der Großvater und die<lb/>
Großmutter die&#x017F;e Nacht wohl ge&#x017F;chlafen haben? &#x2014;</p><lb/>
        <p>Der Fu&#x0364;r&#x017F;t lachte, und &#x017F;agte, aber das i&#x017F;t doch<lb/>
nicht den Herrn der Herrlichkeit gekreuziget? &#x2014;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Prie&#x017F;ter</hi>. Ja &#x2014; ich vergaß mich fa&#x017F;t, Ihr<lb/>
Durchlaucht! man ho&#x0364;rt die Hauptlehren des Chri-<lb/>
&#x017F;tenthums, und das Wort Je&#x017F;us und Heiland manch-<lb/>
mal in einer ganzen Predigt, kein einzigesmal aus<lb/>
&#x017F;einem Munde. &#x2014;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Fu&#x0364;r&#x017F;t</hi>. Das thut ja nicht er, &#x017F;ondern &#x017F;ein Pfar-<lb/>
rer &#x2014; und auch das i&#x017F;t nicht den Herrn der Herr-<lb/>
lichkeit gekreuziget. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Hier wollte der Prie&#x017F;ter de&#x017F;&#x017F;errieren, aber der<lb/>
Herzog &#x017F;agte ihm, er &#x017F;olle &#x017F;chweigen, das Ueber-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[436/0454] Die Frage verwirrte den Geiſtlichen; er wollte von dem reden was er meyne, und nicht von dem was er thue; dennoch erholte er ſich, und ſagte, Ihr Durchlaucht! er hat die Chriſtenlehre kuͤrzer gemacht. — Fuͤrſt. Das mag nicht uͤbel ſeyn. — Prieſter. Und ſein Pfarrer predigt wenn er will, und wenn er nicht will, ſo laͤßt er es gelten. Fuͤrſt. Nun — wenn er es nur dann gut macht! — Prieſter. Es iſt doch keine Ordnung, Ihr Durchlaucht! ſo wenig, als daß er waͤhrend der Predigt mit ſeinen Leuten redt, und ſie fragt, ob alles daheim geſund ſey? und der Großvater und die Großmutter dieſe Nacht wohl geſchlafen haben? — Der Fuͤrſt lachte, und ſagte, aber das iſt doch nicht den Herrn der Herrlichkeit gekreuziget? — Prieſter. Ja — ich vergaß mich faſt, Ihr Durchlaucht! man hoͤrt die Hauptlehren des Chri- ſtenthums, und das Wort Jeſus und Heiland manch- mal in einer ganzen Predigt, kein einzigesmal aus ſeinem Munde. — Fuͤrſt. Das thut ja nicht er, ſondern ſein Pfar- rer — und auch das iſt nicht den Herrn der Herr- lichkeit gekreuziget. — Hier wollte der Prieſter deſſerrieren, aber der Herzog ſagte ihm, er ſolle ſchweigen, das Ueber-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/454
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/454>, abgerufen am 22.11.2024.