Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

Bild:
<< vorherige Seite


hungen des Staats, das Volk im Ganzen seiner
Bildung, in einem solchen Grad auf das Irrdische
aufmerksam zu machen, als es zur Erzielung der
Kräften, die dem Menschen zur Selbsterhaltung
und Vorsorge in seiner bestimmten Lage erforderlich
sind, nothwendig ist, nicht mißbilligen.

Aber es ist unmö[g]lich, den Schlendrian der
Geistlichkeit über diesem Punkt zu festen, heitern,
praktisch sichern Begri[ff]en empor zu heben. Es lie-
gen in ihren Umständ[e]n und in ihrer Bildung zu
viele Reize, ihre Aufm[e]rksamkeit von dem Grad der
Kraft für das Irrdische, welche in die innerste
Stimmung des Volks muß hineingebracht werden,
abzulenken, wenn dasselbe in den ersten Bedürfnissen
des Lebens, auf deren Befriedigung im Allgemeinen
alles andere ruhet, nicht verwahrloset seyn soll.

Es war umsonst, der einte Geistliche konnte
nicht rechnen, hingegen unendlich reden; er hatte in
seinem Leben noch nie nachgegeben, wenn er etwas
behauptete, und sagte izt hinter allem diesem noch,
eine solche für das Irrdische aufmerksame Volksstim-
mung könnte nicht anderst als der Religion gefähr-
lich seyn.

Wohlehrwürdiger Herr! erwiederte der Lieute-
nant, die Erfahrung zeigt, daß nichts so sehr die
Menschen von Gott und allem Guten wegbringt, als
wenn sie sich selbst und die Ihrigen nicht versorgen
können.

Ff 3


hungen des Staats, das Volk im Ganzen ſeiner
Bildung, in einem ſolchen Grad auf das Irrdiſche
aufmerkſam zu machen, als es zur Erzielung der
Kraͤften, die dem Menſchen zur Selbſterhaltung
und Vorſorge in ſeiner beſtimmten Lage erforderlich
ſind, nothwendig iſt, nicht mißbilligen.

Aber es iſt unmoͤ[g]lich, den Schlendrian der
Geiſtlichkeit uͤber dieſem Punkt zu feſten, heitern,
praktiſch ſichern Begri[ff]en empor zu heben. Es lie-
gen in ihren Umſtaͤnd[e]n und in ihrer Bildung zu
viele Reize, ihre Aufm[e]rkſamkeit von dem Grad der
Kraft fuͤr das Irrdiſche, welche in die innerſte
Stimmung des Volks muß hineingebracht werden,
abzulenken, wenn daſſelbe in den erſten Beduͤrfniſſen
des Lebens, auf deren Befriedigung im Allgemeinen
alles andere ruhet, nicht verwahrloſet ſeyn ſoll.

Es war umſonſt, der einte Geiſtliche konnte
nicht rechnen, hingegen unendlich reden; er hatte in
ſeinem Leben noch nie nachgegeben, wenn er etwas
behauptete, und ſagte izt hinter allem dieſem noch,
eine ſolche fuͤr das Irrdiſche aufmerkſame Volksſtim-
mung koͤnnte nicht anderſt als der Religion gefaͤhr-
lich ſeyn.

Wohlehrwuͤrdiger Herr! erwiederte der Lieute-
nant, die Erfahrung zeigt, daß nichts ſo ſehr die
Menſchen von Gott und allem Guten wegbringt, als
wenn ſie ſich ſelbſt und die Ihrigen nicht verſorgen
koͤnnen.

Ff 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0471" n="453"/><lb/>
hungen des Staats, das Volk im Ganzen &#x017F;einer<lb/>
Bildung, in einem &#x017F;olchen Grad auf das Irrdi&#x017F;che<lb/>
aufmerk&#x017F;am zu machen, als es zur Erzielung der<lb/>
Kra&#x0364;ften, die dem Men&#x017F;chen zur Selb&#x017F;terhaltung<lb/>
und Vor&#x017F;orge in &#x017F;einer be&#x017F;timmten Lage erforderlich<lb/>
&#x017F;ind, nothwendig i&#x017F;t, nicht mißbilligen.</p><lb/>
        <p>Aber es i&#x017F;t unmo&#x0364;<supplied>g</supplied>lich, den Schlendrian der<lb/>
Gei&#x017F;tlichkeit u&#x0364;ber die&#x017F;em Punkt zu fe&#x017F;ten, heitern,<lb/>
prakti&#x017F;ch &#x017F;ichern Begri<supplied>ff</supplied>en empor zu heben. Es lie-<lb/>
gen in ihren Um&#x017F;ta&#x0364;nd<supplied>e</supplied>n und in ihrer Bildung zu<lb/>
viele Reize, ihre Aufm<supplied>e</supplied>rk&#x017F;amkeit von dem Grad der<lb/>
Kraft fu&#x0364;r das Irrdi&#x017F;che, welche in die inner&#x017F;te<lb/>
Stimmung des Volks muß hineingebracht werden,<lb/>
abzulenken, wenn da&#x017F;&#x017F;elbe in den er&#x017F;ten Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;en<lb/>
des Lebens, auf deren Befriedigung im Allgemeinen<lb/>
alles andere ruhet, nicht verwahrlo&#x017F;et &#x017F;eyn &#x017F;oll.</p><lb/>
        <p>Es war um&#x017F;on&#x017F;t, der einte Gei&#x017F;tliche konnte<lb/>
nicht rechnen, hingegen unendlich reden; er hatte in<lb/>
&#x017F;einem Leben noch nie nachgegeben, wenn er etwas<lb/>
behauptete, und &#x017F;agte izt hinter allem die&#x017F;em noch,<lb/>
eine &#x017F;olche fu&#x0364;r das Irrdi&#x017F;che aufmerk&#x017F;ame Volks&#x017F;tim-<lb/>
mung ko&#x0364;nnte nicht ander&#x017F;t als der Religion gefa&#x0364;hr-<lb/>
lich &#x017F;eyn.</p><lb/>
        <p>Wohlehrwu&#x0364;rdiger Herr! erwiederte der Lieute-<lb/>
nant, die Erfahrung zeigt, daß nichts &#x017F;o &#x017F;ehr die<lb/>
Men&#x017F;chen von Gott und allem Guten wegbringt, als<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und die Ihrigen nicht ver&#x017F;orgen<lb/>
ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">Ff 3</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[453/0471] hungen des Staats, das Volk im Ganzen ſeiner Bildung, in einem ſolchen Grad auf das Irrdiſche aufmerkſam zu machen, als es zur Erzielung der Kraͤften, die dem Menſchen zur Selbſterhaltung und Vorſorge in ſeiner beſtimmten Lage erforderlich ſind, nothwendig iſt, nicht mißbilligen. Aber es iſt unmoͤglich, den Schlendrian der Geiſtlichkeit uͤber dieſem Punkt zu feſten, heitern, praktiſch ſichern Begriffen empor zu heben. Es lie- gen in ihren Umſtaͤnden und in ihrer Bildung zu viele Reize, ihre Aufmerkſamkeit von dem Grad der Kraft fuͤr das Irrdiſche, welche in die innerſte Stimmung des Volks muß hineingebracht werden, abzulenken, wenn daſſelbe in den erſten Beduͤrfniſſen des Lebens, auf deren Befriedigung im Allgemeinen alles andere ruhet, nicht verwahrloſet ſeyn ſoll. Es war umſonſt, der einte Geiſtliche konnte nicht rechnen, hingegen unendlich reden; er hatte in ſeinem Leben noch nie nachgegeben, wenn er etwas behauptete, und ſagte izt hinter allem dieſem noch, eine ſolche fuͤr das Irrdiſche aufmerkſame Volksſtim- mung koͤnnte nicht anderſt als der Religion gefaͤhr- lich ſeyn. Wohlehrwuͤrdiger Herr! erwiederte der Lieute- nant, die Erfahrung zeigt, daß nichts ſo ſehr die Menſchen von Gott und allem Guten wegbringt, als wenn ſie ſich ſelbſt und die Ihrigen nicht verſorgen koͤnnen. Ff 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/471
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/471>, abgerufen am 02.06.2024.