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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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Aber hingegen der andere Geistliche, der fast
nichts redete, kam wirklich unter diesem Gespräch
dahin, zu fühlen, daß die äußere Form der Chri-
stenlehre, in Rücksicht auf den Einfluß, den ihr
wissenschaftlicher Zuschnitt auf die Volksstimmung
habe, einee allgemeinen Revision bedürfe; sondierte
nach seiner Art das Volk in Bonnal wie ein Spion,
ob es auch wirklich an den Heiland glaube, oder
nur diesen Herren anhange -- die es im Zeitlichen
versorgen? Und fragte, seiner Meynung zum Vor-
aus sicher, neben dem Lieutenant zu ein Kind in der
Schule, ob ihm der Heiland mehr lieb sey als der
Schulmeister? --

Ja freylich, sagte das Kind.

Warum doch das? sagte der Mann, und meyn-
te es könnte nun izt nichts mehr antworten, und
wäre froh gewesen, denn seine Antwort war ihm
schon zum Voraus gerüstet -- siehest du, gutes Kind!
du weißt nicht so viel vom lieben Heiland als vom Hr.
Schulmeister, darum kann er dir auch nicht so lieb
seyn, wenn du es schon sagst und es vielleicht
meynst. --

Aber der Seitensprung zur Ehre des Heilands
gerieth ihm nicht. -- Das Kind antwortete --

Wenn der Herr Schulmeister noch so gut ist,
er ließe sich doch keinen Nagel durch die Hand schla-
gen um ander Leute willen. --

Aber hingegen der andere Geiſtliche, der faſt
nichts redete, kam wirklich unter dieſem Geſpraͤch
dahin, zu fuͤhlen, daß die aͤußere Form der Chri-
ſtenlehre, in Ruͤckſicht auf den Einfluß, den ihr
wiſſenſchaftlicher Zuſchnitt auf die Volksſtimmung
habe, einee allgemeinen Reviſion beduͤrfe; ſondierte
nach ſeiner Art das Volk in Bonnal wie ein Spion,
ob es auch wirklich an den Heiland glaube, oder
nur dieſen Herren anhange — die es im Zeitlichen
verſorgen? Und fragte, ſeiner Meynung zum Vor-
aus ſicher, neben dem Lieutenant zu ein Kind in der
Schule, ob ihm der Heiland mehr lieb ſey als der
Schulmeiſter? —

Ja freylich, ſagte das Kind.

Warum doch das? ſagte der Mann, und meyn-
te es koͤnnte nun izt nichts mehr antworten, und
waͤre froh geweſen, denn ſeine Antwort war ihm
ſchon zum Voraus geruͤſtet — ſieheſt du, gutes Kind!
du weißt nicht ſo viel vom lieben Heiland als vom Hr.
Schulmeiſter, darum kann er dir auch nicht ſo lieb
ſeyn, wenn du es ſchon ſagſt und es vielleicht
meynſt. —

Aber der Seitenſprung zur Ehre des Heilands
gerieth ihm nicht. — Das Kind antwortete —

Wenn der Herr Schulmeiſter noch ſo gut iſt,
er ließe ſich doch keinen Nagel durch die Hand ſchla-
gen um ander Leute willen. —

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[458/0476] Aber hingegen der andere Geiſtliche, der faſt nichts redete, kam wirklich unter dieſem Geſpraͤch dahin, zu fuͤhlen, daß die aͤußere Form der Chri- ſtenlehre, in Ruͤckſicht auf den Einfluß, den ihr wiſſenſchaftlicher Zuſchnitt auf die Volksſtimmung habe, einee allgemeinen Reviſion beduͤrfe; ſondierte nach ſeiner Art das Volk in Bonnal wie ein Spion, ob es auch wirklich an den Heiland glaube, oder nur dieſen Herren anhange — die es im Zeitlichen verſorgen? Und fragte, ſeiner Meynung zum Vor- aus ſicher, neben dem Lieutenant zu ein Kind in der Schule, ob ihm der Heiland mehr lieb ſey als der Schulmeiſter? — Ja freylich, ſagte das Kind. Warum doch das? ſagte der Mann, und meyn- te es koͤnnte nun izt nichts mehr antworten, und waͤre froh geweſen, denn ſeine Antwort war ihm ſchon zum Voraus geruͤſtet — ſieheſt du, gutes Kind! du weißt nicht ſo viel vom lieben Heiland als vom Hr. Schulmeiſter, darum kann er dir auch nicht ſo lieb ſeyn, wenn du es ſchon ſagſt und es vielleicht meynſt. — Aber der Seitenſprung zur Ehre des Heilands gerieth ihm nicht. — Das Kind antwortete — Wenn der Herr Schulmeiſter noch ſo gut iſt, er ließe ſich doch keinen Nagel durch die Hand ſchla- gen um ander Leute willen. —

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/476>, abgerufen am 24.11.2024.