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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787.

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Erlauben Ihr Durchlaucht! erwiederte der
Lieutenant, der Mensch in der Tiefe wird so un-
sinnig verwahrloset, und so gewaltsam vertreten,
daß die besten Anlagen seiner Natur, das Gefühl
seines Werths, die bestimmten Vorzüge seiner Kräf-
ten, und das dringende Bedürfniß der Anwen-
dung seiner Anlagen ihn in unendlich vielen Fäl-
len fast nothwendig zum Verbrecher machen.

Auch findet man in Zuchthäusern und Ge-
fängnissen beständig eine Menge Menschen, die ein
besseres Schicksal verdient hätten, und die auch
izt noch, was sie unter andern Umständen weit mehr
gewesen wären, der menschlichen Gesellschaft von
wesentlichem Nutzen seyn können, wenn man im
Stand ist, sie dazu zu gebrauchen. -- Diese Leute
besitzen einen solchen Grad von Lokalkenntnissen im
Land, und Fertigkeiten sich an Ort und Stelle
Einfluß zu verschaffen, -- sie kennen so genau den
Zustand des Volks, und die nächsten Quellen ih-
rer Verbrechen, die ersten Hindernisse des Guten,
-- sie wissen so wie Niemand, was alles dem
guten Willen der Regierung in der Tiefe des Volks
entgegen stehet, an Ort und Stelle an den Fingern
abzuzählen, und was sie bey der untersten Hefen
des Menschengeschlechts im Stand sind auszurich-
ten, das bessere Menschen bey ihnen nie ausrich-
ten werden. Man lehre sie in ihren Stockhäusern

Erlauben Ihr Durchlaucht! erwiederte der
Lieutenant, der Menſch in der Tiefe wird ſo un-
ſinnig verwahrloſet, und ſo gewaltſam vertreten,
daß die beſten Anlagen ſeiner Natur, das Gefuͤhl
ſeines Werths, die beſtimmten Vorzuͤge ſeiner Kraͤf-
ten, und das dringende Beduͤrfniß der Anwen-
dung ſeiner Anlagen ihn in unendlich vielen Faͤl-
len faſt nothwendig zum Verbrecher machen.

Auch findet man in Zuchthaͤuſern und Ge-
faͤngniſſen beſtaͤndig eine Menge Menſchen, die ein
beſſeres Schickſal verdient haͤtten, und die auch
izt noch, was ſie unter andern Umſtaͤnden weit mehr
geweſen waͤren, der menſchlichen Geſellſchaft von
weſentlichem Nutzen ſeyn koͤnnen, wenn man im
Stand iſt, ſie dazu zu gebrauchen. — Dieſe Leute
beſitzen einen ſolchen Grad von Lokalkenntniſſen im
Land, und Fertigkeiten ſich an Ort und Stelle
Einfluß zu verſchaffen, — ſie kennen ſo genau den
Zuſtand des Volks, und die naͤchſten Quellen ih-
rer Verbrechen, die erſten Hinderniſſe des Guten,
— ſie wiſſen ſo wie Niemand, was alles dem
guten Willen der Regierung in der Tiefe des Volks
entgegen ſtehet, an Ort und Stelle an den Fingern
abzuzaͤhlen, und was ſie bey der unterſten Hefen
des Menſchengeſchlechts im Stand ſind auszurich-
ten, das beſſere Menſchen bey ihnen nie ausrich-
ten werden. Man lehre ſie in ihren Stockhaͤuſern

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[474/0492] Erlauben Ihr Durchlaucht! erwiederte der Lieutenant, der Menſch in der Tiefe wird ſo un- ſinnig verwahrloſet, und ſo gewaltſam vertreten, daß die beſten Anlagen ſeiner Natur, das Gefuͤhl ſeines Werths, die beſtimmten Vorzuͤge ſeiner Kraͤf- ten, und das dringende Beduͤrfniß der Anwen- dung ſeiner Anlagen ihn in unendlich vielen Faͤl- len faſt nothwendig zum Verbrecher machen. Auch findet man in Zuchthaͤuſern und Ge- faͤngniſſen beſtaͤndig eine Menge Menſchen, die ein beſſeres Schickſal verdient haͤtten, und die auch izt noch, was ſie unter andern Umſtaͤnden weit mehr geweſen waͤren, der menſchlichen Geſellſchaft von weſentlichem Nutzen ſeyn koͤnnen, wenn man im Stand iſt, ſie dazu zu gebrauchen. — Dieſe Leute beſitzen einen ſolchen Grad von Lokalkenntniſſen im Land, und Fertigkeiten ſich an Ort und Stelle Einfluß zu verſchaffen, — ſie kennen ſo genau den Zuſtand des Volks, und die naͤchſten Quellen ih- rer Verbrechen, die erſten Hinderniſſe des Guten, — ſie wiſſen ſo wie Niemand, was alles dem guten Willen der Regierung in der Tiefe des Volks entgegen ſtehet, an Ort und Stelle an den Fingern abzuzaͤhlen, und was ſie bey der unterſten Hefen des Menſchengeſchlechts im Stand ſind auszurich- ten, das beſſere Menſchen bey ihnen nie ausrich- ten werden. Man lehre ſie in ihren Stockhaͤuſern

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 4. Frankfurt (Main) u. a., 1787, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard04_1787/492>, abgerufen am 24.11.2024.