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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Kampf der Ideen auffaßt und mit einer nach Gestaltung drängenden ppe_131.002
Spannung in sich trägt; sie ist episch, wenn sie in ruhiger Schau die ppe_131.003
Entwicklung der Gegensätze in äußerem Geschehen sich entfalten ppe_131.004
und zur Auseinandersetzung kommen läßt; sie ist lyrisch, wenn sie ppe_131.005
in Abkehr vom äußeren Geschehen sich nach innen wendet, um Freud ppe_131.006
und Leid dieser Welt nur in Beziehung auf das eigene Ich oder in ppe_131.007
Sympathie mit einem Du oder im Gemeinschaftsgefühl eines Wir als ppe_131.008
Spiegelung in beseelten Sinnbildern und Gleichnissen zu erleben.

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Reine Lyrik wird es weder zu tragischen noch (von ungewollten ppe_131.010
Eindrücken abgesehen) zu komischen Wirkungen bringen, sondern ppe_131.011
höchstens den Atem eines humorvollen Lebensgefühls ausströmen; ppe_131.012
aber Drama sowohl als Epos ziehen zur Verstärkung ihrer tragischen ppe_131.013
und komischen Wirkungen Elemente der Lyrik heran in den Beziehungen ppe_131.014
zur Natur, in der Wahl landschaftlicher Hintergründe, in ppe_131.015
der Symbolik der Tages- und Jahreszeiten, des Lichtes und der Finsternis, ppe_131.016
in den Formen sprachlicher Musik, kurz in allen die Empfindung ppe_131.017
ansprechenden Mitteln der Stimmungserregung. Lyrik ist Stimmung ppe_131.018
schlechthin, so wie sie in ihrer Stofflosigkeit auf unmittelbarem ppe_131.019
Erlebnis beruht, während der Epiker und der Dramatiker die Gelegenheit ppe_131.020
zu ihren tragischen und komischen Wirkungsmöglichkeiten bereits ppe_131.021
im Leben selbst, das ihnen Stoff geworden ist, oder im überlieferten ppe_131.022
Stoff, der ihnen das Leben darstellte, gefunden haben.

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c) Situation

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Als Darstellung seelischer Zustände ist alle Lyrik aus einer ppe_131.025
Situation, in der der Dichter sich befindet oder in die er sich einfühlt, ppe_131.026
herausentwickelt. Landschaftsstimmung kann seine Seelenlage ppe_131.027
symbolisieren ("Im Felde schleich ich still und mild"); die Erinnerung ppe_131.028
kann zu früheren Zuständen zurückführen ("Ich träume als ppe_131.029
Kind mich zurücke"); es kann eine Kontrastierung von Situationen ppe_131.030
sein (Als ich Abschied nahm ... Als ich wiederkam); es kann ein ppe_131.031
Gegenüber angerufen werden, sei es das eigene Ich ("So mußt du sein, ppe_131.032
dir kannst du nicht entfliehen"), sei es ein leibhaftiges Du ("Du bist ppe_131.033
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wieder Busch und Tal"), eine Vision ("Zum erstenmal seh ich dich ppe_131.035
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mein"), oder eine größere Gemeinschaft sich zusammengefunden haben ppe_131.039
("Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun"); es kann im Rollenlied

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Als Darstellung seelischer Zustände ist alle Lyrik aus einer ppe_131.025
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[131/0155] ppe_131.001 Kampf der Ideen auffaßt und mit einer nach Gestaltung drängenden ppe_131.002 Spannung in sich trägt; sie ist episch, wenn sie in ruhiger Schau die ppe_131.003 Entwicklung der Gegensätze in äußerem Geschehen sich entfalten ppe_131.004 und zur Auseinandersetzung kommen läßt; sie ist lyrisch, wenn sie ppe_131.005 in Abkehr vom äußeren Geschehen sich nach innen wendet, um Freud ppe_131.006 und Leid dieser Welt nur in Beziehung auf das eigene Ich oder in ppe_131.007 Sympathie mit einem Du oder im Gemeinschaftsgefühl eines Wir als ppe_131.008 Spiegelung in beseelten Sinnbildern und Gleichnissen zu erleben. ppe_131.009 Reine Lyrik wird es weder zu tragischen noch (von ungewollten ppe_131.010 Eindrücken abgesehen) zu komischen Wirkungen bringen, sondern ppe_131.011 höchstens den Atem eines humorvollen Lebensgefühls ausströmen; ppe_131.012 aber Drama sowohl als Epos ziehen zur Verstärkung ihrer tragischen ppe_131.013 und komischen Wirkungen Elemente der Lyrik heran in den Beziehungen ppe_131.014 zur Natur, in der Wahl landschaftlicher Hintergründe, in ppe_131.015 der Symbolik der Tages- und Jahreszeiten, des Lichtes und der Finsternis, ppe_131.016 in den Formen sprachlicher Musik, kurz in allen die Empfindung ppe_131.017 ansprechenden Mitteln der Stimmungserregung. Lyrik ist Stimmung ppe_131.018 schlechthin, so wie sie in ihrer Stofflosigkeit auf unmittelbarem ppe_131.019 Erlebnis beruht, während der Epiker und der Dramatiker die Gelegenheit ppe_131.020 zu ihren tragischen und komischen Wirkungsmöglichkeiten bereits ppe_131.021 im Leben selbst, das ihnen Stoff geworden ist, oder im überlieferten ppe_131.022 Stoff, der ihnen das Leben darstellte, gefunden haben. ppe_131.023 c) Situation ppe_131.024 Als Darstellung seelischer Zustände ist alle Lyrik aus einer ppe_131.025 Situation, in der der Dichter sich befindet oder in die er sich einfühlt, ppe_131.026 herausentwickelt. Landschaftsstimmung kann seine Seelenlage ppe_131.027 symbolisieren („Im Felde schleich ich still und mild“); die Erinnerung ppe_131.028 kann zu früheren Zuständen zurückführen („Ich träume als ppe_131.029 Kind mich zurücke“); es kann eine Kontrastierung von Situationen ppe_131.030 sein (Als ich Abschied nahm ... Als ich wiederkam); es kann ein ppe_131.031 Gegenüber angerufen werden, sei es das eigene Ich („So mußt du sein, ppe_131.032 dir kannst du nicht entfliehen“), sei es ein leibhaftiges Du („Du bist ppe_131.033 die Ruh, der Friede mild“) oder eine Naturerscheinung („Füllest ppe_131.034 wieder Busch und Tal“), eine Vision („Zum erstenmal seh ich dich ppe_131.035 auferstehn, Hörengesagter, fernster, unglaublicher Kriegsgott“) oder ppe_131.036 eine Personifikation („Freude, schöner Götterfunken“); es kann eine ppe_131.037 Vereinigung des Ich und Du hergestellt sein („Ih bin dîn, du bist ppe_131.038 mîn“), oder eine größere Gemeinschaft sich zusammengefunden haben ppe_131.039 („Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun“); es kann im Rollenlied

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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/155>, abgerufen am 24.11.2024.