Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.ppe_234.001 Dagegen beginnt das Gedicht "Vermächtnis" mit dem klar formulierten ppe_234.002 Kein Wesen kann zu nichts zerfallen. ppe_234.004Das ist keine aufhebende Selbstberichtigung; beides ist Bekenntnis ppe_234.005 Immer hab' ich nur geschrieben, ppe_234.009 Wie ich's fühle, wie ich's meine, ppe_234.010 Und so spalt' ich mich, ihr Lieben, ppe_234.011 Und bin immerfort der Eine. ppe_234.012 Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen? ppe_234.017 ppe_234.032Was ist die Welt und ihre ganze Pracht? ppe_234.018 Ein schnöder Schein in kurzgefaßten Grenzen, ppe_234.019 Ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht; ppe_234.020 Ein buntes Feld, da Kummerdisteln grünen, ppe_234.021 Ein schön Spital, so voller Krankheit steckt. ppe_234.022 Ein Sklavenhaus, da alle Menschen dienen, ppe_234.023 Ein faules Grab, so Alabaster deckt. ppe_234.024 Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen, ppe_234.025 Und was das Fleisch für einen Abgott hält. ppe_234.026 Komm Seele, komm, und lerne weiter schauen, ppe_234.027 Als sich erstreckt der Zirkel dieser Welt. ppe_234.028 Streich ab von dir derselben kurzes Prangen, ppe_234.029 Halt ihre Lust für eine schwere Last, ppe_234.030 So wirst du leicht in diesen Port gelangen, ppe_234.031 Da Ewigkeit und Schönheit sich umfaßt. Man wird an allen Stilmerkmalen, vor allem an den gehäuften Antithesen, ppe_234.033 ppe_234.001 Dagegen beginnt das Gedicht „Vermächtnis“ mit dem klar formulierten ppe_234.002 Kein Wesen kann zu nichts zerfallen. ppe_234.004Das ist keine aufhebende Selbstberichtigung; beides ist Bekenntnis ppe_234.005 Immer hab' ich nur geschrieben, ppe_234.009 Wie ich's fühle, wie ich's meine, ppe_234.010 Und so spalt' ich mich, ihr Lieben, ppe_234.011 Und bin immerfort der Eine. ppe_234.012 Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen? ppe_234.017 ppe_234.032Was ist die Welt und ihre ganze Pracht? ppe_234.018 Ein schnöder Schein in kurzgefaßten Grenzen, ppe_234.019 Ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht; ppe_234.020 Ein buntes Feld, da Kummerdisteln grünen, ppe_234.021 Ein schön Spital, so voller Krankheit steckt. ppe_234.022 Ein Sklavenhaus, da alle Menschen dienen, ppe_234.023 Ein faules Grab, so Alabaster deckt. ppe_234.024 Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen, ppe_234.025 Und was das Fleisch für einen Abgott hält. ppe_234.026 Komm Seele, komm, und lerne weiter schauen, ppe_234.027 Als sich erstreckt der Zirkel dieser Welt. ppe_234.028 Streich ab von dir derselben kurzes Prangen, ppe_234.029 Halt ihre Lust für eine schwere Last, ppe_234.030 So wirst du leicht in diesen Port gelangen, ppe_234.031 Da Ewigkeit und Schönheit sich umfaßt. 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Von den Widersprüchen gilt, was der Dichter <lb n="ppe_234.007"/> zu ihrer Rechtfertigung ausspricht:</p> <lb n="ppe_234.008"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Immer hab' ich nur geschrieben, <lb n="ppe_234.009"/> Wie ich's fühle, wie ich's meine, <lb n="ppe_234.010"/> Und so spalt' ich mich, ihr Lieben, <lb n="ppe_234.011"/> Und bin immerfort der Eine.</hi> </l> </lg> <p><lb n="ppe_234.012"/> Im Gegensatz zu dieser vielfältigen, universellen Einheit muß für <lb n="ppe_234.013"/> manchen anderen Dichter bei der weltanschaulichen Haltung, die er <lb n="ppe_234.014"/> einnimmt, die Frage nach der Echtheit gestellt werden. Es gibt ein <lb n="ppe_234.015"/> Gedicht, das die Überschrift „Die Welt“ trägt:</p> <lb n="ppe_234.016"/> <lg> <l> <hi rendition="#aq">Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen? <lb n="ppe_234.017"/> Was ist die Welt und ihre ganze Pracht? <lb n="ppe_234.018"/> Ein schnöder Schein in kurzgefaßten Grenzen, <lb n="ppe_234.019"/> Ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht; <lb n="ppe_234.020"/> Ein buntes Feld, da Kummerdisteln grünen, <lb n="ppe_234.021"/> Ein schön Spital, so voller Krankheit steckt. <lb n="ppe_234.022"/> Ein Sklavenhaus, da alle Menschen dienen, <lb n="ppe_234.023"/> Ein faules Grab, so Alabaster deckt. <lb n="ppe_234.024"/> Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen, <lb n="ppe_234.025"/> Und was das Fleisch für einen Abgott hält. <lb n="ppe_234.026"/> Komm Seele, komm, und lerne weiter schauen, <lb n="ppe_234.027"/> Als sich erstreckt der Zirkel <hi rendition="#i">dieser</hi> Welt. <lb n="ppe_234.028"/> Streich ab von dir derselben kurzes Prangen, <lb n="ppe_234.029"/> Halt ihre Lust für eine schwere Last, <lb n="ppe_234.030"/> So wirst du leicht in diesen Port gelangen, <lb n="ppe_234.031"/> Da Ewigkeit und Schönheit sich umfaßt.</hi> </l> </lg> <lb n="ppe_234.032"/> <p>Man wird an allen Stilmerkmalen, vor allem an den gehäuften Antithesen, <lb n="ppe_234.033"/> sogleich die Barockzeit erkennen und auch die in ihr vertretene <lb n="ppe_234.034"/> weltverneinende Haltung finden. Und doch verrät sich in den <lb n="ppe_234.035"/> Bildern eine Art lüsterner Weltfreude, die dem bunten Feld mehr <lb n="ppe_234.036"/> zugeneigt ist als den Kummerdisteln, und der positiv gehaltene zweite <lb n="ppe_234.037"/> Teil fällt mit seinem blassen, innerlich unerlebten und nicht geschauten <lb n="ppe_234.038"/> allegorischen Schlußbild gegenüber der überladenen Sinneswirkung <lb n="ppe_234.039"/> des ersten Teiles völlig ab. Aus anderen Gedichten, wie <lb n="ppe_234.040"/> aus seinem Leben, das wiederum die vielen lasziven Motive seiner <lb n="ppe_234.041"/> Dichtung Lügen straft, kennt man Hofmannswaldau genug als rechtschaffenen </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [234/0258]
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Dagegen beginnt das Gedicht „Vermächtnis“ mit dem klar formulierten ppe_234.002
Widerspruch:
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Kein Wesen kann zu nichts zerfallen.
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Das ist keine aufhebende Selbstberichtigung; beides ist Bekenntnis ppe_234.005
zur gleichen Betrachtung des Seins als eines ewigen Fließens, das ppe_234.006
kein Beharren zuläßt. Von den Widersprüchen gilt, was der Dichter ppe_234.007
zu ihrer Rechtfertigung ausspricht:
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Immer hab' ich nur geschrieben, ppe_234.009
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Und bin immerfort der Eine.
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Im Gegensatz zu dieser vielfältigen, universellen Einheit muß für ppe_234.013
manchen anderen Dichter bei der weltanschaulichen Haltung, die er ppe_234.014
einnimmt, die Frage nach der Echtheit gestellt werden. Es gibt ein ppe_234.015
Gedicht, das die Überschrift „Die Welt“ trägt:
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sogleich die Barockzeit erkennen und auch die in ihr vertretene ppe_234.034
weltverneinende Haltung finden. Und doch verrät sich in den ppe_234.035
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Teil fällt mit seinem blassen, innerlich unerlebten und nicht geschauten ppe_234.038
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des ersten Teiles völlig ab. Aus anderen Gedichten, wie ppe_234.040
aus seinem Leben, das wiederum die vielen lasziven Motive seiner ppe_234.041
Dichtung Lügen straft, kennt man Hofmannswaldau genug als rechtschaffenen
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