ppe_244.002 Die Beziehung des Begriffes "Idee" auf die Dichtung hat in ihren ppe_244.003 vielfältigen Spielarten eine wechselvolle Geschichte. Aus dem Neuplatonismus ppe_244.004 der Renaissance emporgestiegen, findet das Wort in ppe_244.005 Scaligers Poetik eine mehr aristotelische als platonische Anwendung, ppe_244.006 wird von Winckelmann in den Mittelpunkt seiner Kunstbetrachtung ppe_244.007 gestellt, von Herder seiner Transzendenz beraubt und mit naturphilosophischer ppe_244.008 Immanenz ins Innere des Kunstwerks verlegt, bei Goethe ppe_244.009 durch den Begriff des Urphänomens verdrängt und in Hegels Ideenlehre ppe_244.010 dem absoluten Geist untergeordnet.
ppe_244.011 In positivistischer Reaktion gegen die konstruktiven Auslegungen ppe_244.012 hegelianischer Ästhetiker gab die Dichtungslehre des 19. Jahrhunderts ppe_244.013 zeitweilig den Begriff Idee ganz auf. Scherers Poetik wollte nichts ppe_244.014 davon wissen und glaubte mit Stoff, Thema, Vorwurf, Hauptmotiv ppe_244.015 auszukommen; zur gleichen Zeit hat auch Dilthey davor gewarnt, in ppe_244.016 jeder Dichtung eine Idee zu suchen, wobei er auf das Inkommensurable ppe_244.017 in Shakespeares "Hamlet" hinwies und auf alle vergeblichen Bemühungen, ppe_244.018 dort eine Idee ans Licht zu ziehen. Wollte Dilthey damals ppe_244.019 das zu allgemeingültiger Bedeutung erhobene Erlebnis an die Stelle ppe_244.020 der Idee setzen, so hat seine spätere Entwicklung dahin geführt, in ppe_244.021 der Weltanschauung des Dichters den ideellen Kern seiner Gestaltung ppe_244.022 zu erblicken. Von da führt der Weg weiter zur Thronerhebung des ppe_244.023 Problems durch Unger, zur Wiederherstellung der Idee durch Ermatinger, ppe_244.024 zur Krönung des Geistes durch Cysarz, und gegenwärtig ppe_244.025 scheint sich bei Pongs eine Identität von Idee und Existenz herzustellen.
ppe_244.026
ppe_244.027 Für das Verhältnis zwischen Problem und Idee ist im vorausgehenden ppe_244.028 Abschnitt eine Formel gefunden worden, wonach die Idee ppe_244.029 sich als entscheidende Lösung des Problems offenbart. Fragen wir ppe_244.030 weiter, woher diese Entscheidung stammt, so werden wir zur Weltanschauung ppe_244.031 des Dichters zurückgeführt. Wenn oben gesagt ist, daß ppe_244.032 die einzelne Dichtung keine eigene, totale Weltanschauung haben ppe_244.033 kann, so bleibt ihr doch der Ausdruck einer bestimmten Idee vorbehalten. ppe_244.034 Idee ist aber die auf ein Problem bezogene und in seiner ppe_244.035 Lösung ausgeprägte weltanschauliche Haltung des Dichters. Die dichterische ppe_244.036 Idee scheint damit zum Organ der Weltanschauung herabgesetzt, ppe_244.037 aber zugleich ist sie innerhalb der Dichtung zur entscheidenden ppe_244.038 Bedeutung erhoben. Man kann sagen, daß die Idee ihre Wirksamkeit ppe_244.039 entfaltet, wenn der Dichter etwas von seiner eigenen Weltanschauung ppe_244.040 in die schwebende Waagschale der Problemstellung wirft.
ppe_244.001 9. Siebente Stufe: Geist und Idee
ppe_244.002 Die Beziehung des Begriffes „Idee“ auf die Dichtung hat in ihren ppe_244.003 vielfältigen Spielarten eine wechselvolle Geschichte. Aus dem Neuplatonismus ppe_244.004 der Renaissance emporgestiegen, findet das Wort in ppe_244.005 Scaligers Poetik eine mehr aristotelische als platonische Anwendung, ppe_244.006 wird von Winckelmann in den Mittelpunkt seiner Kunstbetrachtung ppe_244.007 gestellt, von Herder seiner Transzendenz beraubt und mit naturphilosophischer ppe_244.008 Immanenz ins Innere des Kunstwerks verlegt, bei Goethe ppe_244.009 durch den Begriff des Urphänomens verdrängt und in Hegels Ideenlehre ppe_244.010 dem absoluten Geist untergeordnet.
ppe_244.011 In positivistischer Reaktion gegen die konstruktiven Auslegungen ppe_244.012 hegelianischer Ästhetiker gab die Dichtungslehre des 19. Jahrhunderts ppe_244.013 zeitweilig den Begriff Idee ganz auf. Scherers Poetik wollte nichts ppe_244.014 davon wissen und glaubte mit Stoff, Thema, Vorwurf, Hauptmotiv ppe_244.015 auszukommen; zur gleichen Zeit hat auch Dilthey davor gewarnt, in ppe_244.016 jeder Dichtung eine Idee zu suchen, wobei er auf das Inkommensurable ppe_244.017 in Shakespeares „Hamlet“ hinwies und auf alle vergeblichen Bemühungen, ppe_244.018 dort eine Idee ans Licht zu ziehen. Wollte Dilthey damals ppe_244.019 das zu allgemeingültiger Bedeutung erhobene Erlebnis an die Stelle ppe_244.020 der Idee setzen, so hat seine spätere Entwicklung dahin geführt, in ppe_244.021 der Weltanschauung des Dichters den ideellen Kern seiner Gestaltung ppe_244.022 zu erblicken. Von da führt der Weg weiter zur Thronerhebung des ppe_244.023 Problems durch Unger, zur Wiederherstellung der Idee durch Ermatinger, ppe_244.024 zur Krönung des Geistes durch Cysarz, und gegenwärtig ppe_244.025 scheint sich bei Pongs eine Identität von Idee und Existenz herzustellen.
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ppe_244.027 Für das Verhältnis zwischen Problem und Idee ist im vorausgehenden ppe_244.028 Abschnitt eine Formel gefunden worden, wonach die Idee ppe_244.029 sich als entscheidende Lösung des Problems offenbart. Fragen wir ppe_244.030 weiter, woher diese Entscheidung stammt, so werden wir zur Weltanschauung ppe_244.031 des Dichters zurückgeführt. Wenn oben gesagt ist, daß ppe_244.032 die einzelne Dichtung keine eigene, totale Weltanschauung haben ppe_244.033 kann, so bleibt ihr doch der Ausdruck einer bestimmten Idee vorbehalten. ppe_244.034 Idee ist aber die auf ein Problem bezogene und in seiner ppe_244.035 Lösung ausgeprägte weltanschauliche Haltung des Dichters. Die dichterische ppe_244.036 Idee scheint damit zum Organ der Weltanschauung herabgesetzt, ppe_244.037 aber zugleich ist sie innerhalb der Dichtung zur entscheidenden ppe_244.038 Bedeutung erhoben. Man kann sagen, daß die Idee ihre Wirksamkeit ppe_244.039 entfaltet, wenn der Dichter etwas von seiner eigenen Weltanschauung ppe_244.040 in die schwebende Waagschale der Problemstellung wirft.
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Die Beziehung des Begriffes „Idee“ auf die Dichtung hat in ihren ppe_244.003
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Scaligers Poetik eine mehr aristotelische als platonische Anwendung, ppe_244.006
wird von Winckelmann in den Mittelpunkt seiner Kunstbetrachtung ppe_244.007
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In positivistischer Reaktion gegen die konstruktiven Auslegungen ppe_244.012
hegelianischer Ästhetiker gab die Dichtungslehre des 19. Jahrhunderts ppe_244.013
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/268>, abgerufen am 22.11.2024.
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