ppe_269.001 Epochen gemäß dem Stoff und den Problemen des Zeiterlebens, aber ppe_269.002 die Wertschätzung stimmt nicht immer mit der Produktionsstärke ppe_269.003 überein. Beispielsweise hat die deutsche Poetik des 17. und beginnenden ppe_269.004 18. Jahrhunderts dem Heldenepos traditionell den ersten Rang ppe_269.005 zuerkannt, und es hätte nicht an Gegenständen für epische Darstellungen ppe_269.006 gefehlt; trotzdem ist jene Zeit gerade auf diesem Gebiet unfruchtbar ppe_269.007 gewesen. Etwas Ähnliches ist es, wenn Meister der Novelle ppe_269.008 wie Gottfried Keller, Conrad Ferdinand Meyer und Paul Heyse mitten ppe_269.009 in der Blütezeit der Erzählungskunst nach dem Lorbeer des Dramatikers ppe_269.010 hungerten. Auch die stammhafte Veranlagung für Pflege ppe_269.011 einer bestimmten Gattung kann sich wandeln. Während die Schweiz ppe_269.012 im 16. Jahrhundert in einer Blütezeit dramatischen Schaffens stand, ppe_269.013 ist im 18. und 19. Jahrhundert dieser Strom versiegt. Während ppe_269.014 Österreich im Mittelalter Stammland des Minnesanges war, ist im ppe_269.015 19. Jahrhundert die Lyrik so sehr hinter dem dramatischen Trieb ppe_269.016 zurückgetreten, daß man geradezu die lyrische Unfruchtbarkeit eines ppe_269.017 Grillparzer als sein "bayrisches Erbe" bezeichnen konnte.
ppe_269.018 Endlich sind für die Stellung der Dichtung überhaupt gegenüber ppe_269.019 den anderen Künsten Wertschwankungen im Gesamtbewußtsein von ppe_269.020 Volk und Menschheit zu beobachten. Die periodische Generationsfolge, ppe_269.021 in der Wilhelm Pinder die Entfaltung von Architektur, Plastik, ppe_269.022 Malerei und Musik aneinanderreihte, nahm zwar die Dichtung von der ppe_269.023 Einordnung in diese schematische Entwicklung aus, aber einen rhythmischen ppe_269.024 Wechsel ihrer Leistung und Einschätzung wird man gleichwohl ppe_269.025 innerhalb jeder Kultur kennen. Und schließlich hat sogar die ppe_269.026 Geltung der Künste überhaupt im Verhältnis zu anderen Kulturwerten ppe_269.027 ihr Auf und Nieder erlebt.
ppe_269.028 Es besteht eine Wechselwirkung zwischen Leistungshöhe und Empfänglichkeit, ppe_269.029 bei der man kaum im einen die Ursache des andern ppe_269.030 erkennen kann. Haben die Künstler, in deren Hand der Menschheit ppe_269.031 Würde gegeben ist, ihr Publikum erzogen, oder sind sie von ihm ppe_269.032 emporgetragen worden, wie jener Hamburger Pfahlbürger meinte, der ppe_269.033 beim Abschied des großen Schauspielers Schröder ausrief: "Wie hefft ppe_269.034 em billd't."? Sind in klassischen Zeitaltern die Künste groß geworden, ppe_269.035 weil man sie zu schätzen und zu fördern verstand, oder sind die ppe_269.036 Künste so hoch geschätzt worden, weil sie in unerreichter Blüte standen? ppe_269.037 Oder ist es ein einheitlicher Zeitgeist, der Entstehen und Verstehen ppe_269.038 im Gleichgewicht hält? Dem widerspricht die oben gezeigte ppe_269.039 Erscheinung des Aufrückens und Wachsens ebenso wie die verschiedenartige ppe_269.040 Abhängigkeit der Künste von wirtschaftlichem Aufstieg, ppe_269.041 politischer Macht und völkischem Willen, wovon die Baukunst wohl
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ppe_269.018 Endlich sind für die Stellung der Dichtung überhaupt gegenüber ppe_269.019 den anderen Künsten Wertschwankungen im Gesamtbewußtsein von ppe_269.020 Volk und Menschheit zu beobachten. Die periodische Generationsfolge, ppe_269.021 in der Wilhelm Pinder die Entfaltung von Architektur, Plastik, ppe_269.022 Malerei und Musik aneinanderreihte, nahm zwar die Dichtung von der ppe_269.023 Einordnung in diese schematische Entwicklung aus, aber einen rhythmischen ppe_269.024 Wechsel ihrer Leistung und Einschätzung wird man gleichwohl ppe_269.025 innerhalb jeder Kultur kennen. Und schließlich hat sogar die ppe_269.026 Geltung der Künste überhaupt im Verhältnis zu anderen Kulturwerten ppe_269.027 ihr Auf und Nieder erlebt.
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/293>, abgerufen am 22.11.2024.
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