ppe_326.001 Dilthey schön gezeigt hat, die weichen Linien der lieblichen Hügellandschaft, ppe_326.002 die ein Gefühl der Geborgenheit, des sich Anschmiegens ppe_326.003 und doch Sich-Fortsehnens vermitteln, frühe Begleitmusik; Hölderlins ppe_326.004 Griechentraum hat später dem niegesehenen Sehnsuchtsland manche ppe_326.005 Farben seiner ersten Kindheitseindrücke verliehen, sowie seine Kindheitserinnerungen ppe_326.006 griechische Form annahmen. Jean Paul wiederum ppe_326.007 hat weniger die Landschaft als das wärmere Verhältnis zu den Menschen ppe_326.008 im Auge, wenn er die Enge der Heimat bevorzugt: "Lasse sich ppe_326.009 doch kein Dichter in einer Hauptstadt gebären und erziehen, sondern ppe_326.010 wo möglich in einem Dorfe, höchstens in einem Städtchen."
ppe_326.011 Mit der Eindrucksfähigkeit des Dichters und mit seiner tiefen ppe_326.012 Empfänglichkeit für Sinneseindrücke steht die Klarheit der haftenden ppe_326.013 Erinnerungsbilder im Zusammenhang und die Stärke des Gedächtnisses, ppe_326.014 das weiter als bei anderen Sterblichen zurückreicht. Rudolf G. Binding ppe_326.015 sah als früheste Erinnerung den Garten vor sich, in den er, noch ppe_326.016 ehe er gehen oder sprechen konnte, hinausgetragen wurde; Spitteler ppe_326.017 wollte das Bild der goldnen Türme von Solothurn als Erinnerung aus ppe_326.018 dem dritten Lebensjahr in sich tragen; der finnische Dichter Koskenniemi ppe_326.019 weiß, daß er in Gesellschaft seines Vaters, den er bald danach ppe_326.020 verlor, an der Grenze des ersten und zweiten Lebensjahres zum ersten ppe_326.021 Male das Meer erlebt hat, und dieses Erlebnis rechnet er als seinen ppe_326.022 eigentlichen Geburtstag. Victor Hugo hat seine Kindheitserlebnisse ppe_326.023 noch in spätester Dichtung verwendet, und Balzac erklärte, er habe ppe_326.024 von Kindesbeinen an Erinnerungsbilder umrissen und fertig wie Wirklichkeit ppe_326.025 vor sich gesehen. Wir werden auf diese als "eidetisch" bezeichnete ppe_326.026 Anlage zur Hervorbringung innerer Vorstellungsbilder im ppe_326.027 zweiten Hauptteil zurückkommen; hier sei nur bemerkt, daß nach den ppe_326.028 Untersuchungen von Jaensch diese Gabe namentlich den Kindern verliehen ppe_326.029 ist, während sie bei Erwachsenen sich verliert. Weil aber der ppe_326.030 Dichter in Empfänglichkeit und innerer Vorstellungskraft Kind bleibt, ppe_326.031 sind gerade die frühesten Eindrücke von dauernder Bedeutung.
ppe_326.032 Wichtig wird die Heimatlandschaft nicht nur durch das Naturbild, ppe_326.033 durch Klima, Luft, Licht, Farben und Linien, sondern auch durch ppe_326.034 ihre geschichtlichen Beziehungen. Es ist möglich, daß bei dem Knaben ppe_326.035 Grimmelshausen, so wenig Bildung er genoß, schon in der alten Reichsstadt ppe_326.036 Gelnhausen angesichts der Kaiserpfalz Barbarossas ein Sinn für ppe_326.037 Vergangenheit und geschichtliches Leben erwachte, dem er später in ppe_326.038 historischen Romanen und als Kalenderschriftsteller nachging. Der ppe_326.039 Phantasie des Knaben Herder haben sich die Trümmer der alten ppe_326.040 Deutschordensburg über seiner Vaterstadt Mohrungen eingeprägt, und ppe_326.041 die Heimatlandschaft blieb noch in späteren Jahren die immer wiederkehrende
ppe_326.001 Dilthey schön gezeigt hat, die weichen Linien der lieblichen Hügellandschaft, ppe_326.002 die ein Gefühl der Geborgenheit, des sich Anschmiegens ppe_326.003 und doch Sich-Fortsehnens vermitteln, frühe Begleitmusik; Hölderlins ppe_326.004 Griechentraum hat später dem niegesehenen Sehnsuchtsland manche ppe_326.005 Farben seiner ersten Kindheitseindrücke verliehen, sowie seine Kindheitserinnerungen ppe_326.006 griechische Form annahmen. Jean Paul wiederum ppe_326.007 hat weniger die Landschaft als das wärmere Verhältnis zu den Menschen ppe_326.008 im Auge, wenn er die Enge der Heimat bevorzugt: „Lasse sich ppe_326.009 doch kein Dichter in einer Hauptstadt gebären und erziehen, sondern ppe_326.010 wo möglich in einem Dorfe, höchstens in einem Städtchen.“
ppe_326.011 Mit der Eindrucksfähigkeit des Dichters und mit seiner tiefen ppe_326.012 Empfänglichkeit für Sinneseindrücke steht die Klarheit der haftenden ppe_326.013 Erinnerungsbilder im Zusammenhang und die Stärke des Gedächtnisses, ppe_326.014 das weiter als bei anderen Sterblichen zurückreicht. Rudolf G. Binding ppe_326.015 sah als früheste Erinnerung den Garten vor sich, in den er, noch ppe_326.016 ehe er gehen oder sprechen konnte, hinausgetragen wurde; Spitteler ppe_326.017 wollte das Bild der goldnen Türme von Solothurn als Erinnerung aus ppe_326.018 dem dritten Lebensjahr in sich tragen; der finnische Dichter Koskenniemi ppe_326.019 weiß, daß er in Gesellschaft seines Vaters, den er bald danach ppe_326.020 verlor, an der Grenze des ersten und zweiten Lebensjahres zum ersten ppe_326.021 Male das Meer erlebt hat, und dieses Erlebnis rechnet er als seinen ppe_326.022 eigentlichen Geburtstag. Victor Hugo hat seine Kindheitserlebnisse ppe_326.023 noch in spätester Dichtung verwendet, und Balzac erklärte, er habe ppe_326.024 von Kindesbeinen an Erinnerungsbilder umrissen und fertig wie Wirklichkeit ppe_326.025 vor sich gesehen. Wir werden auf diese als „eidetisch“ bezeichnete ppe_326.026 Anlage zur Hervorbringung innerer Vorstellungsbilder im ppe_326.027 zweiten Hauptteil zurückkommen; hier sei nur bemerkt, daß nach den ppe_326.028 Untersuchungen von Jaensch diese Gabe namentlich den Kindern verliehen ppe_326.029 ist, während sie bei Erwachsenen sich verliert. Weil aber der ppe_326.030 Dichter in Empfänglichkeit und innerer Vorstellungskraft Kind bleibt, ppe_326.031 sind gerade die frühesten Eindrücke von dauernder Bedeutung.
ppe_326.032 Wichtig wird die Heimatlandschaft nicht nur durch das Naturbild, ppe_326.033 durch Klima, Luft, Licht, Farben und Linien, sondern auch durch ppe_326.034 ihre geschichtlichen Beziehungen. Es ist möglich, daß bei dem Knaben ppe_326.035 Grimmelshausen, so wenig Bildung er genoß, schon in der alten Reichsstadt ppe_326.036 Gelnhausen angesichts der Kaiserpfalz Barbarossas ein Sinn für ppe_326.037 Vergangenheit und geschichtliches Leben erwachte, dem er später in ppe_326.038 historischen Romanen und als Kalenderschriftsteller nachging. Der ppe_326.039 Phantasie des Knaben Herder haben sich die Trümmer der alten ppe_326.040 Deutschordensburg über seiner Vaterstadt Mohrungen eingeprägt, und ppe_326.041 die Heimatlandschaft blieb noch in späteren Jahren die immer wiederkehrende
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/350>, abgerufen am 22.11.2024.
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