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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944.

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Scherers Positivismus die Phantasie als "verwandelnde Reproduktion" ppe_389.002
mit dem Gedächtnis gleichsetzen wollen. Ernst Elster, der in ppe_389.003
seinen "Prinzipien der Literaturwissenschaft" gegen diese Entwürdigung ppe_389.004
Einspruch erhob, betont mit Recht, daß die Beschaffenheit ppe_389.005
der einzelnen Vorstellungen von der Frage nach ihrem Verlauf zu ppe_389.006
trennen sei. Das einzelne Erinnerungsbild sinnlicher Wahrnehmung ppe_389.007
mag in der Phantasie mit verstärkter Deutlichkeit wiederkehren, aber ppe_389.008
die Verknüpfung, die sich als Denken in Bildern darstellt, wird ppe_389.009
schließlich zu einem schöpferischen Vorgang, der auch der willensmäßigen ppe_389.010
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Unter Zugrundelegung der Wundtschen Unterscheidung von anschaulicher ppe_389.012
und kombinatorischer Phantasie analysierte Elster die ppe_389.013
verschiedenartige Phantasiebegabung Goethes, Schillers und Lessings ppe_389.014
mit dem Ergebnis, daß bei Goethe die Gegenständlichkeit und Anschaulichkeit ppe_389.015
im Übergewicht ist gegenüber der kombinatorischen ppe_389.016
und erfinderischen Fähigkeit; bei Schiller dagegen stehen schnelle ppe_389.017
Assoziation und stärkerer Anteil des Verstandes einer geringeren ppe_389.018
Anschaulichkeit gegenüber; bei Lessing ist der induktive Verstand ppe_389.019
(nicht der deduktive wie bei Schiller) stärker entwickelt, während die ppe_389.020
kombinatorische und assoziative Phantasie gegenüber der Anschaulichkeit ppe_389.021
im Hintergrund bleibt.

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Wollte man diese auf die Klassiker angewandten Grundbegriffe ppe_389.023
auch bei Analyse der Romantiker im Auge haben, so würde durchgehend, ppe_389.024
wenn auch in verschiedenem Grade, ein stärkeres Zurücktreten ppe_389.025
des Verstandes- und Willensmäßigen, ein weit freieres Walten ppe_389.026
des Unbewußten, ein Eintauchen in das Traumleben und demgemäß ppe_389.027
eine mehr sprunghaft assoziative als gegenständlich anschauliche ppe_389.028
Phantasie zu beobachten sein. Es bleibt aber die Frage, wie weit ppe_389.029
hier die ererbte Anlage, mit der ein bestimmter Typus nach den ppe_389.030
Forderungen der Zeitströmung in den Vordergrund gedrängt wird, ppe_389.031
oder das Stilgesetz, das die Anlage nach bestimmter einseitiger Richtung ppe_389.032
lenkt, von ausschlaggebender Wirkung ist. Wenn ein Vollromantiker ppe_389.033
wie Clemens Brentano im Alter darüber klagt, daß er ppe_389.034
zeitlebens seine Phantasie verhätschelte und überfütterte und dafür ppe_389.035
schließlich von ihr aufgefressen worden sei, so konnte er dafür mehr ppe_389.036
die Stilrichtung der Zeit verantwortlich machen, als seine romanische ppe_389.037
Abstammung. Anderseits hat ein Theodor Fontane, den man als rationalen ppe_389.038
Sinnenmenschen charakterisiert hat, seine mehr anschauliche ppe_389.039
als kombinatorische Phantasie im Zeitalter des Realismus zugunsten ppe_389.040
psychologischer Folgerichtigkeit verkümmern lassen, und es ist die ppe_389.041
Frage, wie weit daran die französische Abstammung Anteil hatte.

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Scherers Positivismus die Phantasie als „verwandelnde Reproduktion“ ppe_389.002
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Unter Zugrundelegung der Wundtschen Unterscheidung von anschaulicher ppe_389.012
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Wollte man diese auf die Klassiker angewandten Grundbegriffe ppe_389.023
auch bei Analyse der Romantiker im Auge haben, so würde durchgehend, ppe_389.024
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Phantasie zu beobachten sein. Es bleibt aber die Frage, wie weit ppe_389.029
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Zitationshilfe: Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/413>, abgerufen am 22.11.2024.