ppe_392.001 weit in der Welt entfernt lebten und mit denen er nur in einem vorübergehenden ppe_392.002 Verhältnis gestanden."
ppe_392.003 Unbeschadet seiner visuellen Anlage hat Goethe bei solcher Gedankendisputation ppe_392.004 Wort und Bewegung wichtiger werden lassen als das ppe_392.005 optische Bild. Kann auch hier keineswegs von Halluzinationen, sondern ppe_392.006 nur von einem Spiel der Willkür gesprochen werden, so kommen ppe_392.007 andere Beispiele, in denen sich dichterische Gestalten zu sinnlicher ppe_392.008 Realität verdichten, näher an das Halluzinatorische heran und ppe_392.009 können zum mindesten visionäre Anschaulichkeit für sich in Anspruch ppe_392.010 nehmen. Goethe fand, während er mit der ersten Gestalt des ppe_392.011 "Wilhelm Meister" und mit "Tasso" beschäftigt war, kein besseres ppe_392.012 Wort für seine Arbeit, als "mit den Geistern reden". In der Jugendzeit ppe_392.013 wurde er zu einem seiner Phantasiegeschöpfe, der verführerischen ppe_392.014 Adelheid des "Götz", leidenschaftlich hingezogen. In der ppe_392.015 Zueignung des "Faust" sprach er von den schwankenden Gestalten, ppe_392.016 die ihm wieder nahten und die er festzuhalten suche; sie brachten ppe_392.017 mit sich die Bilder froher Tage und ließen liebe Schatten aufsteigen; ppe_392.018 also hatten sie sich dem Dichter gegenüber noch nicht völlig objektiviert, ppe_392.019 sondern trugen in sich ein Stück seines eigenen Erlebens.
ppe_392.020 Balzac wiederum fand in sich das Vermögen, "wie der Derwisch ppe_392.021 in Tausend und Eine Nacht Körper und Seele der Personen anzunehmen, ppe_392.022 die er darstellen sollte". Flaubert schrieb an Taine: "Die ppe_392.023 Gestalten meiner Einbildungskraft affizieren mich, verfolgen mich, ppe_392.024 oder vielmehr, ich bin es, der in ihnen lebt. Als ich beschrieb, wie ppe_392.025 Emma Bovary vergiftet wird, hatte ich einen so deutlichen Arsenikgeschmack ppe_392.026 auf der Zunge, daß ich zwei Indigestionen davontrug." ppe_392.027 Diese vielzitierte Selbstbeobachtung, auf die Taine eine Halluzinationstheorie ppe_392.028 gründete, wurde allerdings von Freunden Flauberts, die ppe_392.029 seine Übertreibungssucht kannten, angezweifelt und von A. Daudet ppe_392.030 lediglich für ein "parole de lyrique" erklärt.
ppe_392.031 Wie sehr sich aber die Phantasiegeschöpfe des Schöpfers selbst ppe_392.032 bemächtigen können, hat Turgenjeff verraten; er dachte, sprach und ppe_392.033 ging so wie seine Romanhelden, und als er an dem Roman "Väter ppe_392.034 und Söhne" schrieb, will er für lange Zeit die charakteristische ppe_392.035 Sprache seines Basaroff angenommen haben.
ppe_392.036 Ein ähnliches Selbstzeugnis legte Gontscharof ab, dem die Personen ppe_392.037 in solcher Deutlichkeit erschienen, daß er Bruchstücke ihrer Gespräche ppe_392.038 zu hören glaubte. Auch Jean Paul verlangte, daß der Dichter ppe_392.039 im Schreiben nur der Zuhörer, nicht der Sprachlehrer seiner ppe_392.040 Charaktere sei: "er schaut sie lebendig an, und dann hört er sie."
ppe_392.041 Andere wiederum geben den Helden unbewußtermaßen ihre eigene
ppe_392.001 weit in der Welt entfernt lebten und mit denen er nur in einem vorübergehenden ppe_392.002 Verhältnis gestanden.“
ppe_392.003 Unbeschadet seiner visuellen Anlage hat Goethe bei solcher Gedankendisputation ppe_392.004 Wort und Bewegung wichtiger werden lassen als das ppe_392.005 optische Bild. Kann auch hier keineswegs von Halluzinationen, sondern ppe_392.006 nur von einem Spiel der Willkür gesprochen werden, so kommen ppe_392.007 andere Beispiele, in denen sich dichterische Gestalten zu sinnlicher ppe_392.008 Realität verdichten, näher an das Halluzinatorische heran und ppe_392.009 können zum mindesten visionäre Anschaulichkeit für sich in Anspruch ppe_392.010 nehmen. Goethe fand, während er mit der ersten Gestalt des ppe_392.011 „Wilhelm Meister“ und mit „Tasso“ beschäftigt war, kein besseres ppe_392.012 Wort für seine Arbeit, als „mit den Geistern reden“. In der Jugendzeit ppe_392.013 wurde er zu einem seiner Phantasiegeschöpfe, der verführerischen ppe_392.014 Adelheid des „Götz“, leidenschaftlich hingezogen. In der ppe_392.015 Zueignung des „Faust“ sprach er von den schwankenden Gestalten, ppe_392.016 die ihm wieder nahten und die er festzuhalten suche; sie brachten ppe_392.017 mit sich die Bilder froher Tage und ließen liebe Schatten aufsteigen; ppe_392.018 also hatten sie sich dem Dichter gegenüber noch nicht völlig objektiviert, ppe_392.019 sondern trugen in sich ein Stück seines eigenen Erlebens.
ppe_392.020 Balzac wiederum fand in sich das Vermögen, „wie der Derwisch ppe_392.021 in Tausend und Eine Nacht Körper und Seele der Personen anzunehmen, ppe_392.022 die er darstellen sollte“. Flaubert schrieb an Taine: „Die ppe_392.023 Gestalten meiner Einbildungskraft affizieren mich, verfolgen mich, ppe_392.024 oder vielmehr, ich bin es, der in ihnen lebt. Als ich beschrieb, wie ppe_392.025 Emma Bovary vergiftet wird, hatte ich einen so deutlichen Arsenikgeschmack ppe_392.026 auf der Zunge, daß ich zwei Indigestionen davontrug.“ ppe_392.027 Diese vielzitierte Selbstbeobachtung, auf die Taine eine Halluzinationstheorie ppe_392.028 gründete, wurde allerdings von Freunden Flauberts, die ppe_392.029 seine Übertreibungssucht kannten, angezweifelt und von A. Daudet ppe_392.030 lediglich für ein „parole de lyrique“ erklärt.
ppe_392.031 Wie sehr sich aber die Phantasiegeschöpfe des Schöpfers selbst ppe_392.032 bemächtigen können, hat Turgenjeff verraten; er dachte, sprach und ppe_392.033 ging so wie seine Romanhelden, und als er an dem Roman „Väter ppe_392.034 und Söhne“ schrieb, will er für lange Zeit die charakteristische ppe_392.035 Sprache seines Basaroff angenommen haben.
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„Wilhelm Meister“ und mit „Tasso“ beschäftigt war, kein besseres ppe_392.012
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/416>, abgerufen am 22.11.2024.
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