ppe_414.001 Nietzsche selbst wurde auf diese Weise bei einem Spaziergang in ppe_414.002 Rapallo von seinem Zarathustra überfallen.
ppe_414.003 Solche schöpferische Inspiration kann vor allem dem Musiker zuteil ppe_414.004 werden, wie in Hans Pfitzners "Palestrina" wundervoll dargestellt ppe_414.005 ist. Der Himmel öffnet sich, die Engel steigen herab, kosmische ppe_414.006 Sphärenharmonien ertönen, und am Morgen ist die große Messe ppe_414.007 fertig. So entstand Mozarts Don-Juan-Ouvertüre in einer Nacht; so ppe_414.008 fand Händel als Traumeingebung den Schluß des "Messias", und als ppe_414.009 Haydn die Töne vernahm, durch die er das Werden des Lichtes in ppe_414.010 der "Schöpfung" dargestellt hatte, rief er mit ausgebreiteten Armen: ppe_414.011 "Das kommt nicht von mir, das kommt von oben."
ppe_414.012 Einen heiligen Moment dieser Art erlebte Klopstock, nachdem er ppe_414.013 den letzten Gesang seines "Messias" an den Verleger gesandt hatte. ppe_414.014 Seine Frau erzählte, wie sie ihn mit ungewöhnlichem Ernst, die Hände ppe_414.015 auf dem Rücken, im Zimmer stehen sah. Plötzlich stürzten ihm Tränen ppe_414.016 aus den Augen; er eilte zum Schreibtisch, und in wenigen Minuten ppe_414.017 war sein Dank aus dem Herzen hingeströmt in der Ode "An den ppe_414.018 Erlöser":
ppe_414.019
Beginn den ersten Harfenlaut, ppe_414.020 Heißer, geflügelter, ewiger Dank! ppe_414.021 Beginn, beginn, mir strömt das Herz! ppe_414.022 Und ich weine vor Wonne!
ppe_414.023 Auch Goethe gibt eine dichterische Selbstdarstellung solcher plötzlichen ppe_414.024 Inspiration in den schon oben (S. 75) zitierten ersten Versen ppe_414.025 des "Ewigen Juden". In diesem Fall ist es bei dem ersten Anlauf ppe_414.026 geblieben, und die Stimmung zur Fortsetzung hat sich verloren. Nach ppe_414.027 langer Pause kann eine neue Eingebung folgen, die aber anderer Art ppe_414.028 ist. So berichtete z. B. Graf Leopardi, daß er bei Eintreten der Inspiration ppe_414.029 Grundzüge und Einteilung des ganzen Gegenstandes in zwei ppe_414.030 Minuten niederlegen könne, daß er dann aber auf einen anderen ppe_414.031 glücklichen Augenblick warten müsse, der gewöhnlich erst nach ppe_414.032 Monaten sich einstelle: "Dann fange ich an zu entwickeln, aber so ppe_414.033 langsam, daß ich auch ein kurzes Gedicht kaum eher als in zwei bis ppe_414.034 drei Monaten erledigt habe. Dies ist meine Arbeitsweise. Wenn die ppe_414.035 Inspiration nicht da ist, könnte leichter Wasser aus einem trockenen ppe_414.036 Holzklotz herauskommen als ein einziger Vers aus meinem Kopfe."
ppe_414.037 Die Inspiration der Ausarbeitung ist eine andere als die der Konzeption. ppe_414.038 Namentlich Schriftstellerinnen, z. B. Harriet Beecher-Stowe, ppe_414.039 George Elliot, George Sand, Clara Blüthgen haben bekannt, daß sie ppe_414.040 während des Schreibens das Bewußtsein hätten, ein fremdes Wesen ppe_414.041 habe von ihnen Besitz genommen und führe ihnen die Feder. Von
ppe_414.001 Nietzsche selbst wurde auf diese Weise bei einem Spaziergang in ppe_414.002 Rapallo von seinem Zarathustra überfallen.
ppe_414.003 Solche schöpferische Inspiration kann vor allem dem Musiker zuteil ppe_414.004 werden, wie in Hans Pfitzners „Palestrina“ wundervoll dargestellt ppe_414.005 ist. Der Himmel öffnet sich, die Engel steigen herab, kosmische ppe_414.006 Sphärenharmonien ertönen, und am Morgen ist die große Messe ppe_414.007 fertig. So entstand Mozarts Don-Juan-Ouvertüre in einer Nacht; so ppe_414.008 fand Händel als Traumeingebung den Schluß des „Messias“, und als ppe_414.009 Haydn die Töne vernahm, durch die er das Werden des Lichtes in ppe_414.010 der „Schöpfung“ dargestellt hatte, rief er mit ausgebreiteten Armen: ppe_414.011 „Das kommt nicht von mir, das kommt von oben.“
ppe_414.012 Einen heiligen Moment dieser Art erlebte Klopstock, nachdem er ppe_414.013 den letzten Gesang seines „Messias“ an den Verleger gesandt hatte. ppe_414.014 Seine Frau erzählte, wie sie ihn mit ungewöhnlichem Ernst, die Hände ppe_414.015 auf dem Rücken, im Zimmer stehen sah. Plötzlich stürzten ihm Tränen ppe_414.016 aus den Augen; er eilte zum Schreibtisch, und in wenigen Minuten ppe_414.017 war sein Dank aus dem Herzen hingeströmt in der Ode „An den ppe_414.018 Erlöser“:
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Beginn den ersten Harfenlaut, ppe_414.020 Heißer, geflügelter, ewiger Dank! ppe_414.021 Beginn, beginn, mir strömt das Herz! ppe_414.022 Und ich weine vor Wonne!
ppe_414.023 Auch Goethe gibt eine dichterische Selbstdarstellung solcher plötzlichen ppe_414.024 Inspiration in den schon oben (S. 75) zitierten ersten Versen ppe_414.025 des „Ewigen Juden“. In diesem Fall ist es bei dem ersten Anlauf ppe_414.026 geblieben, und die Stimmung zur Fortsetzung hat sich verloren. Nach ppe_414.027 langer Pause kann eine neue Eingebung folgen, die aber anderer Art ppe_414.028 ist. So berichtete z. B. Graf Leopardi, daß er bei Eintreten der Inspiration ppe_414.029 Grundzüge und Einteilung des ganzen Gegenstandes in zwei ppe_414.030 Minuten niederlegen könne, daß er dann aber auf einen anderen ppe_414.031 glücklichen Augenblick warten müsse, der gewöhnlich erst nach ppe_414.032 Monaten sich einstelle: „Dann fange ich an zu entwickeln, aber so ppe_414.033 langsam, daß ich auch ein kurzes Gedicht kaum eher als in zwei bis ppe_414.034 drei Monaten erledigt habe. Dies ist meine Arbeitsweise. Wenn die ppe_414.035 Inspiration nicht da ist, könnte leichter Wasser aus einem trockenen ppe_414.036 Holzklotz herauskommen als ein einziger Vers aus meinem Kopfe.“
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Nietzsche selbst wurde auf diese Weise bei einem Spaziergang in ppe_414.002
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„Das kommt nicht von mir, das kommt von oben.“
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/438>, abgerufen am 22.11.2024.
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