ppe_473.001 tritt wieder eine neue Erzählungskunst vor ein neues Publikum, ppe_473.002 und der Leserkreis teilt sich in verschiedene Bildungsschichten. ppe_473.003 Der Prosaroman, in dem sich spätgriechische, morgenländische, ritterliche, ppe_473.004 novellistische und Märchenelemente mit der Erzählungsform ppe_473.005 der Volksbücher vereinigen, zeigt zwar im 17. Jahrhundert noch eine ppe_473.006 sehr lebhafte Wechselwirkung der verschiedenen Länder in Übersetzung ppe_473.007 und Nachahmung. Aber schon zeichnen sich die Charaktere ppe_473.008 der Nationen deutlich ab: in der italienischen Novellistik; in der ppe_473.009 spanischen novela picaresca; im utopischen Staatsroman, zu dem auch ppe_473.010 "Robinson" gerechnet werden kann, wie im bürgerlichen Familienroman ppe_473.011 Englands; in der langatmigen galanten Geschichtserzählung ppe_473.012 wie im kurzen psychologischen oder im sentimentalen Leidenschaftsroman ppe_473.013 Frankreichs; und im abenteuerlichen Entwicklungsroman ppe_473.014 Deutschlands. Alle diese Erzählungsarten spiegeln die verschiedenen ppe_473.015 Staats- und Gesellschaftsformen ihrer Länder.
ppe_473.016 Die gesellschaftlichen Leser- und Bildungsschichten blieben außerdem ppe_473.017 in jedem Lande getrennt, und zu den landschaftlichen Verschiedenheiten ppe_473.018 kamen die religiösen: so fand der volkstümlich-realistische ppe_473.019 Schelmenroman spanischen Musters zuerst im katholischen Süddeutschland, ppe_473.020 der idealistische Geschichtsroman in Hofkreisen des protestantischen ppe_473.021 Nordens Aufnahme. In humoristischer, empfindsamer ppe_473.022 und romantischer Richtung wie im Zeitroman stellte sich während ppe_473.023 des 18. und 19. Jahrhunderts wieder ein europäisches Gleichgewicht ppe_473.024 her, aber der Sieg des Realismus ließ trotz gleichartiger Erzählungstechnik ppe_473.025 und vermittelnden Übersetzergewerbes die Verschiedenheiten ppe_473.026 des nationalen Lebensgehaltes immer mehr hervortreten. Wenn ppe_473.027 schließlich der russische, der skandinavische, der amerikanische Roman ppe_473.028 in den Vordergrund getreten sind, die alle von der Eigenart ppe_473.029 ihrer Gesellschaftsverhältnisse und Lebensprobleme Zeugnis ablegen, ppe_473.030 so war (wenigstens vor den großen politischen Umwälzungen dieses ppe_473.031 Jahrhunderts) eine vergleichende Betrachtung des Gegenwartsromans ppe_473.032 möglich, aber schwerlich die Darstellung einer fortlaufenden Entwicklung ppe_473.033 der Gattung bis zur jüngsten Zeit.
ppe_473.034 Vollends eine allgemeine Geschichte der Lyrik, namentlich des ppe_473.035 gesungenen Liedes, ist undenkbar; sie würde, wenn sie möglich wäre, ppe_473.036 in das Gebiet der Völkerkunde und Völkerpsychologie fallen; ihre ppe_473.037 Entwicklungsgeschichte müßte bei der Gegenwart beginnen, d. h. bei ppe_473.038 den Gesängen der primitivsten Naturvölker unserer Zeit, wie sie noch ppe_473.039 eben lebendig gehört und aufgenommen werden können. Von da aus ppe_473.040 müßte sich die Darstellung in zeitlichem Krebsgang rückwärts bewegen ppe_473.041 zur ältesten Überlieferung von Sprüchen und Arbeitsliedern
ppe_473.001 tritt wieder eine neue Erzählungskunst vor ein neues Publikum, ppe_473.002 und der Leserkreis teilt sich in verschiedene Bildungsschichten. ppe_473.003 Der Prosaroman, in dem sich spätgriechische, morgenländische, ritterliche, ppe_473.004 novellistische und Märchenelemente mit der Erzählungsform ppe_473.005 der Volksbücher vereinigen, zeigt zwar im 17. Jahrhundert noch eine ppe_473.006 sehr lebhafte Wechselwirkung der verschiedenen Länder in Übersetzung ppe_473.007 und Nachahmung. Aber schon zeichnen sich die Charaktere ppe_473.008 der Nationen deutlich ab: in der italienischen Novellistik; in der ppe_473.009 spanischen novela picaresca; im utopischen Staatsroman, zu dem auch ppe_473.010 „Robinson“ gerechnet werden kann, wie im bürgerlichen Familienroman ppe_473.011 Englands; in der langatmigen galanten Geschichtserzählung ppe_473.012 wie im kurzen psychologischen oder im sentimentalen Leidenschaftsroman ppe_473.013 Frankreichs; und im abenteuerlichen Entwicklungsroman ppe_473.014 Deutschlands. Alle diese Erzählungsarten spiegeln die verschiedenen ppe_473.015 Staats- und Gesellschaftsformen ihrer Länder.
ppe_473.016 Die gesellschaftlichen Leser- und Bildungsschichten blieben außerdem ppe_473.017 in jedem Lande getrennt, und zu den landschaftlichen Verschiedenheiten ppe_473.018 kamen die religiösen: so fand der volkstümlich-realistische ppe_473.019 Schelmenroman spanischen Musters zuerst im katholischen Süddeutschland, ppe_473.020 der idealistische Geschichtsroman in Hofkreisen des protestantischen ppe_473.021 Nordens Aufnahme. In humoristischer, empfindsamer ppe_473.022 und romantischer Richtung wie im Zeitroman stellte sich während ppe_473.023 des 18. und 19. Jahrhunderts wieder ein europäisches Gleichgewicht ppe_473.024 her, aber der Sieg des Realismus ließ trotz gleichartiger Erzählungstechnik ppe_473.025 und vermittelnden Übersetzergewerbes die Verschiedenheiten ppe_473.026 des nationalen Lebensgehaltes immer mehr hervortreten. Wenn ppe_473.027 schließlich der russische, der skandinavische, der amerikanische Roman ppe_473.028 in den Vordergrund getreten sind, die alle von der Eigenart ppe_473.029 ihrer Gesellschaftsverhältnisse und Lebensprobleme Zeugnis ablegen, ppe_473.030 so war (wenigstens vor den großen politischen Umwälzungen dieses ppe_473.031 Jahrhunderts) eine vergleichende Betrachtung des Gegenwartsromans ppe_473.032 möglich, aber schwerlich die Darstellung einer fortlaufenden Entwicklung ppe_473.033 der Gattung bis zur jüngsten Zeit.
ppe_473.034 Vollends eine allgemeine Geschichte der Lyrik, namentlich des ppe_473.035 gesungenen Liedes, ist undenkbar; sie würde, wenn sie möglich wäre, ppe_473.036 in das Gebiet der Völkerkunde und Völkerpsychologie fallen; ihre ppe_473.037 Entwicklungsgeschichte müßte bei der Gegenwart beginnen, d. h. bei ppe_473.038 den Gesängen der primitivsten Naturvölker unserer Zeit, wie sie noch ppe_473.039 eben lebendig gehört und aufgenommen werden können. Von da aus ppe_473.040 müßte sich die Darstellung in zeitlichem Krebsgang rückwärts bewegen ppe_473.041 zur ältesten Überlieferung von Sprüchen und Arbeitsliedern
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/497>, abgerufen am 22.11.2024.
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