ppe_515.001 festgestellt und wissenschaftlich umstritten. Man kann beispielsweise ppe_515.002 die Romantik als eine auf den Neuplatonismus zurückgehende, im ppe_515.003 18. Jahrhundert in Italien wiederauflebende und von England aus ppe_515.004 nach Deutschland übertragene Bewegung des Irrationalismus betrachten; ppe_515.005 man kann sie als eine deutsche Bewegung auffassen, die ppe_515.006 von dem Ostraum ihren Ausgang nimmt; man kann sie in dem Zeitraum ppe_515.007 einer oder mehrerer Generationen wirksam sehen; man kann ppe_515.008 sie gesellschaftlich mit den Umwälzungen der französischen Revolution ppe_515.009 in Zusammenhang bringen oder politisch als Gegenbewegung dazu ppe_515.010 betrachten. Man kann sie wie in der Dichtung in Musik, Malerei und ppe_515.011 Baukunst, aber auch in Philosophie, Geschichtsauffassung, Naturwissenschaft ppe_515.012 und Medizin ungefähr gleichzeitig vertreten sehen. Endlich ppe_515.013 bleibt es doch eine ideelle Geistesrichtung und eine ausgesprochene ppe_515.014 Form des Denkens und Fühlens, die räumlich, zeitlich und gesellschaftlich ppe_515.015 verschieden in Erscheinung treten.
ppe_515.016 Das Zeiterleben ist ein gemeinschaftliches Schicksal, das die Altersgenossen ppe_515.017 um so mehr verbindet, je enger sie im Raum vereinigt sind. ppe_515.018 Jede Altersstufe nimmt die Ereignisse ihrer Zeit mit einer gleichartigen ppe_515.019 ihr eigenen Empfänglichkeit auf, die anders beschaffen ist ppe_515.020 als die der Vorgänger oder der jüngeren Nachfolger. Dadurch wird ppe_515.021 sie zur Einheit einer Generation verschmolzen. Ein Begriff, der ppe_515.022 ursprünglich der Erbfolge einer Familie entstammt, wird auf eine ppe_515.023 schicksalsbedingte Gruppenbildung im Volkskörper übertragen, die ppe_515.024 auch bei anderen Völkern ihre gleichzeitige Entsprechung finden ppe_515.025 kann. Damit entsteht das eigentliche Zeitmaß geistesgeschichtlicher ppe_515.026 Entwicklung, das auch für die Entwicklung der Dichtung entscheidende ppe_515.027 Bedeutung hat. Jede Periode beginnt mit dem Auftreten einer ppe_515.028 neuen Generation; nicht jede Generation eröffnet eine neue Periode; ppe_515.029 wohl aber sind die Entwicklungsphasen jeder Periode durch Generationswechsel ppe_515.030 bedingt.
ppe_515.031 Sind die Mächte des Lebens, die der Dichtung zum Dasein verhelfen, ppe_515.032 mit Raum und Zeit zu allgemein umschrieben, so gehört zur ppe_515.033 Umwelt, in der die Dichtung wächst, die Gesellschaft als zeitlich ppe_515.034 bestimmtes Raumgebilde. Sie ist ein Teil des Volkes und damit ppe_515.035 dem Raum verhaftet, aber sie ist der veränderliche Teil des Volkes, ppe_515.036 der allmählich von einer Altersschicht zur anderen seine Zusammensetzung ppe_515.037 und seine Anschauungen wechselt, indem er sie mit gleichen ppe_515.038 Gesellschaftsschichten anderer Völker in Übereinstimmung zu bringen ppe_515.039 sucht. Was die Sprache für die räumliche und die Generationen für ppe_515.040 die zeitliche Ordnung bedeuten, sind die Stände für die gesellschaftliche. ppe_515.041 Es gibt verschiedene Gesellschaftsschichten innerhalb des
ppe_515.001 festgestellt und wissenschaftlich umstritten. Man kann beispielsweise ppe_515.002 die Romantik als eine auf den Neuplatonismus zurückgehende, im ppe_515.003 18. Jahrhundert in Italien wiederauflebende und von England aus ppe_515.004 nach Deutschland übertragene Bewegung des Irrationalismus betrachten; ppe_515.005 man kann sie als eine deutsche Bewegung auffassen, die ppe_515.006 von dem Ostraum ihren Ausgang nimmt; man kann sie in dem Zeitraum ppe_515.007 einer oder mehrerer Generationen wirksam sehen; man kann ppe_515.008 sie gesellschaftlich mit den Umwälzungen der französischen Revolution ppe_515.009 in Zusammenhang bringen oder politisch als Gegenbewegung dazu ppe_515.010 betrachten. Man kann sie wie in der Dichtung in Musik, Malerei und ppe_515.011 Baukunst, aber auch in Philosophie, Geschichtsauffassung, Naturwissenschaft ppe_515.012 und Medizin ungefähr gleichzeitig vertreten sehen. Endlich ppe_515.013 bleibt es doch eine ideelle Geistesrichtung und eine ausgesprochene ppe_515.014 Form des Denkens und Fühlens, die räumlich, zeitlich und gesellschaftlich ppe_515.015 verschieden in Erscheinung treten.
ppe_515.016 Das Zeiterleben ist ein gemeinschaftliches Schicksal, das die Altersgenossen ppe_515.017 um so mehr verbindet, je enger sie im Raum vereinigt sind. ppe_515.018 Jede Altersstufe nimmt die Ereignisse ihrer Zeit mit einer gleichartigen ppe_515.019 ihr eigenen Empfänglichkeit auf, die anders beschaffen ist ppe_515.020 als die der Vorgänger oder der jüngeren Nachfolger. Dadurch wird ppe_515.021 sie zur Einheit einer Generation verschmolzen. Ein Begriff, der ppe_515.022 ursprünglich der Erbfolge einer Familie entstammt, wird auf eine ppe_515.023 schicksalsbedingte Gruppenbildung im Volkskörper übertragen, die ppe_515.024 auch bei anderen Völkern ihre gleichzeitige Entsprechung finden ppe_515.025 kann. Damit entsteht das eigentliche Zeitmaß geistesgeschichtlicher ppe_515.026 Entwicklung, das auch für die Entwicklung der Dichtung entscheidende ppe_515.027 Bedeutung hat. Jede Periode beginnt mit dem Auftreten einer ppe_515.028 neuen Generation; nicht jede Generation eröffnet eine neue Periode; ppe_515.029 wohl aber sind die Entwicklungsphasen jeder Periode durch Generationswechsel ppe_515.030 bedingt.
ppe_515.031 Sind die Mächte des Lebens, die der Dichtung zum Dasein verhelfen, ppe_515.032 mit Raum und Zeit zu allgemein umschrieben, so gehört zur ppe_515.033 Umwelt, in der die Dichtung wächst, die Gesellschaft als zeitlich ppe_515.034 bestimmtes Raumgebilde. Sie ist ein Teil des Volkes und damit ppe_515.035 dem Raum verhaftet, aber sie ist der veränderliche Teil des Volkes, ppe_515.036 der allmählich von einer Altersschicht zur anderen seine Zusammensetzung ppe_515.037 und seine Anschauungen wechselt, indem er sie mit gleichen ppe_515.038 Gesellschaftsschichten anderer Völker in Übereinstimmung zu bringen ppe_515.039 sucht. Was die Sprache für die räumliche und die Generationen für ppe_515.040 die zeitliche Ordnung bedeuten, sind die Stände für die gesellschaftliche. ppe_515.041 Es gibt verschiedene Gesellschaftsschichten innerhalb des
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 515. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/539>, abgerufen am 22.11.2024.
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