ppe_038.001 weiteren Baues vor Augen stand. Das gilt nicht nur von der textphilologischen ppe_038.002 Leistung, sondern ebenso von den stoffgeschichtlichen ppe_038.003 Reihen, den motivgeschichtlichen Vergleichen, den stilgeschichtlichen ppe_038.004 Parallelen, den festgestellten Quellen, Vorbildern und Einflüssen und ppe_038.005 den Beobachtungen zur poetischen Technik, die unermüdlicher Sammeleifer ppe_038.006 ohne letzte geistige Durchdringung zur Strecke brachte.
ppe_038.007 Als Aufgabe der Könige, die das Werk der Kärrner zu nutzen ppe_038.008 hatten, galt damals die große Monographie. Dem Berliner Nachfolger ppe_038.009 Scherers, Erich Schmidt, der in souveränem Kennertum eine ppe_038.010 königliche Erscheinung darstellte, war in jungen Jahren die zweibändige ppe_038.011 Biographie Lessings geglückt, die den Helden in den Mittelpunkt ppe_038.012 seiner Zeit stellte und in dem ihn umgebenden Netz, das alle ppe_038.013 Fäden literarischer Beziehungen verknüpfte, eine Enzyklopädie der ppe_038.014 Literatur des 18. Jahrhunderts entrollte. Der Wiener Schererschüler ppe_038.015 Jakob Minor hat seine ähnlich angelegte Schillerbiographie nach dem ppe_038.016 zweiten Band, der bis zum "Don Carlos" führte, liegen lassen; noch ppe_038.017 ärger erging es Richard Weltrich, dessen Lebenswerk auf 900 Seiten ppe_038.018 nur bis zu den "Räubern" gelangte. Es lag nicht an der philologischen ppe_038.019 Methode, wie es sich hier zeigt, denn Weltrich betrachtete den ppe_038.020 Ästhetiker Friedr. Theod. Vischer als seinen Lehrer. Auch der Philosoph ppe_038.021 Wilhelm Dilthey kam mit seinem Schleiermacher (1870) nicht ppe_038.022 über den ersten Band hinaus. Es lag an dem naturwissenschaftlichen ppe_038.023 Vollständigkeitswahn und der Tatsachenanbetung des Positivismus, ppe_038.024 die sich ad absurdum führte. Es mußte sich herausstellen, daß die ppe_038.025 enzyklopädische Biographie, die den gesamten Stoff nicht nur verarbeitete, ppe_038.026 sondern wiedergab, indem sie zugleich Nachschlagebuch für ppe_038.027 alle Lebensdaten und Beziehungen, Erschließung der ganzen inneren ppe_038.028 Entwicklung und Kommentar aller Werke sein wollte, formlos werden ppe_038.029 mußte und den Darsteller vor künstlerisch unlösbare Aufgaben ppe_038.030 stellte.
ppe_038.031 Die Vorstellung, welche Ausmaße eine nach solchen Grundsätzen ppe_038.032 unternommene Goethebiographie hätte in Anspruch nehmen können, ppe_038.033 ist schwindelerregend. Einmal hätte dieses Werk erst nach der großen ppe_038.034 Weimarer Ausgabe, deren Abschluß mehrere Jahrzehnte erforderte, ppe_038.035 richtig in Angriff genommen werden können; sodann hätte die Kraft ppe_038.036 und Lebensdauer eines einzelnen zur Bewältigung nicht ausgereicht. ppe_038.037 Es ist bezeichnend, daß 1885 in Weimar beabsichtigt war, gleichzeitig ppe_038.038 mit der Sophienausgabe eine mehrbändige Goethebiographie in Auftrag ppe_038.039 zu geben als vierspännige Hofequipage, in die sich mindestens ppe_038.040 vier Bearbeiter, Literarhistoriker, Philosoph, Naturwissenschaftler ppe_038.041 und Historiker teilen sollten. Das Ergebnis wäre nicht ein Goethe
ppe_038.001 weiteren Baues vor Augen stand. Das gilt nicht nur von der textphilologischen ppe_038.002 Leistung, sondern ebenso von den stoffgeschichtlichen ppe_038.003 Reihen, den motivgeschichtlichen Vergleichen, den stilgeschichtlichen ppe_038.004 Parallelen, den festgestellten Quellen, Vorbildern und Einflüssen und ppe_038.005 den Beobachtungen zur poetischen Technik, die unermüdlicher Sammeleifer ppe_038.006 ohne letzte geistige Durchdringung zur Strecke brachte.
ppe_038.007 Als Aufgabe der Könige, die das Werk der Kärrner zu nutzen ppe_038.008 hatten, galt damals die große Monographie. Dem Berliner Nachfolger ppe_038.009 Scherers, Erich Schmidt, der in souveränem Kennertum eine ppe_038.010 königliche Erscheinung darstellte, war in jungen Jahren die zweibändige ppe_038.011 Biographie Lessings geglückt, die den Helden in den Mittelpunkt ppe_038.012 seiner Zeit stellte und in dem ihn umgebenden Netz, das alle ppe_038.013 Fäden literarischer Beziehungen verknüpfte, eine Enzyklopädie der ppe_038.014 Literatur des 18. Jahrhunderts entrollte. Der Wiener Schererschüler ppe_038.015 Jakob Minor hat seine ähnlich angelegte Schillerbiographie nach dem ppe_038.016 zweiten Band, der bis zum „Don Carlos“ führte, liegen lassen; noch ppe_038.017 ärger erging es Richard Weltrich, dessen Lebenswerk auf 900 Seiten ppe_038.018 nur bis zu den „Räubern“ gelangte. Es lag nicht an der philologischen ppe_038.019 Methode, wie es sich hier zeigt, denn Weltrich betrachtete den ppe_038.020 Ästhetiker Friedr. Theod. Vischer als seinen Lehrer. Auch der Philosoph ppe_038.021 Wilhelm Dilthey kam mit seinem Schleiermacher (1870) nicht ppe_038.022 über den ersten Band hinaus. Es lag an dem naturwissenschaftlichen ppe_038.023 Vollständigkeitswahn und der Tatsachenanbetung des Positivismus, ppe_038.024 die sich ad absurdum führte. Es mußte sich herausstellen, daß die ppe_038.025 enzyklopädische Biographie, die den gesamten Stoff nicht nur verarbeitete, ppe_038.026 sondern wiedergab, indem sie zugleich Nachschlagebuch für ppe_038.027 alle Lebensdaten und Beziehungen, Erschließung der ganzen inneren ppe_038.028 Entwicklung und Kommentar aller Werke sein wollte, formlos werden ppe_038.029 mußte und den Darsteller vor künstlerisch unlösbare Aufgaben ppe_038.030 stellte.
ppe_038.031 Die Vorstellung, welche Ausmaße eine nach solchen Grundsätzen ppe_038.032 unternommene Goethebiographie hätte in Anspruch nehmen können, ppe_038.033 ist schwindelerregend. Einmal hätte dieses Werk erst nach der großen ppe_038.034 Weimarer Ausgabe, deren Abschluß mehrere Jahrzehnte erforderte, ppe_038.035 richtig in Angriff genommen werden können; sodann hätte die Kraft ppe_038.036 und Lebensdauer eines einzelnen zur Bewältigung nicht ausgereicht. ppe_038.037 Es ist bezeichnend, daß 1885 in Weimar beabsichtigt war, gleichzeitig ppe_038.038 mit der Sophienausgabe eine mehrbändige Goethebiographie in Auftrag ppe_038.039 zu geben als vierspännige Hofequipage, in die sich mindestens ppe_038.040 vier Bearbeiter, Literarhistoriker, Philosoph, Naturwissenschaftler ppe_038.041 und Historiker teilen sollten. Das Ergebnis wäre nicht ein Goethe
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/62>, abgerufen am 21.11.2024.
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