ppe_065.001 seiner ontologischen Untersuchung jede Spielart des literarischen ppe_065.002 Kunstwerkes unterworfen, gleichviel ob "irgendein Kriminalroman ppe_065.003 aus einer Zeitung oder ein banales Liebesgedicht eines jungen ppe_065.004 Schülers" vorlägen. Erst nach Bereinigung der allgemeinen Begriffsbestimmung ppe_065.005 sollte an die ästhetische Schätzung herangegangen werden.
ppe_065.006 Soviel erkenntnistheoretische Berechtigung dieses planmäßige Vorgehen ppe_065.007 der phänomenologischen Methode haben mag, und so viel Wert ppe_065.008 ihm für die Abtrennung der wissenschaftlichen von der schönen ppe_065.009 Literatur zukommt, so wenig ist es doch für die Sichtung dessen, ppe_065.010 was übrig bleibt, brauchbar; die Praxis der Literaturwissenschaft ppe_065.011 kommt bei diesem langsamen Tempo nicht vorwärts. Wir können ppe_065.012 nicht beliebige Beispiele herausgreifen, um an ihnen begrifflich zu ppe_065.013 experimentieren, sondern wir stehen zunächst der ungeheuren Masse ppe_065.014 einer kaum übersehbaren Überlieferung gegenüber, die es zu bewältigen ppe_065.015 gilt. Wir müssen von vornherein den Unterschied machen ppe_065.016 zwischen Literatur und Makulatur. Damit erkennen wir eine Auslese ppe_065.017 an, die bereits die Zeit vollzogen hat. Das schülerhafte Liebesgedicht ppe_065.018 kann uns höchstens etwas angehen, wenn der Verfasser später ein ppe_065.019 großer Mann geworden ist und wenn sich in den tastenden Anfängen ppe_065.020 bereits Merkmale der Genialität erkennen lassen. Wir greifen also ppe_065.021 innerhalb der geschichtlichen Folge wieder auf das bibliothekarische ppe_065.022 Ordnungsprinzip des Namenkatalogs zurück und fassen das zusammen, ppe_065.023 was der Persönlichkeit eines Dichters zugehört und zu ihrem ppe_065.024 Ausdruck geworden ist. In diesem Zusammenhang gewinnen auch ppe_065.025 Literaturwerke Bedeutung, die man nicht zur Dichtung und vielleicht ppe_065.026 nur mit Einschränkung zur schönen Literatur rechnen kann wie ppe_065.027 Goethes "Italienische Reise", seine Winckelmann-Biographie, seine ppe_065.028 Cellini-Übersetzung, seine Farbenlehre. Das alles möchte Benedetto ppe_065.029 Croce ausdrücklich aus der Geschichte der Dichtung ausgeschlossen ppe_065.030 wissen. Wenn wir ihm nicht folgen wollen, so müssen wir an Stelle ppe_065.031 solcher Dichtungsbetrachtung, die keine Geschichte ist, den Begriff ppe_065.032 einer "Dichtergeschichte" setzen. Das klingt wie eine Analogie zur ppe_065.033 "Künstlergeschichte", die etwas abseits von der eigentlichen Kunstwissenschaft ppe_065.034 ihren Platz hat. Aber bei dem, was wir "Dichtergeschichte" ppe_065.035 nennen wollen, handelt es sich nicht um Aneinanderreihung ppe_065.036 von Biographien, die der Gesamtbetrachtung ein chronologisches ppe_065.037 Material zugrunde legen. Das Leben jedes einzelnen Dichters ppe_065.038 braucht nur in Betracht zu kommen, soweit die daraus erwachsenen ppe_065.039 Dichtungen zu ihm in Beziehung stehen, aber diese gehaltlichen, ppe_065.040 problemhaften und stilistischen Lebenszusammenhänge sind enger ppe_065.041 und unlösbarer als bei jeder anderen Kunst. In ihnen beruht nicht
ppe_065.001 seiner ontologischen Untersuchung jede Spielart des literarischen ppe_065.002 Kunstwerkes unterworfen, gleichviel ob „irgendein Kriminalroman ppe_065.003 aus einer Zeitung oder ein banales Liebesgedicht eines jungen ppe_065.004 Schülers“ vorlägen. Erst nach Bereinigung der allgemeinen Begriffsbestimmung ppe_065.005 sollte an die ästhetische Schätzung herangegangen werden.
ppe_065.006 Soviel erkenntnistheoretische Berechtigung dieses planmäßige Vorgehen ppe_065.007 der phänomenologischen Methode haben mag, und so viel Wert ppe_065.008 ihm für die Abtrennung der wissenschaftlichen von der schönen ppe_065.009 Literatur zukommt, so wenig ist es doch für die Sichtung dessen, ppe_065.010 was übrig bleibt, brauchbar; die Praxis der Literaturwissenschaft ppe_065.011 kommt bei diesem langsamen Tempo nicht vorwärts. Wir können ppe_065.012 nicht beliebige Beispiele herausgreifen, um an ihnen begrifflich zu ppe_065.013 experimentieren, sondern wir stehen zunächst der ungeheuren Masse ppe_065.014 einer kaum übersehbaren Überlieferung gegenüber, die es zu bewältigen ppe_065.015 gilt. Wir müssen von vornherein den Unterschied machen ppe_065.016 zwischen Literatur und Makulatur. Damit erkennen wir eine Auslese ppe_065.017 an, die bereits die Zeit vollzogen hat. Das schülerhafte Liebesgedicht ppe_065.018 kann uns höchstens etwas angehen, wenn der Verfasser später ein ppe_065.019 großer Mann geworden ist und wenn sich in den tastenden Anfängen ppe_065.020 bereits Merkmale der Genialität erkennen lassen. Wir greifen also ppe_065.021 innerhalb der geschichtlichen Folge wieder auf das bibliothekarische ppe_065.022 Ordnungsprinzip des Namenkatalogs zurück und fassen das zusammen, ppe_065.023 was der Persönlichkeit eines Dichters zugehört und zu ihrem ppe_065.024 Ausdruck geworden ist. In diesem Zusammenhang gewinnen auch ppe_065.025 Literaturwerke Bedeutung, die man nicht zur Dichtung und vielleicht ppe_065.026 nur mit Einschränkung zur schönen Literatur rechnen kann wie ppe_065.027 Goethes „Italienische Reise“, seine Winckelmann-Biographie, seine ppe_065.028 Cellini-Übersetzung, seine Farbenlehre. Das alles möchte Benedetto ppe_065.029 Croce ausdrücklich aus der Geschichte der Dichtung ausgeschlossen ppe_065.030 wissen. Wenn wir ihm nicht folgen wollen, so müssen wir an Stelle ppe_065.031 solcher Dichtungsbetrachtung, die keine Geschichte ist, den Begriff ppe_065.032 einer „Dichtergeschichte“ setzen. Das klingt wie eine Analogie zur ppe_065.033 „Künstlergeschichte“, die etwas abseits von der eigentlichen Kunstwissenschaft ppe_065.034 ihren Platz hat. Aber bei dem, was wir „Dichtergeschichte“ ppe_065.035 nennen wollen, handelt es sich nicht um Aneinanderreihung ppe_065.036 von Biographien, die der Gesamtbetrachtung ein chronologisches ppe_065.037 Material zugrunde legen. Das Leben jedes einzelnen Dichters ppe_065.038 braucht nur in Betracht zu kommen, soweit die daraus erwachsenen ppe_065.039 Dichtungen zu ihm in Beziehung stehen, aber diese gehaltlichen, ppe_065.040 problemhaften und stilistischen Lebenszusammenhänge sind enger ppe_065.041 und unlösbarer als bei jeder anderen Kunst. In ihnen beruht nicht
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aus einer Zeitung oder ein banales Liebesgedicht eines jungen ppe_065.004
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Soviel erkenntnistheoretische Berechtigung dieses planmäßige Vorgehen ppe_065.007
der phänomenologischen Methode haben mag, und so viel Wert ppe_065.008
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was übrig bleibt, brauchbar; die Praxis der Literaturwissenschaft ppe_065.011
kommt bei diesem langsamen Tempo nicht vorwärts. Wir können ppe_065.012
nicht beliebige Beispiele herausgreifen, um an ihnen begrifflich zu ppe_065.013
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Petersen, Julius: Die Wissenschaft von der Dichtung. System und Methodenlehre der Literaturwissenschaft. 2. Auflage. Berlin, 1944, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/petersen_poetik_1944/89>, abgerufen am 21.11.2024.
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