Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 2. Wien, 1850.erneuerte zeitweise seine Bitte. Da jagte man ihn fort, und als er nicht gleich gehen wollte, gab man ihm Schläge. Zufällig kam der Kapitän herbei und frug, was es gäbe. Der Knabe erzählte schluchzend sein Anliegen und seine Abfertigung, -- der Kapitän zuckte die Achseln, und der Knabe wurde aus dem Schiffe gebracht. Wie viel ähnliche und noch ärgere Begebenheiten habe ich nicht gesehen! Wenn uns die sogenannten "barbarischen und heidnischen Völker" verabscheuen und hassen, haben sie vollkommen Recht. Wo der Europäer hinkommt, will er nicht belohnen, sondern nur herrschen und gebieten, und gewöhnlich ist seine Herrschaft viel drückender als jene der Eingebornen. 26. Dec. Die Aussetzungen der Sterbenden an den Ufern des Ganges scheinen doch nicht so häufig zu seyn, wie viele Reisende erzählen. Wir fuhren nun schon vierzehn Tage auf dem Strome, waren an vielen reichbevölkerten Städten und Ortschaften vorüber gekommen, und erst heute kam mir ein solches Schauspiel zu Gesichte: der Sterbende lag knapp am Wasser, um ihn herum saßen mehrere Menschen, wahrscheinlich seine Verwandten, und harrten seiner Sterbestunde entgegen. Einer schöpfte mit der Hand Wasser oder Schlamm aus dem Flusse und berührte damit des Sterbenden Nase und Mund. Der Hindu glaubt, daß, wenn er mit dem Mund voll heiligen Wassers am Flusse selbst stirbt, er ganz gewiß in den Himmel kommt. Die Verwandten oder Freunde bleiben nur bis Sonnenuntergang bei dem Verscheidenden; dann gehen sie heim und überlassen ihn seinem Schicksale. Gewöhnlich wird er die Beute eines Crocodiles. erneuerte zeitweise seine Bitte. Da jagte man ihn fort, und als er nicht gleich gehen wollte, gab man ihm Schläge. Zufällig kam der Kapitän herbei und frug, was es gäbe. Der Knabe erzählte schluchzend sein Anliegen und seine Abfertigung, — der Kapitän zuckte die Achseln, und der Knabe wurde aus dem Schiffe gebracht. Wie viel ähnliche und noch ärgere Begebenheiten habe ich nicht gesehen! Wenn uns die sogenannten „barbarischen und heidnischen Völker“ verabscheuen und hassen, haben sie vollkommen Recht. Wo der Europäer hinkommt, will er nicht belohnen, sondern nur herrschen und gebieten, und gewöhnlich ist seine Herrschaft viel drückender als jene der Eingebornen. 26. Dec. Die Aussetzungen der Sterbenden an den Ufern des Ganges scheinen doch nicht so häufig zu seyn, wie viele Reisende erzählen. Wir fuhren nun schon vierzehn Tage auf dem Strome, waren an vielen reichbevölkerten Städten und Ortschaften vorüber gekommen, und erst heute kam mir ein solches Schauspiel zu Gesichte: der Sterbende lag knapp am Wasser, um ihn herum saßen mehrere Menschen, wahrscheinlich seine Verwandten, und harrten seiner Sterbestunde entgegen. Einer schöpfte mit der Hand Wasser oder Schlamm aus dem Flusse und berührte damit des Sterbenden Nase und Mund. Der Hindu glaubt, daß, wenn er mit dem Mund voll heiligen Wassers am Flusse selbst stirbt, er ganz gewiß in den Himmel kommt. Die Verwandten oder Freunde bleiben nur bis Sonnenuntergang bei dem Verscheidenden; dann gehen sie heim und überlassen ihn seinem Schicksale. Gewöhnlich wird er die Beute eines Crocodiles. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0167" n="160"/> erneuerte zeitweise seine Bitte. Da jagte man ihn fort, und als er nicht gleich gehen wollte, gab man ihm Schläge. Zufällig kam der Kapitän herbei und frug, was es gäbe. Der Knabe erzählte schluchzend sein Anliegen und seine Abfertigung, — der Kapitän zuckte die Achseln, und der Knabe wurde aus dem Schiffe gebracht.</p> <p>Wie viel ähnliche und noch ärgere Begebenheiten habe ich nicht gesehen! Wenn uns die sogenannten „barbarischen und heidnischen Völker“ verabscheuen und hassen, haben sie vollkommen Recht. Wo der Europäer hinkommt, will er nicht belohnen, sondern nur herrschen und gebieten, und gewöhnlich ist seine Herrschaft viel drückender als jene der Eingebornen.</p> <p>26. Dec. Die Aussetzungen der Sterbenden an den Ufern des Ganges scheinen doch nicht so häufig zu seyn, wie viele Reisende erzählen. Wir fuhren nun schon vierzehn Tage auf dem Strome, waren an vielen reichbevölkerten Städten und Ortschaften vorüber gekommen, und erst heute kam mir ein solches Schauspiel zu Gesichte: der Sterbende lag knapp am Wasser, um ihn herum saßen mehrere Menschen, wahrscheinlich seine Verwandten, und harrten seiner Sterbestunde entgegen. Einer schöpfte mit der Hand Wasser oder Schlamm aus dem Flusse und berührte damit des Sterbenden Nase und Mund. Der Hindu glaubt, daß, wenn er mit dem Mund voll heiligen Wassers am Flusse selbst stirbt, er ganz gewiß in den Himmel kommt. Die Verwandten oder Freunde bleiben nur bis Sonnenuntergang bei dem Verscheidenden; dann gehen sie heim und überlassen ihn seinem Schicksale. Gewöhnlich wird er die Beute eines Crocodiles.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [160/0167]
erneuerte zeitweise seine Bitte. Da jagte man ihn fort, und als er nicht gleich gehen wollte, gab man ihm Schläge. Zufällig kam der Kapitän herbei und frug, was es gäbe. Der Knabe erzählte schluchzend sein Anliegen und seine Abfertigung, — der Kapitän zuckte die Achseln, und der Knabe wurde aus dem Schiffe gebracht.
Wie viel ähnliche und noch ärgere Begebenheiten habe ich nicht gesehen! Wenn uns die sogenannten „barbarischen und heidnischen Völker“ verabscheuen und hassen, haben sie vollkommen Recht. Wo der Europäer hinkommt, will er nicht belohnen, sondern nur herrschen und gebieten, und gewöhnlich ist seine Herrschaft viel drückender als jene der Eingebornen.
26. Dec. Die Aussetzungen der Sterbenden an den Ufern des Ganges scheinen doch nicht so häufig zu seyn, wie viele Reisende erzählen. Wir fuhren nun schon vierzehn Tage auf dem Strome, waren an vielen reichbevölkerten Städten und Ortschaften vorüber gekommen, und erst heute kam mir ein solches Schauspiel zu Gesichte: der Sterbende lag knapp am Wasser, um ihn herum saßen mehrere Menschen, wahrscheinlich seine Verwandten, und harrten seiner Sterbestunde entgegen. Einer schöpfte mit der Hand Wasser oder Schlamm aus dem Flusse und berührte damit des Sterbenden Nase und Mund. Der Hindu glaubt, daß, wenn er mit dem Mund voll heiligen Wassers am Flusse selbst stirbt, er ganz gewiß in den Himmel kommt. Die Verwandten oder Freunde bleiben nur bis Sonnenuntergang bei dem Verscheidenden; dann gehen sie heim und überlassen ihn seinem Schicksale. Gewöhnlich wird er die Beute eines Crocodiles.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Sophie: A digital library of works by german-speaking women: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-06-28T07:11:29Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition
(2013-06-28T07:11:29Z)
Bayerische Staatsbibliothek Digital: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-06-28T07:11:29Z)
Weitere Informationen:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |