Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850.Wir ritten in der ersten Nacht zehn Stunden bis Jengitsche. Die Gegend war flach und wüst, ohne bebaute Felder, ohne Hütten und Menschen. Einige Meilen außerhalb Bagdad war die Kultur wie abgeschnitten, und erst bei Jengitsche sahen wir Stoppelfelder und Palmen, welche zeigten, daß der Fleiß des Menschen der Natur überall etwas abzuringen vermag. Die Karavanenreisen sind sehr ermüdend: man geht zwar immer im Schritte, aber unausgesetzt neun, auch bis zwölf Stunden. Dabei ist man des Schlafes bei Nacht beraubt, und den Tag über liegt man unter freiem Himmel, wo die große Hitze, mitunter die lästigen Fliegen und Mosquitos das Nachholen der versäumten Ruhe beinahe unmöglich machen. 18. Juni. Wir fanden in Jengitsche einen Chan, der aber an Schönheit und Reinlichkeit bei weitem nicht jenen auf dem Wege nach Babylon glich, -- das beste war seine Lage am Tigris. Den Chan umgab ein kleines Dörfchen, in das mich der Hunger trieb. Ich ging von Hütte zu Hütte und eroberte glücklich etwas Milch und drei Eier. Letztere legte ich gleich in die heiße Asche, packte dann alles zusammen, füllte am Tigris meine lederne Flasche und kehrte so belastet stolz zu meinem Chan zurück. Die Eier verspeiste ich gleich, die Milch sparte ich für den Abend. Ich fühlte mich bei meiner so schwer erkämpften Mahlzeit gewiß glücklicher und zufriedener als manche an der best besetzten Tafel. Bei meinem Streifzuge durch das Dorf sah ich, daß dieses früher groß gewesen sein mochte: viele verfallene Wir ritten in der ersten Nacht zehn Stunden bis Jengitsché. Die Gegend war flach und wüst, ohne bebaute Felder, ohne Hütten und Menschen. Einige Meilen außerhalb Bagdad war die Kultur wie abgeschnitten, und erst bei Jengitsché sahen wir Stoppelfelder und Palmen, welche zeigten, daß der Fleiß des Menschen der Natur überall etwas abzuringen vermag. Die Karavanenreisen sind sehr ermüdend: man geht zwar immer im Schritte, aber unausgesetzt neun, auch bis zwölf Stunden. Dabei ist man des Schlafes bei Nacht beraubt, und den Tag über liegt man unter freiem Himmel, wo die große Hitze, mitunter die lästigen Fliegen und Mosquitos das Nachholen der versäumten Ruhe beinahe unmöglich machen. 18. Juni. Wir fanden in Jengitsché einen Chan, der aber an Schönheit und Reinlichkeit bei weitem nicht jenen auf dem Wege nach Babylon glich, — das beste war seine Lage am Tigris. Den Chan umgab ein kleines Dörfchen, in das mich der Hunger trieb. Ich ging von Hütte zu Hütte und eroberte glücklich etwas Milch und drei Eier. Letztere legte ich gleich in die heiße Asche, packte dann alles zusammen, füllte am Tigris meine lederne Flasche und kehrte so belastet stolz zu meinem Chan zurück. Die Eier verspeiste ich gleich, die Milch sparte ich für den Abend. Ich fühlte mich bei meiner so schwer erkämpften Mahlzeit gewiß glücklicher und zufriedener als manche an der best besetzten Tafel. Bei meinem Streifzuge durch das Dorf sah ich, daß dieses früher groß gewesen sein mochte: viele verfallene <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0158" n="150"/> <p>Wir ritten in der ersten Nacht zehn Stunden bis <hi rendition="#aq">Jengitsché</hi>. Die Gegend war flach und wüst, ohne bebaute Felder, ohne Hütten und Menschen. Einige Meilen außerhalb <hi rendition="#aq">Bagdad</hi> war die Kultur wie abgeschnitten, und erst bei <hi rendition="#aq">Jengitsché</hi> sahen wir Stoppelfelder und Palmen, welche zeigten, daß der Fleiß des Menschen der Natur überall etwas abzuringen vermag.</p> <p>Die Karavanenreisen sind sehr ermüdend: man geht zwar immer im Schritte, aber unausgesetzt neun, auch bis zwölf Stunden. Dabei ist man des Schlafes bei Nacht beraubt, und den Tag über liegt man unter freiem Himmel, wo die große Hitze, mitunter die lästigen Fliegen und Mosquitos das Nachholen der versäumten Ruhe beinahe unmöglich machen.</p> <p>18. Juni. Wir fanden in <hi rendition="#aq">Jengitsché</hi> einen Chan, der aber an Schönheit und Reinlichkeit bei weitem nicht jenen auf dem Wege nach <hi rendition="#aq">Babylon</hi> glich, — das beste war seine Lage am Tigris.</p> <p>Den Chan umgab ein kleines Dörfchen, in das mich der Hunger trieb. Ich ging von Hütte zu Hütte und eroberte glücklich etwas Milch und drei Eier. Letztere legte ich gleich in die heiße Asche, packte dann alles zusammen, füllte am Tigris meine lederne Flasche und kehrte so belastet stolz zu meinem Chan zurück. Die Eier verspeiste ich gleich, die Milch sparte ich für den Abend. Ich fühlte mich bei meiner so schwer erkämpften Mahlzeit gewiß glücklicher und zufriedener als manche an der best besetzten Tafel.</p> <p>Bei meinem Streifzuge durch das Dorf sah ich, daß dieses früher groß gewesen sein mochte: viele verfallene </p> </div> </body> </text> </TEI> [150/0158]
Wir ritten in der ersten Nacht zehn Stunden bis Jengitsché. Die Gegend war flach und wüst, ohne bebaute Felder, ohne Hütten und Menschen. Einige Meilen außerhalb Bagdad war die Kultur wie abgeschnitten, und erst bei Jengitsché sahen wir Stoppelfelder und Palmen, welche zeigten, daß der Fleiß des Menschen der Natur überall etwas abzuringen vermag.
Die Karavanenreisen sind sehr ermüdend: man geht zwar immer im Schritte, aber unausgesetzt neun, auch bis zwölf Stunden. Dabei ist man des Schlafes bei Nacht beraubt, und den Tag über liegt man unter freiem Himmel, wo die große Hitze, mitunter die lästigen Fliegen und Mosquitos das Nachholen der versäumten Ruhe beinahe unmöglich machen.
18. Juni. Wir fanden in Jengitsché einen Chan, der aber an Schönheit und Reinlichkeit bei weitem nicht jenen auf dem Wege nach Babylon glich, — das beste war seine Lage am Tigris.
Den Chan umgab ein kleines Dörfchen, in das mich der Hunger trieb. Ich ging von Hütte zu Hütte und eroberte glücklich etwas Milch und drei Eier. Letztere legte ich gleich in die heiße Asche, packte dann alles zusammen, füllte am Tigris meine lederne Flasche und kehrte so belastet stolz zu meinem Chan zurück. Die Eier verspeiste ich gleich, die Milch sparte ich für den Abend. Ich fühlte mich bei meiner so schwer erkämpften Mahlzeit gewiß glücklicher und zufriedener als manche an der best besetzten Tafel.
Bei meinem Streifzuge durch das Dorf sah ich, daß dieses früher groß gewesen sein mochte: viele verfallene
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Zitationshilfe: | Pfeiffer, Ida: Eine Frauenfahrt um die Welt, Band 3. Wien, 1850, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pfeiffer_frauenfahrt03_1850/158>, abgerufen am 16.02.2025. |