Pfizer, Gustav: Die deutsche Einheit und der Preußenhaß. Stuttgart, 1849.Die preußische Verfassung weicht in manchen auch wichtigen Punk- Eine sehr wichtige Veränderung betrifft das Wahlgesetz, von wel- Die preußiſche Verfaſſung weicht in manchen auch wichtigen Punk- Eine ſehr wichtige Veränderung betrifft das Wahlgeſetz, von wel- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0030" n="20"/> <p>Die preußiſche Verfaſſung weicht in manchen auch wichtigen Punk-<lb/> ten von der Frankfurter ab, namentlich darin, daß ein Fürſtenkollegium,<lb/> den Reichsvorſtand umgebend, eingeſchoben iſt, (womit Preußen den<lb/> Dynaſtien ein Zugeſtändniß gemacht hat) ſo wie in der Wiederherſtel-<lb/> lung der Matrikularbeiträge ſtatt Reichsſteuern. Der Einheit und Cen-<lb/> tralität geſchieht hiedurch offenbar Abbruch, und die Regierung wird<lb/> ſchwerfälliger und verwickelter. Aber welcher aufrichtige und beſonnene<lb/> Vaterlandsfreund ſollte ſich durch dieſe Mängel abhalten laſſen, zuzu-<lb/> greifen! und hätte nicht Jedermann gejubelt, wenn vor anderthalb<lb/> Jahren <hi rendition="#g">ſo Viel</hi> zu bekommen geweſen wäre? Auch an den Grund-<lb/> rechten iſt einiges geändert worden, aber, nach dem Urtheil vieler Ein-<lb/> ſichtiger und Freiſinniger: meiſt <hi rendition="#g">nicht</hi> zum Nachtheil der Verfaſſung.<lb/> Denn manche Beſtimmungen der Grundrechte ſind nicht aus gehöriger<lb/><choice><sic>Sachkenntnnß</sic><corr>Sachkenntniß</corr></choice>, Erwägung der Verhältniſſe und Folgen hervorgegangen,<lb/> und würden ſich entweder bei der Durchführung als unmöglich, oder<lb/> in ihren Wirkungen als nachtheilig und verderblich erweiſen.</p><lb/> <p>Eine ſehr wichtige Veränderung betrifft das Wahlgeſetz, von wel-<lb/> chem auch allein die Bezeichnung gilt, welche man häufig auf die ganze<lb/> Verfaſſung anwenden hört, die der <hi rendition="#g">Oktroyirung</hi>. Das Reichswahl-<lb/> geſetz wurde ſogleich von allen einſichtsvollen Männern als eine Cala-<lb/> mität betrachtet und nur von den Männern der ewigen Neuerung mit<lb/> Jubel begrüßt. Die Wirkungen eines noch weniger allgemeinen gleichen<lb/> Wahlrechts liegen in den neuen württembergiſchen Wahlen zu Tage.<lb/> Mit jenem Wahlgeſetz wäre allerdings die Reichsverfaſſung auf Flug-<lb/> ſand geſtanden, und eine Aenderung durch den Reichstag ſelbſt wäre<lb/> durchaus wünſchenswerth geweſen. Das preußiſche Wahlgeſetz iſt nun<lb/> allerdings <hi rendition="#g">oktroyirt</hi>, d. h. einſeitig von den drei Regierungen erlaſ-<lb/> ſen, und enthält manche Beſtimmungen, welche ſofort als unſtatthaft<lb/> erkannt wurden. Aber das <hi rendition="#g">Prinzip</hi> deſſelben, daß die Stimmgebung<lb/> bei Wahlen, ausgedehnt zwar auf alle unbeſcholtene und ſelbſtſtändige<lb/> Bürger, im Verhältniß ſtehen müſſe mit den Leiſtungen der Bürger<lb/> an den Staat und mit der Intelligenz, ſoweit ſie ſich aus äußern<lb/> Merkmalen vermuthen läßt, dieß <hi rendition="#g">Prinzip</hi> iſt ohne Zweifel richtiger<lb/> als dasjenige, welches, unter dem Namen der höchſten Gerechtigkeit<lb/> und Gleichheit, der Maſſe der politiſch Ungebildeten und der Beſitz-<lb/> loſen das Uebergewicht über die Gebildeten und Beſitzenden verleiht, und<lb/> blinde oder gewiſſenloſe Demagogen, denen die unſelbſtſtändige Menge<lb/> anhängt, mit Vernichtung der Bedeutung der <hi rendition="#g">wahrhaft ſelbſtſtändigen</hi><lb/> Bürger, zu Herren der Wahlen macht. Auch ſind von Seite Preußens<lb/> ſofort den übrigen Staaten die nach den Verhältniſſen nothwendigen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [20/0030]
Die preußiſche Verfaſſung weicht in manchen auch wichtigen Punk-
ten von der Frankfurter ab, namentlich darin, daß ein Fürſtenkollegium,
den Reichsvorſtand umgebend, eingeſchoben iſt, (womit Preußen den
Dynaſtien ein Zugeſtändniß gemacht hat) ſo wie in der Wiederherſtel-
lung der Matrikularbeiträge ſtatt Reichsſteuern. Der Einheit und Cen-
tralität geſchieht hiedurch offenbar Abbruch, und die Regierung wird
ſchwerfälliger und verwickelter. Aber welcher aufrichtige und beſonnene
Vaterlandsfreund ſollte ſich durch dieſe Mängel abhalten laſſen, zuzu-
greifen! und hätte nicht Jedermann gejubelt, wenn vor anderthalb
Jahren ſo Viel zu bekommen geweſen wäre? Auch an den Grund-
rechten iſt einiges geändert worden, aber, nach dem Urtheil vieler Ein-
ſichtiger und Freiſinniger: meiſt nicht zum Nachtheil der Verfaſſung.
Denn manche Beſtimmungen der Grundrechte ſind nicht aus gehöriger
Sachkenntniß, Erwägung der Verhältniſſe und Folgen hervorgegangen,
und würden ſich entweder bei der Durchführung als unmöglich, oder
in ihren Wirkungen als nachtheilig und verderblich erweiſen.
Eine ſehr wichtige Veränderung betrifft das Wahlgeſetz, von wel-
chem auch allein die Bezeichnung gilt, welche man häufig auf die ganze
Verfaſſung anwenden hört, die der Oktroyirung. Das Reichswahl-
geſetz wurde ſogleich von allen einſichtsvollen Männern als eine Cala-
mität betrachtet und nur von den Männern der ewigen Neuerung mit
Jubel begrüßt. Die Wirkungen eines noch weniger allgemeinen gleichen
Wahlrechts liegen in den neuen württembergiſchen Wahlen zu Tage.
Mit jenem Wahlgeſetz wäre allerdings die Reichsverfaſſung auf Flug-
ſand geſtanden, und eine Aenderung durch den Reichstag ſelbſt wäre
durchaus wünſchenswerth geweſen. Das preußiſche Wahlgeſetz iſt nun
allerdings oktroyirt, d. h. einſeitig von den drei Regierungen erlaſ-
ſen, und enthält manche Beſtimmungen, welche ſofort als unſtatthaft
erkannt wurden. Aber das Prinzip deſſelben, daß die Stimmgebung
bei Wahlen, ausgedehnt zwar auf alle unbeſcholtene und ſelbſtſtändige
Bürger, im Verhältniß ſtehen müſſe mit den Leiſtungen der Bürger
an den Staat und mit der Intelligenz, ſoweit ſie ſich aus äußern
Merkmalen vermuthen läßt, dieß Prinzip iſt ohne Zweifel richtiger
als dasjenige, welches, unter dem Namen der höchſten Gerechtigkeit
und Gleichheit, der Maſſe der politiſch Ungebildeten und der Beſitz-
loſen das Uebergewicht über die Gebildeten und Beſitzenden verleiht, und
blinde oder gewiſſenloſe Demagogen, denen die unſelbſtſtändige Menge
anhängt, mit Vernichtung der Bedeutung der wahrhaft ſelbſtſtändigen
Bürger, zu Herren der Wahlen macht. Auch ſind von Seite Preußens
ſofort den übrigen Staaten die nach den Verhältniſſen nothwendigen
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