Wenn wir nun die zum Beweise erbrachten Experimente einerseits, die pathologischen Thatsachen andererseits in's Auge fassen, so erhellt, dass das einheitliche, untheilbare Ganze des Bewusstseins als Prämisse der Beweisführung aufgestellt ist. Diese Prämisse ist selbst nur eine Theorie -- eine Hypothese. Mit Hypothesen kann man aber Nichts beweisen. Da es eine ausgemachte Sache ist, dass das Bewusstsein in den niederen Thieren theilbar ist, dass das eine Bewusstsein einer Naide z. B. in so viel Bewusstseinscentra zerlegt werden kann, als Stücke aus dem Thiere gebildet werden durch beliebige Thei¬ lung, so wäre es eben eine grosse Frage, ob Das nicht auch bei den höheren Thieren der Fall sein könne, wenn wir es nicht geradezu der Analogie halber als ein Wahrscheinliches hinstellen wollen. Wenn nun dem Rückenmarke sensorische Functionen zukämen, so könnte nach der gegebenen Analogie das eine Centralbewusstsein eines Thieres durch Durchschnei¬ dung des Rückenmarkes in so viele Bewusstseinscentra zerlegt werden, als das Centralmark in Stücke zerlegt ist. -- Wir würden also bei einem Schnitt ein Hirnbewusstsein und ein Rückenmarksbewusstsein herstellen, welche beide, unabhängig von einander, als zwei Centralheerde fungiren. Die von den Autoren zum Beweise erbrachten physiologischen Experimente, von denen wir eines als Beispiel aus Marshall Hall oben mitge¬ theilt haben, sowie die pathologischen Thatsachen von Para¬ plegie sollen beweisen, dass das unter der Trennung gelegene Centralmark nicht mehr der Empfindung und willkürlichen Be¬ wegung fähig sei. Wenn man nun dargethan hat, dass jeder Theil des Centralmarkes, sowohl der über als unter der Tren¬ nung gelegene, nicht mehr auf Reize reagirt, welche Nerven treffen, die dem anderen Centralmarksstücke angehören, so be¬ weist Das nicht mehr, als dass eben beide Centraltheile nun¬ mehr in keiner Beziehung zu einander stehen, sondern selbst¬ ständige Centren sind. Es beweist aber keineswegs, was eben zu beweisen war, dass nämlich nicht jeder Theil für sich empfinde und für sich willkürliche Bewegung erzeuge. Aller¬
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Wenn wir nun die zum Beweise erbrachten Experimente einerseits, die pathologischen Thatsachen andererseits in's Auge fassen, so erhellt, dass das einheitliche, untheilbare Ganze des Bewusstseins als Prämisse der Beweisführung aufgestellt ist. Diese Prämisse ist selbst nur eine Theorie — eine Hypothese. Mit Hypothesen kann man aber Nichts beweisen. Da es eine ausgemachte Sache ist, dass das Bewusstsein in den niederen Thieren theilbar ist, dass das eine Bewusstsein einer Naide z. B. in so viel Bewusstseinscentra zerlegt werden kann, als Stücke aus dem Thiere gebildet werden durch beliebige Thei¬ lung, so wäre es eben eine grosse Frage, ob Das nicht auch bei den höheren Thieren der Fall sein könne, wenn wir es nicht geradezu der Analogie halber als ein Wahrscheinliches hinstellen wollen. Wenn nun dem Rückenmarke sensorische Functionen zukämen, so könnte nach der gegebenen Analogie das eine Centralbewusstsein eines Thieres durch Durchschnei¬ dung des Rückenmarkes in so viele Bewusstseinscentra zerlegt werden, als das Centralmark in Stücke zerlegt ist. — Wir würden also bei einem Schnitt ein Hirnbewusstsein und ein Rückenmarksbewusstsein herstellen, welche beide, unabhängig von einander, als zwei Centralheerde fungiren. Die von den Autoren zum Beweise erbrachten physiologischen Experimente, von denen wir eines als Beispiel aus Marshall Hall oben mitge¬ theilt haben, sowie die pathologischen Thatsachen von Para¬ plegie sollen beweisen, dass das unter der Trennung gelegene Centralmark nicht mehr der Empfindung und willkürlichen Be¬ wegung fähig sei. Wenn man nun dargethan hat, dass jeder Theil des Centralmarkes, sowohl der über als unter der Tren¬ nung gelegene, nicht mehr auf Reize reagirt, welche Nerven treffen, die dem anderen Centralmarksstücke angehören, so be¬ weist Das nicht mehr, als dass eben beide Centraltheile nun¬ mehr in keiner Beziehung zu einander stehen, sondern selbst¬ ständige Centren sind. Es beweist aber keineswegs, was eben zu beweisen war, dass nämlich nicht jeder Theil für sich empfinde und für sich willkürliche Bewegung erzeuge. Aller¬
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Wenn wir nun die zum Beweise erbrachten Experimente
einerseits, die pathologischen Thatsachen andererseits in's Auge
fassen, so erhellt, dass das einheitliche, untheilbare Ganze des
Bewusstseins als Prämisse der Beweisführung aufgestellt ist.
Diese Prämisse ist selbst nur eine Theorie — eine Hypothese.
Mit Hypothesen kann man aber Nichts beweisen. Da es eine
ausgemachte Sache ist, dass das Bewusstsein in den niederen
Thieren theilbar ist, dass das eine Bewusstsein einer Naide
z. B. in so viel Bewusstseinscentra zerlegt werden kann, als
Stücke aus dem Thiere gebildet werden durch beliebige Thei¬
lung, so wäre es eben eine grosse Frage, ob Das nicht auch
bei den höheren Thieren der Fall sein könne, wenn wir es
nicht geradezu der Analogie halber als ein Wahrscheinliches
hinstellen wollen. Wenn nun dem Rückenmarke sensorische
Functionen zukämen, so könnte nach der gegebenen Analogie
das eine Centralbewusstsein eines Thieres durch Durchschnei¬
dung des Rückenmarkes in so viele Bewusstseinscentra zerlegt
werden, als das Centralmark in Stücke zerlegt ist. — Wir
würden also bei einem Schnitt ein Hirnbewusstsein und ein
Rückenmarksbewusstsein herstellen, welche beide, unabhängig
von einander, als zwei Centralheerde fungiren. Die von den
Autoren zum Beweise erbrachten physiologischen Experimente,
von denen wir eines als Beispiel aus Marshall Hall oben mitge¬
theilt haben, sowie die pathologischen Thatsachen von Para¬
plegie sollen beweisen, dass das unter der Trennung gelegene
Centralmark nicht mehr der Empfindung und willkürlichen Be¬
wegung fähig sei. Wenn man nun dargethan hat, dass jeder
Theil des Centralmarkes, sowohl der über als unter der Tren¬
nung gelegene, nicht mehr auf Reize reagirt, welche Nerven
treffen, die dem anderen Centralmarksstücke angehören, so be¬
weist Das nicht mehr, als dass eben beide Centraltheile nun¬
mehr in keiner Beziehung zu einander stehen, sondern selbst¬
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Pflüger, Eduard Friedrich Wilhelm: Die sensorischen Functionen des Rückenmarks der Wirbelthiere. Berlin, 1853, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pflueger_rueckenmark_1853/55>, abgerufen am 16.07.2024.
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