Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.Vorzug der kriechenden Poesie in fliegenden Haaren bey dunklem Mondscheinezu Fuße nach Hause. Jhr Amant weiß nicht, daß sie es ist; sondern, weil ihm der Trunk und der Mond die Augen blenden, siehet ers für ein spückend Gespenst an, und löset, ohnweit dem Gelender, wo es so abschüfrig hinunter gehet, eine Pistol auf sie. Zu gutem Glücke streift ihr die Kugel beym Kopfe vorbey, und er erkennt sie an der Stimme. So könnte mirs auch gehen, wenn ich meine poetische Gegner in der Furie flugs angreifen, und nicht erst die Streit-Punk- te, nebst den Kampf-Gesetzen des vorhabenden Turniers mit meinen Gegnern ohne Bitterkeit abreden wollte. Es soll auch hier heissen: Der Person Freund, und der Sache Feind. Jch nehme auf mich, die Reimschmiede und kriechen- de Poeten zu vertheidigen. Wer hierinn nicht mit mir ist, der ist wider mich. § 2. Was ist denn nun wol die neue so be- habe
Vorzug der kriechenden Poeſie in fliegenden Haaren bey dunklem Mondſcheinezu Fuße nach Hauſe. Jhr Amant weiß nicht, daß ſie es iſt; ſondern, weil ihm der Trunk und der Mond die Augen blenden, ſiehet ers fuͤr ein ſpuͤckend Geſpenſt an, und loͤſet, ohnweit dem Gelender, wo es ſo abſchuͤfrig hinunter gehet, eine Piſtol auf ſie. Zu gutem Gluͤcke ſtreift ihr die Kugel beym Kopfe vorbey, und er erkennt ſie an der Stimme. So koͤnnte mirs auch gehen, wenn ich meine poetiſche Gegner in der Furie flugs angreifen, und nicht erſt die Streit-Punk- te, nebſt den Kampf-Geſetzen des vorhabenden Turniers mit meinen Gegnern ohne Bitterkeit abreden wollte. Es ſoll auch hier heiſſen: Der Perſon Freund, und der Sache Feind. Jch nehme auf mich, die Reimſchmiede und kriechen- de Poeten zu vertheidigen. Wer hierinn nicht mit mir iſt, der iſt wider mich. § 2. Was iſt denn nun wol die neue ſo be- habe
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Vorzug der kriechenden Poeſie
in fliegenden Haaren bey dunklem Mondſcheine
zu Fuße nach Hauſe. Jhr Amant weiß nicht,
daß ſie es iſt; ſondern, weil ihm der Trunk und
der Mond die Augen blenden, ſiehet ers fuͤr ein
ſpuͤckend Geſpenſt an, und loͤſet, ohnweit dem
Gelender, wo es ſo abſchuͤfrig hinunter gehet,
eine Piſtol auf ſie. Zu gutem Gluͤcke ſtreift ihr
die Kugel beym Kopfe vorbey, und er erkennt ſie
an der Stimme. So koͤnnte mirs auch gehen,
wenn ich meine poetiſche Gegner in der Furie
flugs angreifen, und nicht erſt die Streit-Punk-
te, nebſt den Kampf-Geſetzen des vorhabenden
Turniers mit meinen Gegnern ohne Bitterkeit
abreden wollte. Es ſoll auch hier heiſſen: Der
Perſon Freund, und der Sache Feind. Jch
nehme auf mich, die Reimſchmiede und kriechen-
de Poeten zu vertheidigen. Wer hierinn nicht
mit mir iſt, der iſt wider mich.
§ 2. Was iſt denn nun wol die neue ſo be-
rufene natuͤrliche, maͤnnliche und erhabene
Dichtkunſt? Es gehet mir beynahe ſo, wie vor
zehn Jahren dem Wittenbergiſchen Profeſſori
eloquentiae, Rath Kromeyer. Der hatte
des damaligen Haͤlliſchen Profeſſors der deut-
ſchen Redner-Kunſt, D. Johann Ernſt Phi-
lippi, Jnaugural-Programma von der heroi-
ſchen Beredſamkeit zu Geſichte bekommen, und
ſchrieb nach der Zeit an dieſen Haͤlliſchen Red-
ner: Er moͤgte ihm doch ſagen, was die heroi-
ſche Beredſamkeit fuͤr Regeln habe; er ſey nun
wol dreyßig Jahre Profeſſor eloquentiae, und
habe
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Zitationshilfe: | Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/128>, abgerufen am 16.02.2025. |