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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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vor der erhabenen Dichterey.
größer vor, als des andern, die er noch dazu
mit dem Fernglase der Verkleinerung über-
schauet. Wie auch ein englisch Microscopium
die kleinsten Pünktgen groß vorstellet: Also wird
ein Erforscher seiner eigenen Größe nicht leicht
ein Pünktgen von sich selber übergehen, das
er nicht sorgfältig betrachtet, es hernach durch
einen optischen Reflexions-Spiegel nochmals
beschauet, und, so zu reden, sich selber in einem
Spiegel stehen siehet,
sich vom Haupte bis auf
den Fuß ausmisset, und das Urtheil fället, er
sey um viel Zolle größer, als der andere. Gleich-
wie aber ein Fernglas auch die merklichen Grös-
sen
wegen der Entfernung unkenntlich macht:
Also wird ein ehrgeiziger und sich selbst groß
dünkender Poete
über des andern Geschicklich-
keiten, die er nur als von weitem und mit einem
Ruck
ansiehet, geschwind hinweg eilen, auch sich
nicht die Mühe geben, jenen, wie sich, punkts-
weise
und nach seiner wahren Größe auszu-
messen; daher er sich nothwendig ärgern muß,
daß, da ihm der andere, den er so in der Ferne
und nur ganz legerement besehen, so gar klein
gegen sich vorkömmt,
jener dennoch vorgeben
will, er sey größer. Da aber ein kriechender
Poet seine eigene Niedrigkeit gestehet, und sich
so tief herunter setzet, daß er sich auch nur mit
kriechenden Thieren und Gewürme vergleichet:
So ladet er nimmer so viel Haß auf sich, als
jener. Man beneidet ihn auch nicht so, als die
erhabenen Poeten. Denn wenn deren Fürtreff-

lichkeiten
J 5

vor der erhabenen Dichterey.
groͤßer vor, als des andern, die er noch dazu
mit dem Fernglaſe der Verkleinerung uͤber-
ſchauet. Wie auch ein engliſch Microſcopium
die kleinſten Puͤnktgen groß vorſtellet: Alſo wird
ein Erforſcher ſeiner eigenen Groͤße nicht leicht
ein Puͤnktgen von ſich ſelber uͤbergehen, das
er nicht ſorgfaͤltig betrachtet, es hernach durch
einen optiſchen Reflexions-Spiegel nochmals
beſchauet, und, ſo zu reden, ſich ſelber in einem
Spiegel ſtehen ſiehet,
ſich vom Haupte bis auf
den Fuß ausmiſſet, und das Urtheil faͤllet, er
ſey um viel Zolle groͤßer, als der andere. Gleich-
wie aber ein Fernglas auch die merklichen Groͤſ-
ſen
wegen der Entfernung unkenntlich macht:
Alſo wird ein ehrgeiziger und ſich ſelbſt groß
duͤnkender Poete
uͤber des andern Geſchicklich-
keiten, die er nur als von weitem und mit einem
Ruck
anſiehet, geſchwind hinweg eilen, auch ſich
nicht die Muͤhe geben, jenen, wie ſich, punkts-
weiſe
und nach ſeiner wahren Groͤße auszu-
meſſen; daher er ſich nothwendig aͤrgern muß,
daß, da ihm der andere, den er ſo in der Ferne
und nur ganz legérement beſehen, ſo gar klein
gegen ſich vorkoͤmmt,
jener dennoch vorgeben
will, er ſey groͤßer. Da aber ein kriechender
Poet ſeine eigene Niedrigkeit geſtehet, und ſich
ſo tief herunter ſetzet, daß er ſich auch nur mit
kriechenden Thieren und Gewuͤrme vergleichet:
So ladet er nimmer ſo viel Haß auf ſich, als
jener. Man beneidet ihn auch nicht ſo, als die
erhabenen Poeten. Denn wenn deren Fuͤrtreff-

lichkeiten
J 5
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[137/0145] vor der erhabenen Dichterey. groͤßer vor, als des andern, die er noch dazu mit dem Fernglaſe der Verkleinerung uͤber- ſchauet. Wie auch ein engliſch Microſcopium die kleinſten Puͤnktgen groß vorſtellet: Alſo wird ein Erforſcher ſeiner eigenen Groͤße nicht leicht ein Puͤnktgen von ſich ſelber uͤbergehen, das er nicht ſorgfaͤltig betrachtet, es hernach durch einen optiſchen Reflexions-Spiegel nochmals beſchauet, und, ſo zu reden, ſich ſelber in einem Spiegel ſtehen ſiehet, ſich vom Haupte bis auf den Fuß ausmiſſet, und das Urtheil faͤllet, er ſey um viel Zolle groͤßer, als der andere. Gleich- wie aber ein Fernglas auch die merklichen Groͤſ- ſen wegen der Entfernung unkenntlich macht: Alſo wird ein ehrgeiziger und ſich ſelbſt groß duͤnkender Poete uͤber des andern Geſchicklich- keiten, die er nur als von weitem und mit einem Ruck anſiehet, geſchwind hinweg eilen, auch ſich nicht die Muͤhe geben, jenen, wie ſich, punkts- weiſe und nach ſeiner wahren Groͤße auszu- meſſen; daher er ſich nothwendig aͤrgern muß, daß, da ihm der andere, den er ſo in der Ferne und nur ganz legérement beſehen, ſo gar klein gegen ſich vorkoͤmmt, jener dennoch vorgeben will, er ſey groͤßer. Da aber ein kriechender Poet ſeine eigene Niedrigkeit geſtehet, und ſich ſo tief herunter ſetzet, daß er ſich auch nur mit kriechenden Thieren und Gewuͤrme vergleichet: So ladet er nimmer ſo viel Haß auf ſich, als jener. Man beneidet ihn auch nicht ſo, als die erhabenen Poeten. Denn wenn deren Fuͤrtreff- lichkeiten J 5

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/145>, abgerufen am 21.11.2024.