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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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vor der erhabenen Dichterey.
gen binnen Jahres Frist heyrathen, oder in
Strafe fallen sollen: So wäre es ein aufge-
weckter Spaß, der zu vielem weitern Scherz
Anlaß geben könnte.

§ 26. Da nun also die burlesque Poesie
nicht zur natürlichen, wo lauter Beschreibun-
gen nach dem Leben,
und keine Fictiones, sind,
vielweniger zur erhabenen Poesie gehöret: So
müssen die neuen Poeten entweder solche zur
männlichen rechnen, der sie doch solche entgegen
setzen, mithin sich selber widersprechen, oder aber
die Distinction unter einer männlichen und un-
männlichen Poesie,
damit nicht etwa gar ein
Zwitter herauskomme, fahren lassen. Sie
wollen sich zwar helfen, und sagen, die scher-
zende kriechende
Poesie verfalle ins Schäkern,
Haseliren
und Narrentheiding. Jhre bur-
lesque
Poesie aber schreite nie aus den Schran-
ken der Bescheidenheit. Es sey bloß eine Art
ingenieuser Einfälle, da die männliche Poesie
mehr judicieuse Gedanken habe. Allein es ge-
hört oft mehr iudicium discretiuum zu einem
rechten Scherz, daß er nicht ins Plumpe oder
Niederträchtige falle, als wenn man eine Sa-
che plattweg fein ernsthaft oder männlich be-
schreibet. Daher kömmt ein Reim-Schmied
besser weg, wenn er bald ernsthaft thut, bald
schäkert, bald kollert; bald trotzet, bald ra-
set,
bald zu Kreuze kriechet; bald labbert, bald
zweyzünglet, bald zuplumpet. Denn wie es
die Menschen wirklich machen, daß der eine erst

lange,

vor der erhabenen Dichterey.
gen binnen Jahres Friſt heyrathen, oder in
Strafe fallen ſollen: So waͤre es ein aufge-
weckter Spaß, der zu vielem weitern Scherz
Anlaß geben koͤnnte.

§ 26. Da nun alſo die burlesque Poeſie
nicht zur natuͤrlichen, wo lauter Beſchreibun-
gen nach dem Leben,
und keine Fictiones, ſind,
vielweniger zur erhabenen Poeſie gehoͤret: So
muͤſſen die neuen Poeten entweder ſolche zur
maͤnnlichen rechnen, der ſie doch ſolche entgegen
ſetzen, mithin ſich ſelber widerſprechen, oder aber
die Diſtinction unter einer maͤnnlichen und un-
maͤnnlichen Poeſie,
damit nicht etwa gar ein
Zwitter herauskomme, fahren laſſen. Sie
wollen ſich zwar helfen, und ſagen, die ſcher-
zende kriechende
Poeſie verfalle ins Schaͤkern,
Haſeliren
und Narrentheiding. Jhre bur-
lesque
Poeſie aber ſchreite nie aus den Schran-
ken der Beſcheidenheit. Es ſey bloß eine Art
ingenieuſer Einfaͤlle, da die maͤnnliche Poeſie
mehr judicieuſe Gedanken habe. Allein es ge-
hoͤrt oft mehr iudicium diſcretiuum zu einem
rechten Scherz, daß er nicht ins Plumpe oder
Niedertraͤchtige falle, als wenn man eine Sa-
che plattweg fein ernſthaft oder maͤnnlich be-
ſchreibet. Daher koͤmmt ein Reim-Schmied
beſſer weg, wenn er bald ernſthaft thut, bald
ſchaͤkert, bald kollert; bald trotzet, bald ra-
ſet,
bald zu Kreuze kriechet; bald labbert, bald
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[157/0165] vor der erhabenen Dichterey. gen binnen Jahres Friſt heyrathen, oder in Strafe fallen ſollen: So waͤre es ein aufge- weckter Spaß, der zu vielem weitern Scherz Anlaß geben koͤnnte. § 26. Da nun alſo die burlesque Poeſie nicht zur natuͤrlichen, wo lauter Beſchreibun- gen nach dem Leben, und keine Fictiones, ſind, vielweniger zur erhabenen Poeſie gehoͤret: So muͤſſen die neuen Poeten entweder ſolche zur maͤnnlichen rechnen, der ſie doch ſolche entgegen ſetzen, mithin ſich ſelber widerſprechen, oder aber die Diſtinction unter einer maͤnnlichen und un- maͤnnlichen Poeſie, damit nicht etwa gar ein Zwitter herauskomme, fahren laſſen. Sie wollen ſich zwar helfen, und ſagen, die ſcher- zende kriechende Poeſie verfalle ins Schaͤkern, Haſeliren und Narrentheiding. Jhre bur- lesque Poeſie aber ſchreite nie aus den Schran- ken der Beſcheidenheit. Es ſey bloß eine Art ingenieuſer Einfaͤlle, da die maͤnnliche Poeſie mehr judicieuſe Gedanken habe. Allein es ge- hoͤrt oft mehr iudicium diſcretiuum zu einem rechten Scherz, daß er nicht ins Plumpe oder Niedertraͤchtige falle, als wenn man eine Sa- che plattweg fein ernſthaft oder maͤnnlich be- ſchreibet. Daher koͤmmt ein Reim-Schmied beſſer weg, wenn er bald ernſthaft thut, bald ſchaͤkert, bald kollert; bald trotzet, bald ra- ſet, bald zu Kreuze kriechet; bald labbert, bald zweyzuͤnglet, bald zuplumpet. Denn wie es die Menſchen wirklich machen, daß der eine erſt lange,

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/165>, abgerufen am 24.11.2024.