Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite

Vorzug der kriechenden Poesie
lange, wie die Katze um den heissen Brey, ge-
het, ein anderer aber dreister ist, und geschwin-
de zutebset: Also muß ein Reim-Schmied es
auch in Reimen abschildern, sonst komme ein un-
gesalzener
und trockener Scherz heraus. Die-
semnach wird ein Reim-Schmied lieber alle
Dicht-Kunst
eintheilen in eine ernsthafte und
kurzweilige. Die ernsthafte ist entweder auf
der Erde hinkriechend, oder fallend, wenn man
aus der Höhe ins Bathos fällt, und aus der
Tiefe in die Höhe geschleudert wird. Die kurz-
weilige Poesie
aber ist entweder schäkernd oder
kollernd. Jenes bey angenehmen, dieses bey
piquirenden Begebenheiten.

§ 27. Jch eile zum Ende, und braucht es
also keiner großen Widerlegung, daß die Reim-
schmiede-Kunst und kriechende Poesie ein Gros-
ses auch vor der sogenannten natürlichen Poesie
habe. Die neuen Dichter sagen: Es könne ein
poetischer Gedanke natürlich seyn, ob er gleich
noch nicht zur Stuffe eines männlichen und er-
habenen
gestiegen sey. Jeder erhabener Ge-
danke sey zugleich natürlich und männlich; aber
umgekehrt folge es nicht. Da aber die Reim-
schmiede-Kunst ihr poetisches Reich zu erweitern
sucht: So nimmt sie auch das unnatürliche,
unwahrscheinliche, unmögliche, abgeschmack-
te
und schamrothmachende mit in ihren Be-
zirk. Bey der letzten Sorte beschreibt ein Reim-
Schmied jedes Ding mehr als zu natürlich;
dagegen ein Poet von der neuen Facon einen

Vorhang

Vorzug der kriechenden Poeſie
lange, wie die Katze um den heiſſen Brey, ge-
het, ein anderer aber dreiſter iſt, und geſchwin-
de zutebſet: Alſo muß ein Reim-Schmied es
auch in Reimen abſchildern, ſonſt komme ein un-
geſalzener
und trockener Scherz heraus. Die-
ſemnach wird ein Reim-Schmied lieber alle
Dicht-Kunſt
eintheilen in eine ernſthafte und
kurzweilige. Die ernſthafte iſt entweder auf
der Erde hinkriechend, oder fallend, wenn man
aus der Hoͤhe ins Bathos faͤllt, und aus der
Tiefe in die Hoͤhe geſchleudert wird. Die kurz-
weilige Poeſie
aber iſt entweder ſchaͤkernd oder
kollernd. Jenes bey angenehmen, dieſes bey
piquirenden Begebenheiten.

§ 27. Jch eile zum Ende, und braucht es
alſo keiner großen Widerlegung, daß die Reim-
ſchmiede-Kunſt und kriechende Poeſie ein Groſ-
ſes auch vor der ſogenannten natuͤrlichen Poeſie
habe. Die neuen Dichter ſagen: Es koͤnne ein
poetiſcher Gedanke natuͤrlich ſeyn, ob er gleich
noch nicht zur Stuffe eines maͤnnlichen und er-
habenen
geſtiegen ſey. Jeder erhabener Ge-
danke ſey zugleich natuͤrlich und maͤnnlich; aber
umgekehrt folge es nicht. Da aber die Reim-
ſchmiede-Kunſt ihr poetiſches Reich zu erweitern
ſucht: So nimmt ſie auch das unnatuͤrliche,
unwahrſcheinliche, unmoͤgliche, abgeſchmack-
te
und ſchamrothmachende mit in ihren Be-
zirk. Bey der letzten Sorte beſchreibt ein Reim-
Schmied jedes Ding mehr als zu natuͤrlich;
dagegen ein Poet von der neuen Facon einen

Vorhang
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0166" n="158"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vorzug der kriechenden Poe&#x017F;ie</hi></fw><lb/>
lange, wie die Katze um den hei&#x017F;&#x017F;en Brey, ge-<lb/>
het, ein anderer aber <hi rendition="#fr">drei&#x017F;ter</hi> i&#x017F;t, und ge&#x017F;chwin-<lb/>
de <hi rendition="#fr">zuteb&#x017F;et:</hi> Al&#x017F;o muß ein Reim-Schmied es<lb/>
auch in Reimen ab&#x017F;childern, &#x017F;on&#x017F;t komme ein <hi rendition="#fr">un-<lb/>
ge&#x017F;alzener</hi> und <hi rendition="#fr">trockener Scherz</hi> heraus. Die-<lb/>
&#x017F;emnach wird ein <hi rendition="#fr">Reim-Schmied</hi> lieber <hi rendition="#fr">alle<lb/>
Dicht-Kun&#x017F;t</hi> eintheilen in eine <hi rendition="#fr">ern&#x017F;thafte</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">kurzweilige.</hi> Die <hi rendition="#fr">ern&#x017F;thafte</hi> i&#x017F;t entweder auf<lb/>
der Erde <hi rendition="#fr">hinkriechend,</hi> oder <hi rendition="#fr">fallend,</hi> wenn man<lb/>
aus der Ho&#x0364;he ins Bathos fa&#x0364;llt, und aus der<lb/>
Tiefe in die Ho&#x0364;he ge&#x017F;chleudert wird. Die <hi rendition="#fr">kurz-<lb/>
weilige Poe&#x017F;ie</hi> aber i&#x017F;t entweder <hi rendition="#fr">&#x017F;cha&#x0364;kernd</hi> oder<lb/><hi rendition="#fr">kollernd.</hi> Jenes bey <hi rendition="#fr">angenehmen,</hi> die&#x017F;es bey<lb/><hi rendition="#fr">piquirenden</hi> Begebenheiten.</p><lb/>
        <p>§ 27. Jch eile zum Ende, und braucht es<lb/>
al&#x017F;o keiner großen Widerlegung, daß die Reim-<lb/>
&#x017F;chmiede-Kun&#x017F;t und <hi rendition="#fr">kriechende</hi> Poe&#x017F;ie ein Gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;es auch vor der &#x017F;ogenannten <hi rendition="#fr">natu&#x0364;rlichen</hi> Poe&#x017F;ie<lb/>
habe. Die neuen Dichter &#x017F;agen: Es ko&#x0364;nne ein<lb/>
poeti&#x017F;cher Gedanke <hi rendition="#fr">natu&#x0364;rlich</hi> &#x017F;eyn, ob er gleich<lb/>
noch nicht zur Stuffe eines <hi rendition="#fr">ma&#x0364;nnlichen</hi> und <hi rendition="#fr">er-<lb/>
habenen</hi> ge&#x017F;tiegen &#x017F;ey. Jeder <hi rendition="#fr">erhabener</hi> Ge-<lb/>
danke &#x017F;ey zugleich <hi rendition="#fr">natu&#x0364;rlich</hi> und <hi rendition="#fr">ma&#x0364;nnlich;</hi> aber<lb/><hi rendition="#fr">umgekehrt</hi> folge es nicht. Da aber die Reim-<lb/>
&#x017F;chmiede-Kun&#x017F;t ihr poeti&#x017F;ches Reich zu <hi rendition="#fr">erweitern</hi><lb/>
&#x017F;ucht: So nimmt &#x017F;ie auch das <hi rendition="#fr">unnatu&#x0364;rliche,<lb/>
unwahr&#x017F;cheinliche, unmo&#x0364;gliche, abge&#x017F;chmack-<lb/>
te</hi> und <hi rendition="#fr">&#x017F;chamrothmachende</hi> mit in ihren Be-<lb/>
zirk. Bey der letzten Sorte be&#x017F;chreibt ein Reim-<lb/>
Schmied jedes Ding <hi rendition="#fr">mehr als zu natu&#x0364;rlich;</hi><lb/>
dagegen ein Poet von der neuen <hi rendition="#aq">Facon</hi> einen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Vorhang</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0166] Vorzug der kriechenden Poeſie lange, wie die Katze um den heiſſen Brey, ge- het, ein anderer aber dreiſter iſt, und geſchwin- de zutebſet: Alſo muß ein Reim-Schmied es auch in Reimen abſchildern, ſonſt komme ein un- geſalzener und trockener Scherz heraus. Die- ſemnach wird ein Reim-Schmied lieber alle Dicht-Kunſt eintheilen in eine ernſthafte und kurzweilige. Die ernſthafte iſt entweder auf der Erde hinkriechend, oder fallend, wenn man aus der Hoͤhe ins Bathos faͤllt, und aus der Tiefe in die Hoͤhe geſchleudert wird. Die kurz- weilige Poeſie aber iſt entweder ſchaͤkernd oder kollernd. Jenes bey angenehmen, dieſes bey piquirenden Begebenheiten. § 27. Jch eile zum Ende, und braucht es alſo keiner großen Widerlegung, daß die Reim- ſchmiede-Kunſt und kriechende Poeſie ein Groſ- ſes auch vor der ſogenannten natuͤrlichen Poeſie habe. Die neuen Dichter ſagen: Es koͤnne ein poetiſcher Gedanke natuͤrlich ſeyn, ob er gleich noch nicht zur Stuffe eines maͤnnlichen und er- habenen geſtiegen ſey. Jeder erhabener Ge- danke ſey zugleich natuͤrlich und maͤnnlich; aber umgekehrt folge es nicht. Da aber die Reim- ſchmiede-Kunſt ihr poetiſches Reich zu erweitern ſucht: So nimmt ſie auch das unnatuͤrliche, unwahrſcheinliche, unmoͤgliche, abgeſchmack- te und ſchamrothmachende mit in ihren Be- zirk. Bey der letzten Sorte beſchreibt ein Reim- Schmied jedes Ding mehr als zu natuͤrlich; dagegen ein Poet von der neuen Facon einen Vorhang

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/166
Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/166>, abgerufen am 24.11.2024.