Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.Zwey hundert Maximen schmack an Zoten, unzüchtigen Bildern undStellungen findet, zeiget es einen richtigen gu- ten Geschmack an; einen verdorbenen aber, wer sich an solchen Dingen belustiget, und damit kützelt. XVII. Es giebt Wahrheiten, die von keinem sonderlichen Gewichte noch Nutzen sind. Wer nun daran einen besondern Geschmack findet, und sie denen nöthigern und nützlichern Wahr- heiten vorziehet, der verräth damit seinen ver- dorbenen Geschmack. XVIII. Es giebt Künste und Wissenschaften, die sich für gewisse Stände und Lebens-Arten schicken. Wer aber nicht in solchem Stande lebet, noch dergleichen Profeßion sich für ihn ei- gentlich schicket, gleichwol sie seinem eigenen Stande und Beruf vorziehet, der hat einen un- richtigen Geschmack. Z. E. wenn ein Fürst wollte einen Schul-Gelehrten oder Handwerks- Mann abgeben; oder ein Gelehrter wollte Re- geln für Cabinets-Minister schreiben: So hät- ten beyde einen verkehrten gusto. XIX. Wer eines andern Schriften unpar- teyisch beurtheilen will, der komme ja nicht mit einem widrigen Affecte darüber, wenn der Au- tor etwa sein Feind ist, oder in keinem großen Ansehen stehet; sonst wird er wenig Geschmack an dessen besten Gedanken finden; sondern, wenn er seines Feindes Schriften lieset, thue er, als wenn sie sein bester Freund geschrieben hätte. Hat sie aber sein Freund aufgesetzt: So thue er
Zwey hundert Maximen ſchmack an Zoten, unzuͤchtigen Bildern undStellungen findet, zeiget es einen richtigen gu- ten Geſchmack an; einen verdorbenen aber, wer ſich an ſolchen Dingen beluſtiget, und damit kuͤtzelt. XVII. Es giebt Wahrheiten, die von keinem ſonderlichen Gewichte noch Nutzen ſind. Wer nun daran einen beſondern Geſchmack findet, und ſie denen noͤthigern und nuͤtzlichern Wahr- heiten vorziehet, der verraͤth damit ſeinen ver- dorbenen Geſchmack. XVIII. Es giebt Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, die ſich fuͤr gewiſſe Staͤnde und Lebens-Arten ſchicken. Wer aber nicht in ſolchem Stande lebet, noch dergleichen Profeßion ſich fuͤr ihn ei- gentlich ſchicket, gleichwol ſie ſeinem eigenen Stande und Beruf vorziehet, der hat einen un- richtigen Geſchmack. Z. E. wenn ein Fuͤrſt wollte einen Schul-Gelehrten oder Handwerks- Mann abgeben; oder ein Gelehrter wollte Re- geln fuͤr Cabinets-Miniſter ſchreiben: So haͤt- ten beyde einen verkehrten guſto. XIX. Wer eines andern Schriften unpar- teyiſch beurtheilen will, der komme ja nicht mit einem widrigen Affecte daruͤber, wenn der Au- tor etwa ſein Feind iſt, oder in keinem großen Anſehen ſtehet; ſonſt wird er wenig Geſchmack an deſſen beſten Gedanken finden; ſondern, wenn er ſeines Feindes Schriften lieſet, thue er, als wenn ſie ſein beſter Freund geſchrieben haͤtte. Hat ſie aber ſein Freund aufgeſetzt: So thue er
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <list> <item><pb facs="#f0200" n="192"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zwey hundert Maximen</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">ſchmack</hi> an Zoten, unzuͤchtigen Bildern und<lb/> Stellungen findet, zeiget es einen richtigen gu-<lb/> ten Geſchmack an; einen verdorbenen aber, wer<lb/> ſich an ſolchen Dingen beluſtiget, und damit<lb/> kuͤtzelt.</item><lb/> <item><hi rendition="#aq">XVII.</hi> Es giebt Wahrheiten, die von keinem<lb/> ſonderlichen Gewichte noch Nutzen ſind. Wer<lb/> nun daran einen beſondern Geſchmack findet,<lb/> und ſie denen noͤthigern und nuͤtzlichern Wahr-<lb/> heiten vorziehet, der verraͤth damit ſeinen <hi rendition="#fr">ver-<lb/> dorbenen Geſchmack.</hi></item><lb/> <item><hi rendition="#aq">XVIII.</hi> Es giebt Kuͤnſte und Wiſſenſchaften,<lb/> die ſich fuͤr gewiſſe Staͤnde und Lebens-Arten<lb/> ſchicken. Wer aber nicht in ſolchem Stande<lb/> lebet, noch dergleichen Profeßion ſich fuͤr ihn ei-<lb/> gentlich ſchicket, gleichwol ſie ſeinem eigenen<lb/> Stande und Beruf vorziehet, der hat einen <hi rendition="#fr">un-<lb/> richtigen</hi> Geſchmack. Z. E. wenn ein Fuͤrſt<lb/> wollte einen Schul-Gelehrten oder Handwerks-<lb/> Mann abgeben; oder ein Gelehrter wollte Re-<lb/> geln fuͤr Cabinets-Miniſter ſchreiben: So haͤt-<lb/> ten beyde einen verkehrten <hi rendition="#aq">guſto.</hi></item><lb/> <item><hi rendition="#aq">XIX.</hi> Wer eines andern Schriften unpar-<lb/> teyiſch beurtheilen will, der komme ja nicht mit<lb/> einem <hi rendition="#fr">widrigen Affecte</hi> daruͤber, wenn der Au-<lb/> tor etwa ſein Feind iſt, oder in keinem großen<lb/> Anſehen ſtehet; ſonſt wird er wenig Geſchmack<lb/> an deſſen beſten Gedanken finden; ſondern, wenn<lb/> er ſeines <hi rendition="#fr">Feindes</hi> Schriften lieſet, thue er, als<lb/> wenn ſie ſein <hi rendition="#fr">beſter Freund</hi> geſchrieben haͤtte.<lb/> Hat ſie aber <hi rendition="#fr">ſein Freund</hi> aufgeſetzt: So thue<lb/> <fw place="bottom" type="catch">er</fw><lb/></item> </list> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [192/0200]
Zwey hundert Maximen
ſchmack an Zoten, unzuͤchtigen Bildern und
Stellungen findet, zeiget es einen richtigen gu-
ten Geſchmack an; einen verdorbenen aber, wer
ſich an ſolchen Dingen beluſtiget, und damit
kuͤtzelt.
XVII. Es giebt Wahrheiten, die von keinem
ſonderlichen Gewichte noch Nutzen ſind. Wer
nun daran einen beſondern Geſchmack findet,
und ſie denen noͤthigern und nuͤtzlichern Wahr-
heiten vorziehet, der verraͤth damit ſeinen ver-
dorbenen Geſchmack.
XVIII. Es giebt Kuͤnſte und Wiſſenſchaften,
die ſich fuͤr gewiſſe Staͤnde und Lebens-Arten
ſchicken. Wer aber nicht in ſolchem Stande
lebet, noch dergleichen Profeßion ſich fuͤr ihn ei-
gentlich ſchicket, gleichwol ſie ſeinem eigenen
Stande und Beruf vorziehet, der hat einen un-
richtigen Geſchmack. Z. E. wenn ein Fuͤrſt
wollte einen Schul-Gelehrten oder Handwerks-
Mann abgeben; oder ein Gelehrter wollte Re-
geln fuͤr Cabinets-Miniſter ſchreiben: So haͤt-
ten beyde einen verkehrten guſto.
XIX. Wer eines andern Schriften unpar-
teyiſch beurtheilen will, der komme ja nicht mit
einem widrigen Affecte daruͤber, wenn der Au-
tor etwa ſein Feind iſt, oder in keinem großen
Anſehen ſtehet; ſonſt wird er wenig Geſchmack
an deſſen beſten Gedanken finden; ſondern, wenn
er ſeines Feindes Schriften lieſet, thue er, als
wenn ſie ſein beſter Freund geſchrieben haͤtte.
Hat ſie aber ſein Freund aufgeſetzt: So thue
er
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |