Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.vom gesunden Witze, etc. LXXXIII. So viel es unterschiedene Vor- würfe bey der Redner-Kunst giebt, so viel giebt es auch besondere Regeln des guten Ge- schmacks. Daher die Hof- die Canzel- und die Schul-Reden ihre eigene Gesetze des bon sens haben. LXXXIV. Nach den Regeln des guten Ge- schmacks muß man sorgfältig verhüten, daß man den Leser oder Zuhörer nicht auf falsche Gedan- ken, unrichtige Auslegung, und daß ers übel empfinde, verleite. LXXXV. Wer dem Affecte, den er bey dem andern erregen will, gerade entgegen handelt, oder seinen Gedanken eine unrechte Tour giebet, der äussert damit seinen verwechselten Ge- schmack. Also, wenn der Redner Ursache hät- te, den, so er anredet, zu besänftigen, und er bringt ihn durch heftige Ausdrücke, polternde Worte und hitzige Geberden in Harnisch: So handelt er gegen seinen Character, mithin gegen den Wohllaut und guten Geschmack. LXXXVI. Diesemnach ist das Sprüchwort so uneben nicht: Ein Loth Mutterwitz und practische Klugheit sey besser, als ein Centner Gelehrsamkeit ohne Geschick, solche recht an Mann zu bringen. LXXXVII. Man muß auch die Verfassung der Republic ansehen, darinn einer stehet. Wer also z. E. heute zu Tage in unsern monarchischen Republiken mit solcher Dreistigkeit reden wollte, als ehedem Cicero in der römischen, democrati- schen,
vom geſunden Witze, ꝛc. LXXXIII. So viel es unterſchiedene Vor- wuͤrfe bey der Redner-Kunſt giebt, ſo viel giebt es auch beſondere Regeln des guten Ge- ſchmacks. Daher die Hof- die Canzel- und die Schul-Reden ihre eigene Geſetze des bon ſens haben. LXXXIV. Nach den Regeln des guten Ge- ſchmacks muß man ſorgfaͤltig verhuͤten, daß man den Leſer oder Zuhoͤrer nicht auf falſche Gedan- ken, unrichtige Auslegung, und daß ers uͤbel empfinde, verleite. LXXXV. Wer dem Affecte, den er bey dem andern erregen will, gerade entgegen handelt, oder ſeinen Gedanken eine unrechte Tour giebet, der aͤuſſert damit ſeinen verwechſelten Ge- ſchmack. Alſo, wenn der Redner Urſache haͤt- te, den, ſo er anredet, zu beſaͤnftigen, und er bringt ihn durch heftige Ausdruͤcke, polternde Worte und hitzige Geberden in Harniſch: So handelt er gegen ſeinen Character, mithin gegen den Wohllaut und guten Geſchmack. LXXXVI. Dieſemnach iſt das Spruͤchwort ſo uneben nicht: Ein Loth Mutterwitz und practiſche Klugheit ſey beſſer, als ein Centner Gelehrſamkeit ohne Geſchick, ſolche recht an Mann zu bringen. LXXXVII. Man muß auch die Verfaſſung der Republic anſehen, darinn einer ſtehet. Wer alſo z. E. heute zu Tage in unſern monarchiſchen Republiken mit ſolcher Dreiſtigkeit reden wollte, als ehedem Cicero in der roͤmiſchen, democrati- ſchen,
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vom geſunden Witze, ꝛc.
LXXXIII. So viel es unterſchiedene Vor-
wuͤrfe bey der Redner-Kunſt giebt, ſo viel giebt
es auch beſondere Regeln des guten Ge-
ſchmacks. Daher die Hof- die Canzel- und
die Schul-Reden ihre eigene Geſetze des bon
ſens haben.
LXXXIV. Nach den Regeln des guten Ge-
ſchmacks muß man ſorgfaͤltig verhuͤten, daß man
den Leſer oder Zuhoͤrer nicht auf falſche Gedan-
ken, unrichtige Auslegung, und daß ers uͤbel
empfinde, verleite.
LXXXV. Wer dem Affecte, den er bey dem
andern erregen will, gerade entgegen handelt,
oder ſeinen Gedanken eine unrechte Tour giebet,
der aͤuſſert damit ſeinen verwechſelten Ge-
ſchmack. Alſo, wenn der Redner Urſache haͤt-
te, den, ſo er anredet, zu beſaͤnftigen, und er
bringt ihn durch heftige Ausdruͤcke, polternde
Worte und hitzige Geberden in Harniſch: So
handelt er gegen ſeinen Character, mithin gegen
den Wohllaut und guten Geſchmack.
LXXXVI. Dieſemnach iſt das Spruͤchwort
ſo uneben nicht: Ein Loth Mutterwitz und
practiſche Klugheit ſey beſſer, als ein Centner
Gelehrſamkeit ohne Geſchick, ſolche recht an
Mann zu bringen.
LXXXVII. Man muß auch die Verfaſſung
der Republic anſehen, darinn einer ſtehet. Wer
alſo z. E. heute zu Tage in unſern monarchiſchen
Republiken mit ſolcher Dreiſtigkeit reden wollte,
als ehedem Cicero in der roͤmiſchen, democrati-
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