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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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vom gesunden Witze, etc.
sie eine Rhapsodie und Reimschmiederey.
Werden wichtige Wahrheiten nicht mit dem
gehörigen Feuer und Nachdrucke in Reime ge-
faßt: So ist es eine kriechende Poesie. Wer-
den aber entweder wichtige, oder schlechte Wahr-
heiten in schwülstige Worte, oder ein kahler Ge-
danke in poetische Luft-Blasen eingewickelt: So
heißt es eine Dunst-Poesie, und poetischer Phö-
bus,
oder Galimathias. Diesemnach gehört
die Poesie an sich zu der untersten Classe der
Gelehrsamkeit, und bekömmt einzig das Ge-
wichte und den Adel von den Materien, die in
wohlklingende Reime gesetzet werden.
CLXXIV. Wer die Poesie dazu mißbrau-
chet, um sein hämisch Gemüthe gegen andere
auszulassen, mithin die Grenzen eines vernünf-
tigen Straf-Gedichtes überschreitet, der ist ein
gedoppelter Narr. Einmal, daß er die Poesie
nothzüchtiget, und ihren Absichten zuwider
handelt. Sodann, daß er die Galle seines
Gemüths
so boshaftig versprützet. Er gleichet
dem, der einen goldenen Pocal dazu mißbrau-
chet, daß er einem andern darinn Gift präsen-
tiret.
CLXXV. Wer zur Poesie nicht von Na-
tur
aufgelegt ist, und doch mit Macht ein Poete
seyn will, der hat einen überwitzigen Geschmack.
Er kömmt mir vor, als wenn ein Lahmer woll-
te einen Tanzmeister, oder ein Pfarrer einen
Scaramuz in der Comödie abgeben. Es gehet
einem wahren Gelehrten dadurch nichts ab, wenn
er
Q 3
vom geſunden Witze, ꝛc.
ſie eine Rhapſodie und Reimſchmiederey.
Werden wichtige Wahrheiten nicht mit dem
gehoͤrigen Feuer und Nachdrucke in Reime ge-
faßt: So iſt es eine kriechende Poeſie. Wer-
den aber entweder wichtige, oder ſchlechte Wahr-
heiten in ſchwuͤlſtige Worte, oder ein kahler Ge-
danke in poetiſche Luft-Blaſen eingewickelt: So
heißt es eine Dunſt-Poeſie, und poetiſcher Phoͤ-
bus,
oder Galimathias. Dieſemnach gehoͤrt
die Poeſie an ſich zu der unterſten Claſſe der
Gelehrſamkeit, und bekoͤmmt einzig das Ge-
wichte und den Adel von den Materien, die in
wohlklingende Reime geſetzet werden.
CLXXIV. Wer die Poeſie dazu mißbrau-
chet, um ſein haͤmiſch Gemuͤthe gegen andere
auszulaſſen, mithin die Grenzen eines vernuͤnf-
tigen Straf-Gedichtes uͤberſchreitet, der iſt ein
gedoppelter Narr. Einmal, daß er die Poeſie
nothzuͤchtiget, und ihren Abſichten zuwider
handelt. Sodann, daß er die Galle ſeines
Gemuͤths
ſo boshaftig verſpruͤtzet. Er gleichet
dem, der einen goldenen Pocal dazu mißbrau-
chet, daß er einem andern darinn Gift praͤſen-
tiret.
CLXXV. Wer zur Poeſie nicht von Na-
tur
aufgelegt iſt, und doch mit Macht ein Poete
ſeyn will, der hat einen uͤberwitzigen Geſchmack.
Er koͤmmt mir vor, als wenn ein Lahmer woll-
te einen Tanzmeiſter, oder ein Pfarrer einen
Scaramuz in der Comoͤdie abgeben. Es gehet
einem wahren Gelehrten dadurch nichts ab, wenn
er
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[245/0253] vom geſunden Witze, ꝛc. ſie eine Rhapſodie und Reimſchmiederey. Werden wichtige Wahrheiten nicht mit dem gehoͤrigen Feuer und Nachdrucke in Reime ge- faßt: So iſt es eine kriechende Poeſie. Wer- den aber entweder wichtige, oder ſchlechte Wahr- heiten in ſchwuͤlſtige Worte, oder ein kahler Ge- danke in poetiſche Luft-Blaſen eingewickelt: So heißt es eine Dunſt-Poeſie, und poetiſcher Phoͤ- bus, oder Galimathias. Dieſemnach gehoͤrt die Poeſie an ſich zu der unterſten Claſſe der Gelehrſamkeit, und bekoͤmmt einzig das Ge- wichte und den Adel von den Materien, die in wohlklingende Reime geſetzet werden. CLXXIV. Wer die Poeſie dazu mißbrau- chet, um ſein haͤmiſch Gemuͤthe gegen andere auszulaſſen, mithin die Grenzen eines vernuͤnf- tigen Straf-Gedichtes uͤberſchreitet, der iſt ein gedoppelter Narr. Einmal, daß er die Poeſie nothzuͤchtiget, und ihren Abſichten zuwider handelt. Sodann, daß er die Galle ſeines Gemuͤths ſo boshaftig verſpruͤtzet. Er gleichet dem, der einen goldenen Pocal dazu mißbrau- chet, daß er einem andern darinn Gift praͤſen- tiret. CLXXV. Wer zur Poeſie nicht von Na- tur aufgelegt iſt, und doch mit Macht ein Poete ſeyn will, der hat einen uͤberwitzigen Geſchmack. Er koͤmmt mir vor, als wenn ein Lahmer woll- te einen Tanzmeiſter, oder ein Pfarrer einen Scaramuz in der Comoͤdie abgeben. Es gehet einem wahren Gelehrten dadurch nichts ab, wenn er Q 3

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/253>, abgerufen am 22.11.2024.