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Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743.

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vom gesunden Witze, etc.
dahin rauschet, und liebliche Wasser-Fälle hat.
Sie ist kein reissender Strohm, kein aus dem
User schreitendes Meer, kein trüber Timpel, kei-
ne Grube voll Schlamm-Wasser; sondern eine
helle Crystall-Quelle, oder wie ein hellpolirter
Brenn-Spiegel mit einem richtigen Brenn-
Puncte.
CLXXVIII. Wer den Mustern großer Poe-
ten durchgängig ohne Prüfung eines jeden Ge-
danken folget, der thut es entweder aus blinder
Nachahmung,
oder aber er hält die Sonnen-
Makel
für Zierathen. Wie man aber z. E.
bey den Reden des Cicero die Nettigkeit seiner
Worte von den Touren seiner Gedanken wohl
unterscheiden muß, weil er manchmal wie ein
Sophist und Windbeutel raisonniret: Also
muß man auch die bey großen Dichtern einge-
schlichene Fehler zwar übersehen, und sie wegen
solcher kleinen Flecken nicht herunter machen,
oder beissend anstechen; aber doch auch nicht
solche Fehler zu Mustern der Nachahmung
vorstellen.
CLXXIX. Noch weniger aber darf man sich
an das Gewäsche eines Stümpers kehren, der
etliche schöne Gedanken andern abgestohlen, und
die Quelle verschweiget, daraus er Wasser ge-
schöpfet; was er aber aus seinem eigenen Ge-
hirne
dazu gethan, ganz mager und erbärmlich
aussiehet, so daß die gebrauchte Schreib-Art
einander so ungleich ist, als wie z. E. in der
Schrift: Tempel des guten Geschmacks; da
die
Q 4
vom geſunden Witze, ꝛc.
dahin rauſchet, und liebliche Waſſer-Faͤlle hat.
Sie iſt kein reiſſender Strohm, kein aus dem
Uſer ſchreitendes Meer, kein truͤber Timpel, kei-
ne Grube voll Schlamm-Waſſer; ſondern eine
helle Cryſtall-Quelle, oder wie ein hellpolirter
Brenn-Spiegel mit einem richtigen Brenn-
Puncte.
CLXXVIII. Wer den Muſtern großer Poe-
ten durchgaͤngig ohne Pruͤfung eines jeden Ge-
danken folget, der thut es entweder aus blinder
Nachahmung,
oder aber er haͤlt die Sonnen-
Makel
fuͤr Zierathen. Wie man aber z. E.
bey den Reden des Cicero die Nettigkeit ſeiner
Worte von den Touren ſeiner Gedanken wohl
unterſcheiden muß, weil er manchmal wie ein
Sophiſt und Windbeutel raiſonniret: Alſo
muß man auch die bey großen Dichtern einge-
ſchlichene Fehler zwar uͤberſehen, und ſie wegen
ſolcher kleinen Flecken nicht herunter machen,
oder beiſſend anſtechen; aber doch auch nicht
ſolche Fehler zu Muſtern der Nachahmung
vorſtellen.
CLXXIX. Noch weniger aber darf man ſich
an das Gewaͤſche eines Stuͤmpers kehren, der
etliche ſchoͤne Gedanken andern abgeſtohlen, und
die Quelle verſchweiget, daraus er Waſſer ge-
ſchoͤpfet; was er aber aus ſeinem eigenen Ge-
hirne
dazu gethan, ganz mager und erbaͤrmlich
ausſiehet, ſo daß die gebrauchte Schreib-Art
einander ſo ungleich iſt, als wie z. E. in der
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die
Q 4
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[247/0255] vom geſunden Witze, ꝛc. dahin rauſchet, und liebliche Waſſer-Faͤlle hat. Sie iſt kein reiſſender Strohm, kein aus dem Uſer ſchreitendes Meer, kein truͤber Timpel, kei- ne Grube voll Schlamm-Waſſer; ſondern eine helle Cryſtall-Quelle, oder wie ein hellpolirter Brenn-Spiegel mit einem richtigen Brenn- Puncte. CLXXVIII. Wer den Muſtern großer Poe- ten durchgaͤngig ohne Pruͤfung eines jeden Ge- danken folget, der thut es entweder aus blinder Nachahmung, oder aber er haͤlt die Sonnen- Makel fuͤr Zierathen. Wie man aber z. E. bey den Reden des Cicero die Nettigkeit ſeiner Worte von den Touren ſeiner Gedanken wohl unterſcheiden muß, weil er manchmal wie ein Sophiſt und Windbeutel raiſonniret: Alſo muß man auch die bey großen Dichtern einge- ſchlichene Fehler zwar uͤberſehen, und ſie wegen ſolcher kleinen Flecken nicht herunter machen, oder beiſſend anſtechen; aber doch auch nicht ſolche Fehler zu Muſtern der Nachahmung vorſtellen. CLXXIX. Noch weniger aber darf man ſich an das Gewaͤſche eines Stuͤmpers kehren, der etliche ſchoͤne Gedanken andern abgeſtohlen, und die Quelle verſchweiget, daraus er Waſſer ge- ſchoͤpfet; was er aber aus ſeinem eigenen Ge- hirne dazu gethan, ganz mager und erbaͤrmlich ausſiehet, ſo daß die gebrauchte Schreib-Art einander ſo ungleich iſt, als wie z. E. in der Schrift: Tempel des guten Geſchmacks; da die Q 4

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Zitationshilfe: Philippi, Johann Ernst: Regeln und Maximen der edlen Reimschmiede-Kunst, auch kriechender Poesie. Altenburg, 1743, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/philippi_reimschmiedekunst_1743/255>, abgerufen am 23.11.2024.