Pichler, Adolf: Der Flüchtling. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–318. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wohl bei einer schlichten Kellnerin, die in keinem Pensionat erzogen wurde, von selbst versteht. Lena, Lena, Lena! und im Chor von Scholastika und Moidele noch einmal: Lena! Die Gerufene erschien endlich, angekündigt vom Klirren des Schlüsselbundes; ich theilte ihr mein Begehren mit, sie schüttelte jedoch bedenklich den Kopf und meinte: Bei Ihnen darf man eigentlich dem Landfrieden nie trauen, Sie sind leicht wieder im Stande und lassen mich drucken, wie in Ihrem Buche "Aus den Tiroler Bergen". Da fragen mich die Fremden: Ist's wahr, daß Sie im Winter Homer, Goethe und Schiller lesen? Ich muß mich schämen, sage aber stets: Erlogen ist es, Alles erlogen, der Doctor lügt ja ganz grausig, wie ein Bote. Endlich ließ sie sich doch erweichen und erzählte mir ausführlich, was sie wußte. Obwohl ich es wünschte, konnte ich das Gehörte doch nicht am gleichen Abend niederschreiben; als ich nach meiner Rückkehr zu Innsbruck daranging, hatte sich mancher Zug von Unmittelbarkeit verwischt, vielleicht wider meinen eigenen Willen Manches aus meiner Phantasie angefügt. Was übrigens Lena betrifft, so ist sie freilich nicht im Pensionat zu Lauterach erzogen, hat jedoch Viel erlebt und bei einer scharfen Beobachtungsgabe sich manches Ergebniß der Erfahrung zurecht gelegt. Daher darf man sich über viele Bemerkungen aus ihrem Munde nicht wundern, um so weniger, da sie in den Stunden wohl bei einer schlichten Kellnerin, die in keinem Pensionat erzogen wurde, von selbst versteht. Lena, Lena, Lena! und im Chor von Scholastika und Moidele noch einmal: Lena! Die Gerufene erschien endlich, angekündigt vom Klirren des Schlüsselbundes; ich theilte ihr mein Begehren mit, sie schüttelte jedoch bedenklich den Kopf und meinte: Bei Ihnen darf man eigentlich dem Landfrieden nie trauen, Sie sind leicht wieder im Stande und lassen mich drucken, wie in Ihrem Buche „Aus den Tiroler Bergen“. Da fragen mich die Fremden: Ist's wahr, daß Sie im Winter Homer, Goethe und Schiller lesen? Ich muß mich schämen, sage aber stets: Erlogen ist es, Alles erlogen, der Doctor lügt ja ganz grausig, wie ein Bote. Endlich ließ sie sich doch erweichen und erzählte mir ausführlich, was sie wußte. Obwohl ich es wünschte, konnte ich das Gehörte doch nicht am gleichen Abend niederschreiben; als ich nach meiner Rückkehr zu Innsbruck daranging, hatte sich mancher Zug von Unmittelbarkeit verwischt, vielleicht wider meinen eigenen Willen Manches aus meiner Phantasie angefügt. Was übrigens Lena betrifft, so ist sie freilich nicht im Pensionat zu Lauterach erzogen, hat jedoch Viel erlebt und bei einer scharfen Beobachtungsgabe sich manches Ergebniß der Erfahrung zurecht gelegt. Daher darf man sich über viele Bemerkungen aus ihrem Munde nicht wundern, um so weniger, da sie in den Stunden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017"/> wohl bei einer schlichten Kellnerin, die in keinem Pensionat erzogen wurde, von selbst versteht.</p><lb/> <p>Lena, Lena, Lena! und im Chor von Scholastika und Moidele noch einmal: Lena! Die Gerufene erschien endlich, angekündigt vom Klirren des Schlüsselbundes; ich theilte ihr mein Begehren mit, sie schüttelte jedoch bedenklich den Kopf und meinte: Bei Ihnen darf man eigentlich dem Landfrieden nie trauen, Sie sind leicht wieder im Stande und lassen mich drucken, wie in Ihrem Buche „Aus den Tiroler Bergen“. Da fragen mich die Fremden: Ist's wahr, daß Sie im Winter Homer, Goethe und Schiller lesen? Ich muß mich schämen, sage aber stets: Erlogen ist es, Alles erlogen, der Doctor lügt ja ganz grausig, wie ein Bote.</p><lb/> <p>Endlich ließ sie sich doch erweichen und erzählte mir ausführlich, was sie wußte. Obwohl ich es wünschte, konnte ich das Gehörte doch nicht am gleichen Abend niederschreiben; als ich nach meiner Rückkehr zu Innsbruck daranging, hatte sich mancher Zug von Unmittelbarkeit verwischt, vielleicht wider meinen eigenen Willen Manches aus meiner Phantasie angefügt. Was übrigens Lena betrifft, so ist sie freilich nicht im Pensionat zu Lauterach erzogen, hat jedoch Viel erlebt und bei einer scharfen Beobachtungsgabe sich manches Ergebniß der Erfahrung zurecht gelegt. Daher darf man sich über viele Bemerkungen aus ihrem Munde nicht wundern, um so weniger, da sie in den Stunden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
wohl bei einer schlichten Kellnerin, die in keinem Pensionat erzogen wurde, von selbst versteht.
Lena, Lena, Lena! und im Chor von Scholastika und Moidele noch einmal: Lena! Die Gerufene erschien endlich, angekündigt vom Klirren des Schlüsselbundes; ich theilte ihr mein Begehren mit, sie schüttelte jedoch bedenklich den Kopf und meinte: Bei Ihnen darf man eigentlich dem Landfrieden nie trauen, Sie sind leicht wieder im Stande und lassen mich drucken, wie in Ihrem Buche „Aus den Tiroler Bergen“. Da fragen mich die Fremden: Ist's wahr, daß Sie im Winter Homer, Goethe und Schiller lesen? Ich muß mich schämen, sage aber stets: Erlogen ist es, Alles erlogen, der Doctor lügt ja ganz grausig, wie ein Bote.
Endlich ließ sie sich doch erweichen und erzählte mir ausführlich, was sie wußte. Obwohl ich es wünschte, konnte ich das Gehörte doch nicht am gleichen Abend niederschreiben; als ich nach meiner Rückkehr zu Innsbruck daranging, hatte sich mancher Zug von Unmittelbarkeit verwischt, vielleicht wider meinen eigenen Willen Manches aus meiner Phantasie angefügt. Was übrigens Lena betrifft, so ist sie freilich nicht im Pensionat zu Lauterach erzogen, hat jedoch Viel erlebt und bei einer scharfen Beobachtungsgabe sich manches Ergebniß der Erfahrung zurecht gelegt. Daher darf man sich über viele Bemerkungen aus ihrem Munde nicht wundern, um so weniger, da sie in den Stunden
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