Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

gekennzeichneten Gefühl der Abneigung und des Ekels, worin ich mich
vollständig mit dem Urteil meines ehemaligen Lehreres, Professors Dr.
D. H. Jäger, berührte, den ich in Fragen der gymnastischen Volks-
erziehung noch immer für den Berufensten unter den dermalen Lebenden
halte*). Jene Erfahrung aber bestand insbesondere darin, daß ich Tag
für Tag mit ansehen mußte, wie unsere liebe Jugend selbst auf engstem
Raume, wo ein regelrechtes Fußballspiel mit scharfer Laufbewegung
gänzlich ausgeschlossen war, sich stundenlang und unermüdlich damit
vergnügte, sich den Ball, je häßlicher, desto lieber, zuzustauchen. Das
war es also, was unsere Jungen an dem Spiel so unbändig freute?
Längst ist ja der Handball völlig aus der Mode gekommen. Zu haben
ist er ja freilich noch, aber wer möchte so zurückgeblieben erscheinen,
daß er ihn -- man höre und staune -- mit den Händen würfe und
finge! Knirpse, kaum ihre drei Käselaibe hoch, kaum im Stande sich auf
ihren zwei Beinchen ordentlich aufrecht zu erhalten, "kicken" dir schon
an allen Ecken und Enden, kunstgerecht auf einem Bein sich wiegend,
mit erstaunlicher Fertigkeit ihren Stauchball ins Gesicht. Fehlte nur
noch, daß auch die Mädchen die liebliche Gewohnheit annähmen! Fuß-
ballcancan! Nun, wenn ihn nicht fin de siecle uns noch bringt, so --.
Uebrigens hat man schon jetzt manchmal die Empfindung, als ob alle
Welt von ihm besessen wäre.

Unser "tintenklecksendes Säkulum" hat auch auf dem Gebiet der
Leibesübungen Dinge gezeitigt, die zu dem Lächerlichsten und Abge-
schmacktesten gehören, was schreibselige Gedankenlosigkeit je hervorgebracht
hat. Hätte aber vor etlichen Jahrzehnten noch ein solcher biederer
Turnmeister in allem Ernst die Forderung gestellt, auch der Hundstritt
müsse kunstgerecht geübt und der Sieger darin mit hohen Preisen aus-
gezeichnet werden, man hätte den Guten wohl ohne viele Umstände
einfach ins Irrenhaus gesteckt. Kommt nun aber so ein Engländer da-
her, in dessen Gesicht jede Fiber nach "boxing" und jede Ader nach
"kicking" schreit, so ist das, was eben noch närrisch schien, "wonderful,
marvellous, prodigious"
und wird flugs "importiert". Längst schon
ist es bei unsern Fußballklubs üblich geworden, besondere Wettspiele im
"Fußballweit- und -zielstoßen" vorzunehmen**). Nachdem die deutsche

*) Vergl. bes.: "Die Gewissensfrage von der Grundgymnastik im Spieltrieb"
Neue Blätter aus Süddeutschland für Erziehung und Unterricht, Jahrg. 1895, 2. Heft.
**) "Um ein gutes Drop Kick stauchen zu können, heißt es da z. B., gehört offen-
gestanden eine große Uebung und Ausdauer. Mag der Stauch 99 mal mißlungen sein, nur
nicht verzagt und frisch das 100. Mal probiert; vielleicht gelingt er dann." Und das
alles, um den Hundstritt zu erlernen. O du heilige Einfalt!

gekennzeichneten Gefühl der Abneigung und des Ekels, worin ich mich
vollständig mit dem Urteil meines ehemaligen Lehreres, Professors Dr.
D. H. Jäger, berührte, den ich in Fragen der gymnastischen Volks-
erziehung noch immer für den Berufensten unter den dermalen Lebenden
halte*). Jene Erfahrung aber bestand insbesondere darin, daß ich Tag
für Tag mit ansehen mußte, wie unsere liebe Jugend selbst auf engstem
Raume, wo ein regelrechtes Fußballspiel mit scharfer Laufbewegung
gänzlich ausgeschlossen war, sich stundenlang und unermüdlich damit
vergnügte, sich den Ball, je häßlicher, desto lieber, zuzustauchen. Das
war es also, was unsere Jungen an dem Spiel so unbändig freute?
Längst ist ja der Handball völlig aus der Mode gekommen. Zu haben
ist er ja freilich noch, aber wer möchte so zurückgeblieben erscheinen,
daß er ihn — man höre und staune — mit den Händen würfe und
finge! Knirpse, kaum ihre drei Käselaibe hoch, kaum im Stande sich auf
ihren zwei Beinchen ordentlich aufrecht zu erhalten, „kicken“ dir schon
an allen Ecken und Enden, kunstgerecht auf einem Bein sich wiegend,
mit erstaunlicher Fertigkeit ihren Stauchball ins Gesicht. Fehlte nur
noch, daß auch die Mädchen die liebliche Gewohnheit annähmen! Fuß-
ballcancan! Nun, wenn ihn nicht fin de siecle uns noch bringt, so —.
Uebrigens hat man schon jetzt manchmal die Empfindung, als ob alle
Welt von ihm besessen wäre.

Unser „tintenklecksendes Säkulum“ hat auch auf dem Gebiet der
Leibesübungen Dinge gezeitigt, die zu dem Lächerlichsten und Abge-
schmacktesten gehören, was schreibselige Gedankenlosigkeit je hervorgebracht
hat. Hätte aber vor etlichen Jahrzehnten noch ein solcher biederer
Turnmeister in allem Ernst die Forderung gestellt, auch der Hundstritt
müsse kunstgerecht geübt und der Sieger darin mit hohen Preisen aus-
gezeichnet werden, man hätte den Guten wohl ohne viele Umstände
einfach ins Irrenhaus gesteckt. Kommt nun aber so ein Engländer da-
her, in dessen Gesicht jede Fiber nach „boxing“ und jede Ader nach
„kicking“ schreit, so ist das, was eben noch närrisch schien, „wonderful,
marvellous, prodigious“
und wird flugs „importiert“. Längst schon
ist es bei unsern Fußballklubs üblich geworden, besondere Wettspiele im
„Fußballweit- und -zielstoßen“ vorzunehmen**). Nachdem die deutsche

*) Vergl. bes.: „Die Gewissensfrage von der Grundgymnastik im Spieltrieb“
Neue Blätter aus Süddeutschland für Erziehung und Unterricht, Jahrg. 1895, 2. Heft.
**) „Um ein gutes Drop Kick stauchen zu können, heißt es da z. B., gehört offen-
gestanden eine große Uebung und Ausdauer. Mag der Stauch 99 mal mißlungen sein, nur
nicht verzagt und frisch das 100. Mal probiert; vielleicht gelingt er dann.“ Und das
alles, um den Hundstritt zu erlernen. O du heilige Einfalt!
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="9"/>
gekennzeichneten Gefühl der Abneigung und des Ekels,
                     worin ich mich<lb/>
vollständig mit dem Urteil meines ehemaligen Lehreres,
                     Professors Dr.<lb/>
D. H. Jäger, berührte, den ich in Fragen der gymnastischen
                     Volks-<lb/>
erziehung noch immer für den Berufensten unter den dermalen
                     Lebenden<lb/>
halte<note place="foot" n="*)">Vergl. bes.: &#x201E;Die Gewissensfrage
                         von der Grundgymnastik im Spieltrieb&#x201C;<lb/>
Neue Blätter aus Süddeutschland
                         für Erziehung und Unterricht, Jahrg. 1895, 2. Heft.<lb/></note>. Jene
                     Erfahrung aber bestand insbesondere darin, daß ich Tag<lb/>
für Tag mit ansehen
                     mußte, wie unsere liebe Jugend selbst auf engstem<lb/>
Raume, wo ein
                     regelrechtes Fußballspiel mit scharfer Laufbewegung<lb/>
gänzlich ausgeschlossen
                     war, sich stundenlang und unermüdlich damit<lb/>
vergnügte, sich den Ball, je
                     häßlicher, desto lieber, zuzustauchen. Das<lb/>
war es also, was unsere Jungen
                     an dem Spiel so unbändig freute?<lb/>
Längst ist ja der Handball völlig aus der
                     Mode gekommen. Zu haben<lb/>
ist er ja freilich noch, aber wer möchte so
                     zurückgeblieben erscheinen,<lb/>
daß er ihn &#x2014; man höre und staune &#x2014; mit den
                     Händen würfe und<lb/>
finge! Knirpse, kaum ihre drei Käselaibe hoch, kaum im
                     Stande sich auf<lb/>
ihren zwei Beinchen ordentlich aufrecht zu erhalten,
                     &#x201E;kicken&#x201C; dir schon<lb/>
an allen Ecken und Enden, kunstgerecht auf einem Bein
                     sich wiegend,<lb/>
mit erstaunlicher Fertigkeit ihren Stauchball ins Gesicht.
                     Fehlte nur<lb/>
noch, daß auch die Mädchen die liebliche Gewohnheit annähmen!
                     Fuß-<lb/>
ballcancan! Nun, wenn ihn nicht fin de siecle uns noch bringt, so
                     &#x2014;.<lb/>
Uebrigens hat man schon jetzt manchmal die Empfindung, als ob alle<lb/>
Welt von ihm besessen wäre.</p><lb/>
        <p>Unser &#x201E;tintenklecksendes Säkulum&#x201C; hat auch auf dem Gebiet der<lb/>
Leibesübungen
                     Dinge gezeitigt, die zu dem Lächerlichsten und Abge-<lb/>
schmacktesten gehören,
                     was schreibselige Gedankenlosigkeit je hervorgebracht<lb/>
hat. Hätte aber vor
                     etlichen Jahrzehnten noch ein solcher biederer<lb/>
Turnmeister in allem Ernst
                     die Forderung gestellt, auch der Hundstritt<lb/>
müsse kunstgerecht geübt und
                     der Sieger darin mit hohen Preisen aus-<lb/>
gezeichnet werden, man hätte den
                     Guten wohl ohne viele Umstände<lb/>
einfach ins Irrenhaus gesteckt. Kommt nun
                     aber so ein Engländer da-<lb/>
her, in dessen Gesicht jede Fiber nach <hi rendition="#aq">&#x201E;boxing&#x201C;</hi> und jede Ader nach<lb/><hi rendition="#aq">&#x201E;kicking&#x201C;</hi> schreit, so ist das, was eben noch närrisch
                     schien, <hi rendition="#aq">&#x201E;wonderful,<lb/>
marvellous, prodigious&#x201C;</hi> und
                     wird flugs &#x201E;importiert&#x201C;. Längst schon<lb/>
ist es bei unsern Fußballklubs üblich
                     geworden, besondere Wettspiele im<lb/>
&#x201E;Fußballweit- und -zielstoßen&#x201C;
                         vorzunehmen<note place="foot" n="**)">&#x201E;Um ein gutes Drop Kick stauchen zu
                         können, heißt es da z. B., gehört offen-<lb/>
gestanden eine große Uebung und
                         Ausdauer. Mag der Stauch 99 mal mißlungen sein, nur<lb/>
nicht verzagt und
                         frisch das 100. Mal probiert; vielleicht gelingt er dann.&#x201C; Und das<lb/>
alles, um den Hundstritt zu erlernen. O du heilige Einfalt!<lb/></note>.
                     Nachdem die deutsche<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0015] gekennzeichneten Gefühl der Abneigung und des Ekels, worin ich mich vollständig mit dem Urteil meines ehemaligen Lehreres, Professors Dr. D. H. Jäger, berührte, den ich in Fragen der gymnastischen Volks- erziehung noch immer für den Berufensten unter den dermalen Lebenden halte *). Jene Erfahrung aber bestand insbesondere darin, daß ich Tag für Tag mit ansehen mußte, wie unsere liebe Jugend selbst auf engstem Raume, wo ein regelrechtes Fußballspiel mit scharfer Laufbewegung gänzlich ausgeschlossen war, sich stundenlang und unermüdlich damit vergnügte, sich den Ball, je häßlicher, desto lieber, zuzustauchen. Das war es also, was unsere Jungen an dem Spiel so unbändig freute? Längst ist ja der Handball völlig aus der Mode gekommen. Zu haben ist er ja freilich noch, aber wer möchte so zurückgeblieben erscheinen, daß er ihn — man höre und staune — mit den Händen würfe und finge! Knirpse, kaum ihre drei Käselaibe hoch, kaum im Stande sich auf ihren zwei Beinchen ordentlich aufrecht zu erhalten, „kicken“ dir schon an allen Ecken und Enden, kunstgerecht auf einem Bein sich wiegend, mit erstaunlicher Fertigkeit ihren Stauchball ins Gesicht. Fehlte nur noch, daß auch die Mädchen die liebliche Gewohnheit annähmen! Fuß- ballcancan! Nun, wenn ihn nicht fin de siecle uns noch bringt, so —. Uebrigens hat man schon jetzt manchmal die Empfindung, als ob alle Welt von ihm besessen wäre. Unser „tintenklecksendes Säkulum“ hat auch auf dem Gebiet der Leibesübungen Dinge gezeitigt, die zu dem Lächerlichsten und Abge- schmacktesten gehören, was schreibselige Gedankenlosigkeit je hervorgebracht hat. Hätte aber vor etlichen Jahrzehnten noch ein solcher biederer Turnmeister in allem Ernst die Forderung gestellt, auch der Hundstritt müsse kunstgerecht geübt und der Sieger darin mit hohen Preisen aus- gezeichnet werden, man hätte den Guten wohl ohne viele Umstände einfach ins Irrenhaus gesteckt. Kommt nun aber so ein Engländer da- her, in dessen Gesicht jede Fiber nach „boxing“ und jede Ader nach „kicking“ schreit, so ist das, was eben noch närrisch schien, „wonderful, marvellous, prodigious“ und wird flugs „importiert“. Längst schon ist es bei unsern Fußballklubs üblich geworden, besondere Wettspiele im „Fußballweit- und -zielstoßen“ vorzunehmen **). Nachdem die deutsche *) Vergl. bes.: „Die Gewissensfrage von der Grundgymnastik im Spieltrieb“ Neue Blätter aus Süddeutschland für Erziehung und Unterricht, Jahrg. 1895, 2. Heft. **) „Um ein gutes Drop Kick stauchen zu können, heißt es da z. B., gehört offen- gestanden eine große Uebung und Ausdauer. Mag der Stauch 99 mal mißlungen sein, nur nicht verzagt und frisch das 100. Mal probiert; vielleicht gelingt er dann.“ Und das alles, um den Hundstritt zu erlernen. O du heilige Einfalt!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Texterfassung und Korrekturen (2013-05-07T06:54:31Z)
Hannah Sophia Glaum: Konversion nach XML (2013-05-07T06:54:31Z)
Melanie Henss: Nachkorrekturen (2013-05-07T06:54:31Z)
Universitätsbibliothek Marburg: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-05-07T06:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Seiten- und Zeilenumbrüche markiert.
  • Silbentrennung entsprechend Vorlage.
  • Langes s als rundes s transkribiert.
  • Rundes r als r/et transkribiert.
  • Hervorhebungen ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898/15
Zitationshilfe: Planck, Karl: Fusslümmelei. Über Stauchballspiel und englische Krankheit. Stuttgart, 1898, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_fussluemmelei_1898/15>, abgerufen am 21.11.2024.