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Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897.

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Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie.
das der wirklichen Veränderung entspricht, auf irgend eine be-
liebige virtuelle unendlich kleine Zustandsänderung des Systems.

§ 149. In den meisten von uns weiter zu behandelnden
Fällen ist, wenn eine gewisse virtuelle unendlich kleine Zustands-
änderung mit den festen Bedingungen des Systems verträglich
ist, auch die gerade entgegengesetzte, durch die entgegengesetzten
Vorzeichen aller Variationen dargestellte Zustandsänderung mit
ihnen verträglich. Das gilt immer dann, wenn die festen Be-
dingungen durch Gleichungen, nicht durch Ungleichungen aus-
gedrückt werden. In einem solchen Falle könnte man, falls für
eine virtuelle Aenderung in obiger Bedingung das Zeichen <
gelten würde, einfach die entgegengesetzte Variation nehmen,
um eine Zustandsänderung zu erhalten, welche den Bedingungen
der wirklichen Vorgänge genügt und daher in der Natur eintreten
kann. Hier ist also das Gleichgewicht nur dann nach allen
Richtungen hin gesichert, wenn für jede mit den festen Be-
dingungen verträgliche Aenderung:
(76) [Formel 1] .
Diese Gleichung spricht eine für das Gleichgewicht hinreichende,
aber, wie wir eben sahen, nicht gerade in allen Fällen noth-
wendige Bedingung aus. Ja selbst wenn die festen Bedingungen
eine Umkehrung der Vorzeichen aller Variationen gestatten, be-
steht erfahrungsgemäss manchmal thermodynamisches Gleichge-
wicht, ohne dass die letzte Gleichung erfüllt ist, d. h. es tritt
unter Umständen in der Natur eine Veränderung nicht ein, ob-
wohl sie sowohl den festen Bedingungen als auch den Forderungen
des zweiten Hauptsatzes Genüge leisten würde. Man wird da-
durch zu dem Schlusse geführt, dass sich in einem solchen Falle
dem Eintritt der Veränderung eine Art Widerstand entgegen-
stellt, der wegen der Richtung, in welcher er wirkt, auch Träg-
heitswiderstand oder passiver Widerstand genannt wird. Solch
ein Gleichgewichtszustand ist immer in gewissem Sinne labil;
denn oft genügt eine geringfügige und mit den im System vor-
handenen Grössen quantitativ garnicht vergleichbare Störung, um
die Veränderung, dann oft mit grosser Heftigkeit, eintreten zu
lassen. Beispiele hiefür bieten eine unter ihre Gefriertemperatur
abgekühlte Flüssigkeit, ein übersättigter Dampf, eine übersättigte
Lösung, eine explosible Substanz u. s. w. Wir werden uns vor-

Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie.
das der wirklichen Veränderung entspricht, auf irgend eine be-
liebige virtuelle unendlich kleine Zustandsänderung des Systems.

§ 149. In den meisten von uns weiter zu behandelnden
Fällen ist, wenn eine gewisse virtuelle unendlich kleine Zustands-
änderung mit den festen Bedingungen des Systems verträglich
ist, auch die gerade entgegengesetzte, durch die entgegengesetzten
Vorzeichen aller Variationen dargestellte Zustandsänderung mit
ihnen verträglich. Das gilt immer dann, wenn die festen Be-
dingungen durch Gleichungen, nicht durch Ungleichungen aus-
gedrückt werden. In einem solchen Falle könnte man, falls für
eine virtuelle Aenderung in obiger Bedingung das Zeichen <
gelten würde, einfach die entgegengesetzte Variation nehmen,
um eine Zustandsänderung zu erhalten, welche den Bedingungen
der wirklichen Vorgänge genügt und daher in der Natur eintreten
kann. Hier ist also das Gleichgewicht nur dann nach allen
Richtungen hin gesichert, wenn für jede mit den festen Be-
dingungen verträgliche Aenderung:
(76) [Formel 1] .
Diese Gleichung spricht eine für das Gleichgewicht hinreichende,
aber, wie wir eben sahen, nicht gerade in allen Fällen noth-
wendige Bedingung aus. Ja selbst wenn die festen Bedingungen
eine Umkehrung der Vorzeichen aller Variationen gestatten, be-
steht erfahrungsgemäss manchmal thermodynamisches Gleichge-
wicht, ohne dass die letzte Gleichung erfüllt ist, d. h. es tritt
unter Umständen in der Natur eine Veränderung nicht ein, ob-
wohl sie sowohl den festen Bedingungen als auch den Forderungen
des zweiten Hauptsatzes Genüge leisten würde. Man wird da-
durch zu dem Schlusse geführt, dass sich in einem solchen Falle
dem Eintritt der Veränderung eine Art Widerstand entgegen-
stellt, der wegen der Richtung, in welcher er wirkt, auch Träg-
heitswiderstand oder passiver Widerstand genannt wird. Solch
ein Gleichgewichtszustand ist immer in gewissem Sinne labil;
denn oft genügt eine geringfügige und mit den im System vor-
handenen Grössen quantitativ garnicht vergleichbare Störung, um
die Veränderung, dann oft mit grosser Heftigkeit, eintreten zu
lassen. Beispiele hiefür bieten eine unter ihre Gefriertemperatur
abgekühlte Flüssigkeit, ein übersättigter Dampf, eine übersättigte
Lösung, eine explosible Substanz u. s. w. Wir werden uns vor-

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[108/0124] Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie. das der wirklichen Veränderung entspricht, auf irgend eine be- liebige virtuelle unendlich kleine Zustandsänderung des Systems. § 149. In den meisten von uns weiter zu behandelnden Fällen ist, wenn eine gewisse virtuelle unendlich kleine Zustands- änderung mit den festen Bedingungen des Systems verträglich ist, auch die gerade entgegengesetzte, durch die entgegengesetzten Vorzeichen aller Variationen dargestellte Zustandsänderung mit ihnen verträglich. Das gilt immer dann, wenn die festen Be- dingungen durch Gleichungen, nicht durch Ungleichungen aus- gedrückt werden. In einem solchen Falle könnte man, falls für eine virtuelle Aenderung in obiger Bedingung das Zeichen < gelten würde, einfach die entgegengesetzte Variation nehmen, um eine Zustandsänderung zu erhalten, welche den Bedingungen der wirklichen Vorgänge genügt und daher in der Natur eintreten kann. Hier ist also das Gleichgewicht nur dann nach allen Richtungen hin gesichert, wenn für jede mit den festen Be- dingungen verträgliche Aenderung: (76) [FORMEL]. Diese Gleichung spricht eine für das Gleichgewicht hinreichende, aber, wie wir eben sahen, nicht gerade in allen Fällen noth- wendige Bedingung aus. Ja selbst wenn die festen Bedingungen eine Umkehrung der Vorzeichen aller Variationen gestatten, be- steht erfahrungsgemäss manchmal thermodynamisches Gleichge- wicht, ohne dass die letzte Gleichung erfüllt ist, d. h. es tritt unter Umständen in der Natur eine Veränderung nicht ein, ob- wohl sie sowohl den festen Bedingungen als auch den Forderungen des zweiten Hauptsatzes Genüge leisten würde. Man wird da- durch zu dem Schlusse geführt, dass sich in einem solchen Falle dem Eintritt der Veränderung eine Art Widerstand entgegen- stellt, der wegen der Richtung, in welcher er wirkt, auch Träg- heitswiderstand oder passiver Widerstand genannt wird. Solch ein Gleichgewichtszustand ist immer in gewissem Sinne labil; denn oft genügt eine geringfügige und mit den im System vor- handenen Grössen quantitativ garnicht vergleichbare Störung, um die Veränderung, dann oft mit grosser Heftigkeit, eintreten zu lassen. Beispiele hiefür bieten eine unter ihre Gefriertemperatur abgekühlte Flüssigkeit, ein übersättigter Dampf, eine übersättigte Lösung, eine explosible Substanz u. s. w. Wir werden uns vor-

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Zitationshilfe: Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_thermodynamik_1897/124>, abgerufen am 23.11.2024.