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Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897.

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Einleitung.
auf die Beschaffenheit des Anfangszustandes und die des End-
zustandes des Prozesses an, nicht aber auf seinen sonstigen
Verlauf. Denn es handelt sich nur um die Frage, ob man, aus-
gehend vom Endzustand, auf irgend eine Weise den Anfangs-
zustand ohne anderweitige Aenderung wieder erreichen kann
oder nicht. Daher liefert der zweite Hauptsatz für jeden be-
liebigen in der Natur stattfindenden Prozess eine Beziehung
zwischen denjenigen Grössen, welche sich auf den Anfangszustand
beziehen, und denjenigen, welche sich auf den Endzustand be-
ziehen. Bei irreversibeln Prozessen ist offenbar der Endzustand
durch eine gewisse Eigenschaft vor dem Anfangszustand ausge-
zeichnet, während bei reversibeln Prozessen diese beiden Zu-
stände in gewisser Hinsicht gleichwerthig sind. Der zweite
Hauptsatz lehrt diese charakteristische Eigenschaft der beiden
Zustände kennen, er lehrt also auch, falls die beiden Zustände
gegeben sind, von vorneherein bestimmen, ob in der Natur ein
Uebergang vom ersten zum zweiten oder vom zweiten zum ersten
Zustand möglich ist, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen
zurückbleiben. Dazu müssen aber die beiden Zustände voll-
kommen genau charakterisirt werden, insbesondere müssen
ausser der chemischen Beschaffenheit des in Frage kommen-
den Systems auch die physikalischen Bedingungen: Aggregat-
zustand, Temperatur, Druck in beiden Zuständen bekannt sein,
ebenso wie das bei der Anwendung des ersten Hauptsatzes er-
fordert wird.

Die vom zweiten Hauptsatz gelieferte Beziehung wird offen-
bar um so einfacher lauten, je weniger sich der Endzustand
vom Anfangszustand unterscheidet. Daher rührt die grosse
Fruchtbarkeit des zweiten Hauptsatzes für Kreisprozesse, die,
so verwickelt sie in ihrem Verlauf sonst sein mögen, doch einen
von dem Anfangszustand nur wenig verschiedenen Endzustand
liefern (vgl. § 91).

§ 115. Da es thatsächlich keinen Prozess in der Natur
gibt, der nicht mit Reibung oder Wärmeleitung verbunden wäre,
so sind, wenn der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie richtig
ist, sämmtliche Naturprozesse in Wirklichkeit irreversibel, und die
reversibeln Prozesse bilden nur einen idealen Grenzfall, der aber
für die theoretische Beweisführung und für die Anwendung auf
Gleichgewichtszustände von erheblicher Wichtigkeit ist.

Einleitung.
auf die Beschaffenheit des Anfangszustandes und die des End-
zustandes des Prozesses an, nicht aber auf seinen sonstigen
Verlauf. Denn es handelt sich nur um die Frage, ob man, aus-
gehend vom Endzustand, auf irgend eine Weise den Anfangs-
zustand ohne anderweitige Aenderung wieder erreichen kann
oder nicht. Daher liefert der zweite Hauptsatz für jeden be-
liebigen in der Natur stattfindenden Prozess eine Beziehung
zwischen denjenigen Grössen, welche sich auf den Anfangszustand
beziehen, und denjenigen, welche sich auf den Endzustand be-
ziehen. Bei irreversibeln Prozessen ist offenbar der Endzustand
durch eine gewisse Eigenschaft vor dem Anfangszustand ausge-
zeichnet, während bei reversibeln Prozessen diese beiden Zu-
stände in gewisser Hinsicht gleichwerthig sind. Der zweite
Hauptsatz lehrt diese charakteristische Eigenschaft der beiden
Zustände kennen, er lehrt also auch, falls die beiden Zustände
gegeben sind, von vorneherein bestimmen, ob in der Natur ein
Uebergang vom ersten zum zweiten oder vom zweiten zum ersten
Zustand möglich ist, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen
zurückbleiben. Dazu müssen aber die beiden Zustände voll-
kommen genau charakterisirt werden, insbesondere müssen
ausser der chemischen Beschaffenheit des in Frage kommen-
den Systems auch die physikalischen Bedingungen: Aggregat-
zustand, Temperatur, Druck in beiden Zuständen bekannt sein,
ebenso wie das bei der Anwendung des ersten Hauptsatzes er-
fordert wird.

Die vom zweiten Hauptsatz gelieferte Beziehung wird offen-
bar um so einfacher lauten, je weniger sich der Endzustand
vom Anfangszustand unterscheidet. Daher rührt die grosse
Fruchtbarkeit des zweiten Hauptsatzes für Kreisprozesse, die,
so verwickelt sie in ihrem Verlauf sonst sein mögen, doch einen
von dem Anfangszustand nur wenig verschiedenen Endzustand
liefern (vgl. § 91).

§ 115. Da es thatsächlich keinen Prozess in der Natur
gibt, der nicht mit Reibung oder Wärmeleitung verbunden wäre,
so sind, wenn der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie richtig
ist, sämmtliche Naturprozesse in Wirklichkeit irreversibel, und die
reversibeln Prozesse bilden nur einen idealen Grenzfall, der aber
für die theoretische Beweisführung und für die Anwendung auf
Gleichgewichtszustände von erheblicher Wichtigkeit ist.

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[79/0095] Einleitung. auf die Beschaffenheit des Anfangszustandes und die des End- zustandes des Prozesses an, nicht aber auf seinen sonstigen Verlauf. Denn es handelt sich nur um die Frage, ob man, aus- gehend vom Endzustand, auf irgend eine Weise den Anfangs- zustand ohne anderweitige Aenderung wieder erreichen kann oder nicht. Daher liefert der zweite Hauptsatz für jeden be- liebigen in der Natur stattfindenden Prozess eine Beziehung zwischen denjenigen Grössen, welche sich auf den Anfangszustand beziehen, und denjenigen, welche sich auf den Endzustand be- ziehen. Bei irreversibeln Prozessen ist offenbar der Endzustand durch eine gewisse Eigenschaft vor dem Anfangszustand ausge- zeichnet, während bei reversibeln Prozessen diese beiden Zu- stände in gewisser Hinsicht gleichwerthig sind. Der zweite Hauptsatz lehrt diese charakteristische Eigenschaft der beiden Zustände kennen, er lehrt also auch, falls die beiden Zustände gegeben sind, von vorneherein bestimmen, ob in der Natur ein Uebergang vom ersten zum zweiten oder vom zweiten zum ersten Zustand möglich ist, ohne dass in anderen Körpern Aenderungen zurückbleiben. Dazu müssen aber die beiden Zustände voll- kommen genau charakterisirt werden, insbesondere müssen ausser der chemischen Beschaffenheit des in Frage kommen- den Systems auch die physikalischen Bedingungen: Aggregat- zustand, Temperatur, Druck in beiden Zuständen bekannt sein, ebenso wie das bei der Anwendung des ersten Hauptsatzes er- fordert wird. Die vom zweiten Hauptsatz gelieferte Beziehung wird offen- bar um so einfacher lauten, je weniger sich der Endzustand vom Anfangszustand unterscheidet. Daher rührt die grosse Fruchtbarkeit des zweiten Hauptsatzes für Kreisprozesse, die, so verwickelt sie in ihrem Verlauf sonst sein mögen, doch einen von dem Anfangszustand nur wenig verschiedenen Endzustand liefern (vgl. § 91). § 115. Da es thatsächlich keinen Prozess in der Natur gibt, der nicht mit Reibung oder Wärmeleitung verbunden wäre, so sind, wenn der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie richtig ist, sämmtliche Naturprozesse in Wirklichkeit irreversibel, und die reversibeln Prozesse bilden nur einen idealen Grenzfall, der aber für die theoretische Beweisführung und für die Anwendung auf Gleichgewichtszustände von erheblicher Wichtigkeit ist.

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Zitationshilfe: Planck, Max: Vorlesungen über Thermodynamik. Leipzig: Veit & C., 1897, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/planck_thermodynamik_1897/95>, abgerufen am 24.11.2024.