Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826.
Ein Geschlecht, das gern die Mühe, Großes zu verstehn, er- spart, Ach, und dem den Sinn des Schönen nie ein Gott geoffenbart! Das jedoch, mit dreister Stirne, Jeden gleich zu meistern denkt, Der der Kunst sein tiefstes Sinnen, ja das Leben selbst geschenkt; Ein Geschlecht, das stets zerrissen, stets vom Halben halb er- faßt, Jede Seele, die als Ganzes sich harmonisch rundet, haßt! Gönne das Geschick dem Dichter nur den Wunsch, für den er glüht, Bald sich in ein Land zu flüchten, wo die Kunst so reich geblüht, Bis zuletzt die deutsche Sprache seinen Ohren fremder tönt, Eine Sprache, die sich ehmals unter seiner Hand verschönt: Ja, dann mag er sterben, wie es schildert euch ein früh'res Lied, Lanzenstiche viel im Herzen, als der Dichtkunst Winkelried!
Ein Geſchlecht, das gern die Muͤhe, Großes zu verſtehn, er- ſpart, Ach, und dem den Sinn des Schoͤnen nie ein Gott geoffenbart! Das jedoch, mit dreiſter Stirne, Jeden gleich zu meiſtern denkt, Der der Kunſt ſein tiefſtes Sinnen, ja das Leben ſelbſt geſchenkt; Ein Geſchlecht, das ſtets zerriſſen, ſtets vom Halben halb er- faßt, Jede Seele, die als Ganzes ſich harmoniſch rundet, haßt! Goͤnne das Geſchick dem Dichter nur den Wunſch, fuͤr den er gluͤht, Bald ſich in ein Land zu fluͤchten, wo die Kunſt ſo reich gebluͤht, Bis zuletzt die deutſche Sprache ſeinen Ohren fremder toͤnt, Eine Sprache, die ſich ehmals unter ſeiner Hand verſchoͤnt: Ja, dann mag er ſterben, wie es ſchildert euch ein fruͤh'res Lied, Lanzenſtiche viel im Herzen, als der Dichtkunſt Winkelried! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#SCHM"> <p><pb facs="#f0078" n="72"/> Ein Geſchlecht, das gern die Muͤhe, Großes zu verſtehn, er-<lb/> ſpart,<lb/> Ach, und dem den Sinn des Schoͤnen nie ein Gott geoffenbart!<lb/> Das jedoch, mit dreiſter Stirne, Jeden gleich zu meiſtern denkt,<lb/> Der der Kunſt ſein tiefſtes Sinnen, ja das Leben ſelbſt geſchenkt;<lb/> Ein Geſchlecht, das ſtets zerriſſen, ſtets vom Halben halb er-<lb/> faßt,<lb/> Jede Seele, die als Ganzes ſich harmoniſch rundet, haßt!<lb/> Goͤnne das Geſchick dem Dichter nur den Wunſch, fuͤr den er<lb/> gluͤht,<lb/> Bald ſich in ein Land zu fluͤchten, wo die Kunſt ſo reich gebluͤht,<lb/> Bis zuletzt die deutſche Sprache ſeinen Ohren fremder toͤnt,<lb/> Eine Sprache, die ſich ehmals unter ſeiner Hand verſchoͤnt:<lb/> Ja, dann mag er ſterben, wie es ſchildert euch ein fruͤh'res Lied,<lb/> Lanzenſtiche viel im Herzen, als der Dichtkunſt Winkelried!</p> </sp> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [72/0078]
Ein Geſchlecht, das gern die Muͤhe, Großes zu verſtehn, er-
ſpart,
Ach, und dem den Sinn des Schoͤnen nie ein Gott geoffenbart!
Das jedoch, mit dreiſter Stirne, Jeden gleich zu meiſtern denkt,
Der der Kunſt ſein tiefſtes Sinnen, ja das Leben ſelbſt geſchenkt;
Ein Geſchlecht, das ſtets zerriſſen, ſtets vom Halben halb er-
faßt,
Jede Seele, die als Ganzes ſich harmoniſch rundet, haßt!
Goͤnne das Geſchick dem Dichter nur den Wunſch, fuͤr den er
gluͤht,
Bald ſich in ein Land zu fluͤchten, wo die Kunſt ſo reich gebluͤht,
Bis zuletzt die deutſche Sprache ſeinen Ohren fremder toͤnt,
Eine Sprache, die ſich ehmals unter ſeiner Hand verſchoͤnt:
Ja, dann mag er ſterben, wie es ſchildert euch ein fruͤh'res Lied,
Lanzenſtiche viel im Herzen, als der Dichtkunſt Winkelried!
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