Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826.
Die Geschichte war höchst tragisch, ungefähr wie folgt: Ein frommer Taschenspieler ging als Missionär Nach Asien und verliebte sich mit Leidenschaft In eine junge, tibetanische Person, Hübsch, reich, ein wahres Muster von Vollkommenheit. Doch um sie zu besitzen, soll der Bräutigam Den Glauben wechseln, eine Sache, die vorerst Ihm nur geringe Skrupel macht. Er dachte so: Da doch auf keine Weise sich das Christenthum Anheischig macht, in dieser Welt die Herzen schon Zu beglücken, durch harmonische Befriedigung Des ganzen Menschen, wie es das Heidenthum gethan, Da es höchst naiv jenseitiges Glück allein verspricht, So reicht's ja hin, in der andern Welt ein Christ zu seyn, In dieser blos ein Glücklicher, was Jeder wünscht. So dachte dieser Philosoph und Proselyt. Nun aber kam das Schwerste, was er nicht bestand: Er soll, um zu bewähren sich als Gläubiger, Verzehren eine Speise, die, bereits verdaut, Im Darm des Dalai Lama schon gewesen war. Er stutzt, er kommt auf keine Weise zum Entschluß: Umsonst beschwört der Priester ihn, der Lama selbst, Die Geliebte läßt ihn ihre Reize hoffend schau'n, Und bringt auf goldnem Teller ihm die Süßigkeit. Vergebens! Stets noch zaudert er, und kehrt sich ab, Und Eckel frißt der Seele tiefstes Mark ihm auf. (Wie wird der große Dichter diesen großen Kampf Uns conterfei'n, den ärgsten, den ein Mensch gekämpft, In einem wahren Meisterstück von Monolog!) Beleidigt tritt die Tibetanerin zuletzt Von ihm zurück, um einem Eingeborenen
Die Geſchichte war hoͤchſt tragiſch, ungefaͤhr wie folgt: Ein frommer Taſchenſpieler ging als Miſſionaͤr Nach Aſien und verliebte ſich mit Leidenſchaft In eine junge, tibetaniſche Perſon, Huͤbſch, reich, ein wahres Muſter von Vollkommenheit. Doch um ſie zu beſitzen, ſoll der Braͤutigam Den Glauben wechſeln, eine Sache, die vorerſt Ihm nur geringe Skrupel macht. Er dachte ſo: Da doch auf keine Weiſe ſich das Chriſtenthum Anheiſchig macht, in dieſer Welt die Herzen ſchon Zu begluͤcken, durch harmoniſche Befriedigung Des ganzen Menſchen, wie es das Heidenthum gethan, Da es hoͤchſt naiv jenſeitiges Gluͤck allein verſpricht, So reicht's ja hin, in der andern Welt ein Chriſt zu ſeyn, In dieſer blos ein Gluͤcklicher, was Jeder wuͤnſcht. So dachte dieſer Philoſoph und Proſelyt. Nun aber kam das Schwerſte, was er nicht beſtand: Er ſoll, um zu bewaͤhren ſich als Glaͤubiger, Verzehren eine Speiſe, die, bereits verdaut, Im Darm des Dalai Lama ſchon geweſen war. Er ſtutzt, er kommt auf keine Weiſe zum Entſchluß: Umſonſt beſchwoͤrt der Prieſter ihn, der Lama ſelbſt, Die Geliebte laͤßt ihn ihre Reize hoffend ſchau'n, Und bringt auf goldnem Teller ihm die Suͤßigkeit. Vergebens! Stets noch zaudert er, und kehrt ſich ab, Und Eckel frißt der Seele tiefſtes Mark ihm auf. (Wie wird der große Dichter dieſen großen Kampf Uns conterfei'n, den aͤrgſten, den ein Menſch gekaͤmpft, In einem wahren Meiſterſtuͤck von Monolog!) Beleidigt tritt die Tibetanerin zuletzt Von ihm zuruͤck, um einem Eingeborenen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#WIRTH"> <p><pb facs="#f0082" n="76"/> Die Geſchichte war hoͤchſt tragiſch, ungefaͤhr wie folgt:<lb/> Ein frommer Taſchenſpieler ging als Miſſionaͤr<lb/> Nach Aſien und verliebte ſich mit Leidenſchaft<lb/> In eine junge, tibetaniſche Perſon,<lb/> Huͤbſch, reich, ein wahres Muſter von Vollkommenheit.<lb/> Doch um ſie zu beſitzen, ſoll der Braͤutigam<lb/> Den Glauben wechſeln, eine Sache, die vorerſt<lb/> Ihm nur geringe Skrupel macht. Er dachte ſo:<lb/> Da doch auf keine Weiſe ſich das Chriſtenthum<lb/> Anheiſchig macht, in dieſer Welt die Herzen ſchon<lb/> Zu begluͤcken, durch harmoniſche Befriedigung<lb/> Des ganzen Menſchen, wie es das Heidenthum gethan,<lb/> Da es hoͤchſt naiv jenſeitiges Gluͤck allein verſpricht,<lb/> So reicht's ja hin, in der andern Welt ein Chriſt zu ſeyn,<lb/> In dieſer blos ein Gluͤcklicher, was Jeder wuͤnſcht.<lb/> So dachte dieſer Philoſoph und Proſelyt.<lb/> Nun aber kam das Schwerſte, was er nicht beſtand:<lb/> Er ſoll, um zu bewaͤhren ſich als Glaͤubiger,<lb/> Verzehren eine Speiſe, die, bereits verdaut,<lb/> Im Darm des Dalai Lama ſchon geweſen war.<lb/> Er ſtutzt, er kommt auf keine Weiſe zum Entſchluß:<lb/> Umſonſt beſchwoͤrt der Prieſter ihn, der Lama ſelbſt,<lb/> Die Geliebte laͤßt ihn ihre Reize hoffend ſchau'n,<lb/> Und bringt auf goldnem Teller ihm die Suͤßigkeit.<lb/> Vergebens! Stets noch zaudert er, und kehrt ſich ab,<lb/> Und Eckel frißt der Seele tiefſtes Mark ihm auf.<lb/> (Wie wird der große Dichter dieſen großen Kampf<lb/> Uns conterfei'n, den aͤrgſten, den ein Menſch gekaͤmpft,<lb/> In einem wahren Meiſterſtuͤck von Monolog!)<lb/> Beleidigt tritt die Tibetanerin zuletzt<lb/> Von ihm zuruͤck, um einem Eingeborenen<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [76/0082]
Die Geſchichte war hoͤchſt tragiſch, ungefaͤhr wie folgt:
Ein frommer Taſchenſpieler ging als Miſſionaͤr
Nach Aſien und verliebte ſich mit Leidenſchaft
In eine junge, tibetaniſche Perſon,
Huͤbſch, reich, ein wahres Muſter von Vollkommenheit.
Doch um ſie zu beſitzen, ſoll der Braͤutigam
Den Glauben wechſeln, eine Sache, die vorerſt
Ihm nur geringe Skrupel macht. Er dachte ſo:
Da doch auf keine Weiſe ſich das Chriſtenthum
Anheiſchig macht, in dieſer Welt die Herzen ſchon
Zu begluͤcken, durch harmoniſche Befriedigung
Des ganzen Menſchen, wie es das Heidenthum gethan,
Da es hoͤchſt naiv jenſeitiges Gluͤck allein verſpricht,
So reicht's ja hin, in der andern Welt ein Chriſt zu ſeyn,
In dieſer blos ein Gluͤcklicher, was Jeder wuͤnſcht.
So dachte dieſer Philoſoph und Proſelyt.
Nun aber kam das Schwerſte, was er nicht beſtand:
Er ſoll, um zu bewaͤhren ſich als Glaͤubiger,
Verzehren eine Speiſe, die, bereits verdaut,
Im Darm des Dalai Lama ſchon geweſen war.
Er ſtutzt, er kommt auf keine Weiſe zum Entſchluß:
Umſonſt beſchwoͤrt der Prieſter ihn, der Lama ſelbſt,
Die Geliebte laͤßt ihn ihre Reize hoffend ſchau'n,
Und bringt auf goldnem Teller ihm die Suͤßigkeit.
Vergebens! Stets noch zaudert er, und kehrt ſich ab,
Und Eckel frißt der Seele tiefſtes Mark ihm auf.
(Wie wird der große Dichter dieſen großen Kampf
Uns conterfei'n, den aͤrgſten, den ein Menſch gekaͤmpft,
In einem wahren Meiſterſtuͤck von Monolog!)
Beleidigt tritt die Tibetanerin zuletzt
Von ihm zuruͤck, um einem Eingeborenen
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