Platen, August von: Die verhängnißvolle Gabel. Stuttgart u. a., 1826.
Wohlwollen[de] triffst du gewiß niemals, kurzsichtige Tadler gewißlich. Zwar möc[ht]e das Volk, aus eitler Begier, an poetischen Genien reich seyn, Doch sollen sie auch Bußprediger, ja, Betschwestern und Alles zugleich seyn! Doch, reic[h]ten sie nichts als milchige Kost, als ganz un- schuldige Speise, Dann wä[re]n sie wohl viel weiser als Gott, der Thoren ge- schaffen und Weise. Was Jed[em] geziemt, das üb' er getrost, mit dem Seinen bescheide sich Jeder: Im Son[ne]nsystem ist Raum für mehr, als für des Zeloten Katheder! Wir sche[l]ten es nicht, will Einer' die Welt und die welt- lichen Dinge verpönen, Doch w[e]r anschaut die Gebilde der Kunst, geh' unter im Geiste des Schönen! Ein Ped[an]t, den nichts zu begeistern im Stand, armselig steht er und einsam, Zwar hat er vielleicht mit den Thieren den Fleiß, doch nichts mit den Menschen gemeinsam! Glaubt nicht, daß unser Poet, der gern, was krank ist, sähe geheilet, Mißgü[ns]tigen Sinns Eingebungen folgt, wenn er auch Ohrfeigen vertheilet: Wer H[a]ß im Gemüth und Bosheit trägt und wer unlau- tere Regung, Dem [w]eigert die Kunst jedweden Gehalt und die Grazie jede Bewegung. Wen k[ü]mmert es, was ein Poet urtheilt? Doch, zeigte sich Einer empfindlich,
Wohlwollen[de] triffſt du gewiß niemals, kurzſichtige Tadler gewißlich. Zwar moͤc[ht]e das Volk, aus eitler Begier, an poetiſchen Genien reich ſeyn, Doch ſollen ſie auch Bußprediger, ja, Betſchweſtern und Alles zugleich ſeyn! Doch, reic[h]ten ſie nichts als milchige Koſt, als ganz un- ſchuldige Speiſe, Dann waͤ[re]n ſie wohl viel weiſer als Gott, der Thoren ge- ſchaffen und Weiſe. Was Jed[em] geziemt, das uͤb' er getroſt, mit dem Seinen beſcheide ſich Jeder: Im Son[ne]nſyſtem iſt Raum fuͤr mehr, als fuͤr des Zeloten Katheder! Wir ſche[l]ten es nicht, will Einer' die Welt und die welt- lichen Dinge verpoͤnen, Doch w[e]r anſchaut die Gebilde der Kunſt, geh' unter im Geiſte des Schoͤnen! Ein Ped[an]t, den nichts zu begeiſtern im Stand, armſelig ſteht er und einſam, Zwar hat er vielleicht mit den Thieren den Fleiß, doch nichts mit den Menſchen gemeinſam! Glaubt nicht, daß unſer Poet, der gern, was krank iſt, ſaͤhe geheilet, Mißguͤ[nſ]tigen Sinns Eingebungen folgt, wenn er auch Ohrfeigen vertheilet: Wer H[a]ß im Gemuͤth und Bosheit traͤgt und wer unlau- tere Regung, Dem [w]eigert die Kunſt jedweden Gehalt und die Grazie jede Bewegung. Wen k[uͤ]mmert es, was ein Poet urtheilt? Doch, zeigte ſich Einer empfindlich, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#SCHM"> <p><pb facs="#f0092" n="86"/> Wohlwollen<supplied reason="damage">de</supplied> triffſt du gewiß niemals, kurzſichtige Tadler<lb/> gewißlich.<lb/> Zwar moͤc<supplied reason="damage">ht</supplied>e das Volk, aus eitler Begier, an poetiſchen<lb/> Genien reich ſeyn,<lb/> Doch ſollen ſie auch Bußprediger, ja, Betſchweſtern und<lb/> Alles zugleich ſeyn!<lb/> Doch, reic<supplied reason="damage">h</supplied>ten ſie nichts als milchige Koſt, als ganz un-<lb/> ſchuldige Speiſe,<lb/> Dann waͤ<supplied reason="damage">re</supplied>n ſie wohl viel weiſer als Gott, der Thoren ge-<lb/> ſchaffen und Weiſe.<lb/> Was Jed<supplied reason="damage">em</supplied> geziemt, das uͤb' er getroſt, mit dem Seinen<lb/> beſcheide ſich Jeder:<lb/> Im Son<supplied reason="damage">ne</supplied>nſyſtem iſt Raum fuͤr mehr, als fuͤr des Zeloten<lb/> Katheder!<lb/> Wir ſche<supplied reason="damage">l</supplied>ten es nicht, will Einer' die Welt und die welt-<lb/> lichen Dinge verpoͤnen,<lb/> Doch w<supplied reason="damage">e</supplied>r anſchaut die Gebilde der Kunſt, geh' unter im<lb/> Geiſte des Schoͤnen!<lb/> Ein Ped<supplied reason="damage">an</supplied>t, den nichts zu begeiſtern im Stand, armſelig<lb/> ſteht er und einſam,<lb/> Zwar hat er vielleicht mit den Thieren den Fleiß, doch nichts<lb/> mit den Menſchen gemeinſam!<lb/> Glaubt nicht, daß unſer Poet, der gern, was krank iſt,<lb/> ſaͤhe geheilet,<lb/> Mißguͤ<supplied reason="damage">nſ</supplied>tigen Sinns Eingebungen folgt, wenn er auch<lb/> Ohrfeigen vertheilet:<lb/> Wer H<supplied reason="damage">a</supplied>ß im Gemuͤth und Bosheit traͤgt und wer unlau-<lb/> tere Regung,<lb/> Dem <supplied reason="damage">w</supplied>eigert die Kunſt jedweden Gehalt und die Grazie<lb/> jede Bewegung.<lb/> Wen k<supplied>uͤ</supplied>mmert es, was ein Poet urtheilt? Doch, zeigte ſich<lb/> Einer empfindlich,<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [86/0092]
Wohlwollende triffſt du gewiß niemals, kurzſichtige Tadler
gewißlich.
Zwar moͤchte das Volk, aus eitler Begier, an poetiſchen
Genien reich ſeyn,
Doch ſollen ſie auch Bußprediger, ja, Betſchweſtern und
Alles zugleich ſeyn!
Doch, reichten ſie nichts als milchige Koſt, als ganz un-
ſchuldige Speiſe,
Dann waͤren ſie wohl viel weiſer als Gott, der Thoren ge-
ſchaffen und Weiſe.
Was Jedem geziemt, das uͤb' er getroſt, mit dem Seinen
beſcheide ſich Jeder:
Im Sonnenſyſtem iſt Raum fuͤr mehr, als fuͤr des Zeloten
Katheder!
Wir ſchelten es nicht, will Einer' die Welt und die welt-
lichen Dinge verpoͤnen,
Doch wer anſchaut die Gebilde der Kunſt, geh' unter im
Geiſte des Schoͤnen!
Ein Pedant, den nichts zu begeiſtern im Stand, armſelig
ſteht er und einſam,
Zwar hat er vielleicht mit den Thieren den Fleiß, doch nichts
mit den Menſchen gemeinſam!
Glaubt nicht, daß unſer Poet, der gern, was krank iſt,
ſaͤhe geheilet,
Mißguͤnſtigen Sinns Eingebungen folgt, wenn er auch
Ohrfeigen vertheilet:
Wer Haß im Gemuͤth und Bosheit traͤgt und wer unlau-
tere Regung,
Dem weigert die Kunſt jedweden Gehalt und die Grazie
jede Bewegung.
Wen kuͤmmert es, was ein Poet urtheilt? Doch, zeigte ſich
Einer empfindlich,
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