Platen, August von: Gedichte. Stuttgart, 1828.LXIV. Wer wüßte je das Leben recht zu fassen, Wer hat die Hälfte nicht davon verloren Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Thoren, In Liebesqual, im leeren Zeitverprassen? Ja, der sogar, der ruhig und gelassen, Mit dem Bewußtseyn, was er soll, geboren, Frühzeitig einen Lebensgang erkoren, Muß vor des Lebens Widerspruch erblassen. Denn Jeder hofft doch, daß das Glück ihm lache, Allein das Glück, wenn's wirklich kommt, ertragen, Ist keines Menschen, wäre Gottes Sache. Auch kommt es nie, wir wünschen blos und wagen: Dem Schläfer fällt es nimmermehr vom Dache, Und auch der Läufer wird es nicht erjagen. LXIV. Wer wuͤßte je das Leben recht zu faſſen, Wer hat die Haͤlfte nicht davon verloren Im Traum, im Fieber, im Geſpraͤch mit Thoren, In Liebesqual, im leeren Zeitverpraſſen? Ja, der ſogar, der ruhig und gelaſſen, Mit dem Bewußtſeyn, was er ſoll, geboren, Fruͤhzeitig einen Lebensgang erkoren, Muß vor des Lebens Widerſpruch erblaſſen. Denn Jeder hofft doch, daß das Gluͤck ihm lache, Allein das Gluͤck, wenn's wirklich kommt, ertragen, Iſt keines Menſchen, waͤre Gottes Sache. Auch kommt es nie, wir wuͤnſchen blos und wagen: Dem Schlaͤfer faͤllt es nimmermehr vom Dache, Und auch der Laͤufer wird es nicht erjagen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0242" n="232"/> </div> <div n="3"> <head> <hi rendition="#aq">LXIV.</hi><lb/> </head> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">W</hi>er wuͤßte je das Leben recht zu faſſen,</l><lb/> <l>Wer hat die Haͤlfte nicht davon verloren</l><lb/> <l>Im Traum, im Fieber, im Geſpraͤch mit Thoren,</l><lb/> <l>In Liebesqual, im leeren Zeitverpraſſen?</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Ja, der ſogar, der ruhig und gelaſſen,</l><lb/> <l>Mit dem Bewußtſeyn, was er ſoll, geboren,</l><lb/> <l>Fruͤhzeitig einen Lebensgang erkoren,</l><lb/> <l>Muß vor des Lebens Widerſpruch erblaſſen.</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Denn Jeder hofft doch, daß das Gluͤck ihm lache,</l><lb/> <l>Allein das Gluͤck, wenn's wirklich kommt, ertragen,</l><lb/> <l>Iſt keines Menſchen, waͤre Gottes Sache.</l><lb/> </lg> <lg n="4"> <l>Auch kommt es nie, wir wuͤnſchen blos und wagen:</l><lb/> <l>Dem Schlaͤfer faͤllt es nimmermehr vom Dache,</l><lb/> <l>Und auch der Laͤufer wird es nicht erjagen.</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [232/0242]
LXIV.
Wer wuͤßte je das Leben recht zu faſſen,
Wer hat die Haͤlfte nicht davon verloren
Im Traum, im Fieber, im Geſpraͤch mit Thoren,
In Liebesqual, im leeren Zeitverpraſſen?
Ja, der ſogar, der ruhig und gelaſſen,
Mit dem Bewußtſeyn, was er ſoll, geboren,
Fruͤhzeitig einen Lebensgang erkoren,
Muß vor des Lebens Widerſpruch erblaſſen.
Denn Jeder hofft doch, daß das Gluͤck ihm lache,
Allein das Gluͤck, wenn's wirklich kommt, ertragen,
Iſt keines Menſchen, waͤre Gottes Sache.
Auch kommt es nie, wir wuͤnſchen blos und wagen:
Dem Schlaͤfer faͤllt es nimmermehr vom Dache,
Und auch der Laͤufer wird es nicht erjagen.
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