Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829.
Auf Cithärons hohem Gipfel, wo mit jugendlichem Sinn Birschend einst im Wald du schweiftest, aufgeschürzte Jägerin! Frühling war's, die Myrten blühten, voll und rauschend ging der Bach, Rings erklang der Schafe Blöken und der Nachtigallen Ach. Unter einer Pinie lagst du, deinen Köcher unter'm Kopf, Dir zur Seite, sammt den Hunden, ein erschoss'ner Wiedehopf; Schlummernd hielt ich dich für eine Göttin, und ich wagte nicht Dich zu wecken; aber lange sah ich dir in's Angesicht: Eine Mücke fing ich endlich, und ich setzte dieses Thier Auf die Nasenspitze keck dir, auf die rothe Stelle hier. Du erwachtest, zürnend aber; stammelnd rief ich: O verzeih! Greifend an die Stirn nach einem schon gehofften Hirschgeweih; Doch du lächeltest und sagtest: Nicht Diana bin ich, nein! Aber keuscher, und auf Latmos gab ich nie ein Stelldichein. Willst du mich platonisch lieben, magst du folgen deinem Drang: Flüchtig ist gemeine Liebe, flüchtig wie der Wolke Gang: Diese schwebt ihr ganzes Leben, rosig heute, morgen grau, Ohne Heimath auf und nieder und zerfließt in Thränenthau. Also sprachst du, jede Sylbe merkt' ich mir und jeden Blick, Und an jenes Baumes Aeste knüpf' ich heute noch den Strick. Zelinde. Wie du willst! Diagoras. Grausame! Deine letzten Worte wären das? Zelinde. Ja. Diagoras. So lebe wohl, Zelinde!
Auf Cithaͤrons hohem Gipfel, wo mit jugendlichem Sinn Birſchend einſt im Wald du ſchweifteſt, aufgeſchuͤrzte Jaͤgerin! Fruͤhling war's, die Myrten bluͤhten, voll und rauſchend ging der Bach, Rings erklang der Schafe Bloͤken und der Nachtigallen Ach. Unter einer Pinie lagſt du, deinen Koͤcher unter'm Kopf, Dir zur Seite, ſammt den Hunden, ein erſchoſſ'ner Wiedehopf; Schlummernd hielt ich dich fuͤr eine Goͤttin, und ich wagte nicht Dich zu wecken; aber lange ſah ich dir in's Angeſicht: Eine Muͤcke fing ich endlich, und ich ſetzte dieſes Thier Auf die Naſenſpitze keck dir, auf die rothe Stelle hier. Du erwachteſt, zuͤrnend aber; ſtammelnd rief ich: O verzeih! Greifend an die Stirn nach einem ſchon gehofften Hirſchgeweih; Doch du laͤchelteſt und ſagteſt: Nicht Diana bin ich, nein! Aber keuſcher, und auf Latmos gab ich nie ein Stelldichein. Willſt du mich platoniſch lieben, magſt du folgen deinem Drang: Fluͤchtig iſt gemeine Liebe, fluͤchtig wie der Wolke Gang: Dieſe ſchwebt ihr ganzes Leben, roſig heute, morgen grau, Ohne Heimath auf und nieder und zerfließt in Thraͤnenthau. Alſo ſprachſt du, jede Sylbe merkt' ich mir und jeden Blick, Und an jenes Baumes Aeſte knuͤpf' ich heute noch den Strick. Zelinde. Wie du willſt! Diagoras. Grauſame! Deine letzten Worte waͤren das? Zelinde. Ja. Diagoras. So lebe wohl, Zelinde! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#DIA"> <p><pb facs="#f0030" n="24"/> Auf Cithaͤrons hohem Gipfel, wo mit jugendlichem Sinn<lb/> Birſchend einſt im Wald du ſchweifteſt, aufgeſchuͤrzte Jaͤgerin!<lb/> Fruͤhling war's, die Myrten bluͤhten, voll und rauſchend ging<lb/> der Bach,<lb/> Rings erklang der Schafe Bloͤken und der Nachtigallen Ach.<lb/> Unter einer Pinie lagſt du, deinen Koͤcher unter'm Kopf,<lb/> Dir zur Seite, ſammt den Hunden, ein erſchoſſ'ner Wiedehopf;<lb/> Schlummernd hielt ich dich fuͤr eine Goͤttin, und ich wagte<lb/> nicht<lb/> Dich zu wecken; aber lange ſah ich dir in's Angeſicht:<lb/> Eine Muͤcke fing ich endlich, und ich ſetzte dieſes Thier<lb/> Auf die Naſenſpitze keck dir, auf die rothe Stelle hier.<lb/> Du erwachteſt, zuͤrnend aber; ſtammelnd rief ich: O verzeih!<lb/> Greifend an die Stirn nach einem ſchon gehofften Hirſchgeweih;<lb/> Doch du laͤchelteſt und ſagteſt: Nicht Diana bin ich, nein!<lb/> Aber keuſcher, und auf Latmos gab ich nie ein Stelldichein.<lb/> Willſt du mich platoniſch lieben, magſt du folgen deinem<lb/> Drang:<lb/> Fluͤchtig iſt gemeine Liebe, fluͤchtig wie der Wolke Gang:<lb/> Dieſe ſchwebt ihr ganzes Leben, roſig heute, morgen grau,<lb/> Ohne Heimath auf und nieder und zerfließt in Thraͤnenthau.<lb/> Alſo ſprachſt du, jede Sylbe merkt' ich mir und jeden Blick,<lb/> Und an jenes Baumes Aeſte knuͤpf' ich heute noch den Strick.</p> </sp><lb/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Wie du willſt!</p> </sp><lb/> <sp who="#DIA"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Grauſame! Deine letzten Worte waͤren das?</p> </sp><lb/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Ja.</p> </sp><lb/> <sp who="#DIA"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Diagoras</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>So lebe wohl, Zelinde!</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0030]
Auf Cithaͤrons hohem Gipfel, wo mit jugendlichem Sinn
Birſchend einſt im Wald du ſchweifteſt, aufgeſchuͤrzte Jaͤgerin!
Fruͤhling war's, die Myrten bluͤhten, voll und rauſchend ging
der Bach,
Rings erklang der Schafe Bloͤken und der Nachtigallen Ach.
Unter einer Pinie lagſt du, deinen Koͤcher unter'm Kopf,
Dir zur Seite, ſammt den Hunden, ein erſchoſſ'ner Wiedehopf;
Schlummernd hielt ich dich fuͤr eine Goͤttin, und ich wagte
nicht
Dich zu wecken; aber lange ſah ich dir in's Angeſicht:
Eine Muͤcke fing ich endlich, und ich ſetzte dieſes Thier
Auf die Naſenſpitze keck dir, auf die rothe Stelle hier.
Du erwachteſt, zuͤrnend aber; ſtammelnd rief ich: O verzeih!
Greifend an die Stirn nach einem ſchon gehofften Hirſchgeweih;
Doch du laͤchelteſt und ſagteſt: Nicht Diana bin ich, nein!
Aber keuſcher, und auf Latmos gab ich nie ein Stelldichein.
Willſt du mich platoniſch lieben, magſt du folgen deinem
Drang:
Fluͤchtig iſt gemeine Liebe, fluͤchtig wie der Wolke Gang:
Dieſe ſchwebt ihr ganzes Leben, roſig heute, morgen grau,
Ohne Heimath auf und nieder und zerfließt in Thraͤnenthau.
Alſo ſprachſt du, jede Sylbe merkt' ich mir und jeden Blick,
Und an jenes Baumes Aeſte knuͤpf' ich heute noch den Strick.
Zelinde.
Wie du willſt!
Diagoras.
Grauſame! Deine letzten Worte waͤren das?
Zelinde.
Ja.
Diagoras.
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