Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829. Zelinde. Ich that's, o Freund, des Ueberraschens wegen. Polybus. Nie pflegt' ich ja dein Lager mehr zu theilen. Zelinde. Auch dieser Vorwurf macht mich nicht verlegen. Polybus. Besuchte dich Diagoras zuweilen? Zelinde. Zuweilen zehenmal des Tags; doch eben Hab' ich verbannt ihn auf ein Menschenleben. Polybus. Du weißt, ich mache selten viele Worte, Doch durch Exempel lernt man oft das Meiste: Es war einmal an einem sichern Orte Ein junger Kaufmann, welcher sich verreis'te, Und als er wiederum an seine Pforte Nach Jahren klopft mit allzufrohem Geiste, Kommt seine Frau entgegen ihm und bringet Ein jährig Kind ihm, welches ihn umschlinget. Wo kommt das Kind her, fragt der Gatte trocken, Da ich so lang gewesen in der Weite? Das Weib erwiedert ohne nur zu stocken: Ich lag am Fenster, als es eben schneite, Da flogen, Schatz, mir in den Mund die Flocken, Wodurch ich augenblicks gewann an Breite, Bis dieses Kind zuletzt zur Welt ich brachte, Und meines lieben Ehgemahls gedachte. Zelinde. Ich that's, o Freund, des Ueberraſchens wegen. Polybus. Nie pflegt' ich ja dein Lager mehr zu theilen. Zelinde. Auch dieſer Vorwurf macht mich nicht verlegen. Polybus. Beſuchte dich Diagoras zuweilen? Zelinde. Zuweilen zehenmal des Tags; doch eben Hab' ich verbannt ihn auf ein Menſchenleben. Polybus. Du weißt, ich mache ſelten viele Worte, Doch durch Exempel lernt man oft das Meiſte: Es war einmal an einem ſichern Orte Ein junger Kaufmann, welcher ſich verreiſ'te, Und als er wiederum an ſeine Pforte Nach Jahren klopft mit allzufrohem Geiſte, Kommt ſeine Frau entgegen ihm und bringet Ein jaͤhrig Kind ihm, welches ihn umſchlinget. Wo kommt das Kind her, fragt der Gatte trocken, Da ich ſo lang geweſen in der Weite? Das Weib erwiedert ohne nur zu ſtocken: Ich lag am Fenſter, als es eben ſchneite, Da flogen, Schatz, mir in den Mund die Flocken, Wodurch ich augenblicks gewann an Breite, Bis dieſes Kind zuletzt zur Welt ich brachte, Und meines lieben Ehgemahls gedachte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0042" n="36"/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Ich that's, o Freund, des Ueberraſchens wegen.</p> </sp><lb/> <sp who="#POL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Polybus</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Nie pflegt' ich ja dein Lager mehr zu theilen.</p> </sp><lb/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Auch dieſer Vorwurf macht mich nicht verlegen.</p> </sp><lb/> <sp who="#POL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Polybus</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Beſuchte dich Diagoras zuweilen?</p> </sp><lb/> <sp who="#ZEL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Zelinde</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Zuweilen zehenmal des Tags; doch eben<lb/> Hab' ich verbannt ihn auf ein Menſchenleben.</p> </sp><lb/> <sp who="#POL"> <speaker> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Polybus</hi>.</hi> </speaker><lb/> <p>Du weißt, ich mache ſelten viele Worte,<lb/> Doch durch Exempel lernt man oft das Meiſte:<lb/> Es war einmal an einem ſichern Orte<lb/> Ein junger Kaufmann, welcher ſich verreiſ'te,<lb/> Und als er wiederum an ſeine Pforte<lb/> Nach Jahren klopft mit allzufrohem Geiſte,<lb/> Kommt ſeine Frau entgegen ihm und bringet<lb/> Ein jaͤhrig Kind ihm, welches ihn umſchlinget.</p><lb/> <p>Wo kommt das Kind her, fragt der Gatte trocken,<lb/> Da ich ſo lang geweſen in der Weite?<lb/> Das Weib erwiedert ohne nur zu ſtocken:<lb/> Ich lag am Fenſter, als es eben ſchneite,<lb/> Da flogen, Schatz, mir in den Mund die Flocken,<lb/> Wodurch ich augenblicks gewann an Breite,<lb/> Bis dieſes Kind zuletzt zur Welt ich brachte,<lb/> Und meines lieben Ehgemahls gedachte.</p><lb/> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0042]
Zelinde.
Ich that's, o Freund, des Ueberraſchens wegen.
Polybus.
Nie pflegt' ich ja dein Lager mehr zu theilen.
Zelinde.
Auch dieſer Vorwurf macht mich nicht verlegen.
Polybus.
Beſuchte dich Diagoras zuweilen?
Zelinde.
Zuweilen zehenmal des Tags; doch eben
Hab' ich verbannt ihn auf ein Menſchenleben.
Polybus.
Du weißt, ich mache ſelten viele Worte,
Doch durch Exempel lernt man oft das Meiſte:
Es war einmal an einem ſichern Orte
Ein junger Kaufmann, welcher ſich verreiſ'te,
Und als er wiederum an ſeine Pforte
Nach Jahren klopft mit allzufrohem Geiſte,
Kommt ſeine Frau entgegen ihm und bringet
Ein jaͤhrig Kind ihm, welches ihn umſchlinget.
Wo kommt das Kind her, fragt der Gatte trocken,
Da ich ſo lang geweſen in der Weite?
Das Weib erwiedert ohne nur zu ſtocken:
Ich lag am Fenſter, als es eben ſchneite,
Da flogen, Schatz, mir in den Mund die Flocken,
Wodurch ich augenblicks gewann an Breite,
Bis dieſes Kind zuletzt zur Welt ich brachte,
Und meines lieben Ehgemahls gedachte.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/42 |
Zitationshilfe: | Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/42>, abgerufen am 27.07.2024. |