Glaubt ihr, ich könne, gleich den Versifexen, Verdrehungen um alles Gute spinnen, Und Mittelmäß'ges bis zum Himmel heben? Glaubt ihr, ich sey der Böttiger von Theben?
Tiresias. Wir glauben's nicht; doch lange sind zerstoben Die bösen Reime, die die Pest verbreitet: Uns kam Apoll, der über goldne Globen Im lichten Himmel auf- und niederschreitet, Zu Hülfe selbst, er kam herab von oben, Und zürnte streng, durch unser Flehn geleitet, Der Reimerzunft und ihren tollen Händeln; Denn Viele wagten selbst mit Gott zu tändeln! Und schnell verwandelnd jene Dichterschaaren, Was ihm gelang mit allzuleichtem Siege, Macht' er zum Affen Den mit langen Haaren, Und Den zum Trampelthier und Den zur Ziege, Die Meisten wurden Papagai'n und Staaren; Houwaldchen ward in eine matte Fliege, Und Raupel, der mit Trauerstücken handelt, In einen Wiedhopf alsobald verwandelt. Doch ist der Krankheitsstoff im Volk geblieben, Und immer neu beginnt der Tod zu wüthen: Er sichelt frech mit ihren vollsten Trieben Die Jugend ab, mit ihren schönsten Blüthen! Und täglich hören Herzen auf zu lieben, Die gestern noch von einem Feuer glühten, Das eine Welt umher entzünden könnte, Wofern es ihnen das Geschick vergönnte.
Glaubt ihr, ich koͤnne, gleich den Verſifexen, Verdrehungen um alles Gute ſpinnen, Und Mittelmaͤß'ges bis zum Himmel heben? Glaubt ihr, ich ſey der Boͤttiger von Theben?
Tireſias. Wir glauben's nicht; doch lange ſind zerſtoben Die boͤſen Reime, die die Peſt verbreitet: Uns kam Apoll, der uͤber goldne Globen Im lichten Himmel auf- und niederſchreitet, Zu Huͤlfe ſelbſt, er kam herab von oben, Und zuͤrnte ſtreng, durch unſer Flehn geleitet, Der Reimerzunft und ihren tollen Haͤndeln; Denn Viele wagten ſelbſt mit Gott zu taͤndeln! Und ſchnell verwandelnd jene Dichterſchaaren, Was ihm gelang mit allzuleichtem Siege, Macht' er zum Affen Den mit langen Haaren, Und Den zum Trampelthier und Den zur Ziege, Die Meiſten wurden Papagai'n und Staaren; Houwaldchen ward in eine matte Fliege, Und Raupel, der mit Trauerſtuͤcken handelt, In einen Wiedhopf alſobald verwandelt. Doch iſt der Krankheitsſtoff im Volk geblieben, Und immer neu beginnt der Tod zu wuͤthen: Er ſichelt frech mit ihren vollſten Trieben Die Jugend ab, mit ihren ſchoͤnſten Bluͤthen! Und taͤglich hoͤren Herzen auf zu lieben, Die geſtern noch von einem Feuer gluͤhten, Das eine Welt umher entzuͤnden koͤnnte, Wofern es ihnen das Geſchick vergoͤnnte.
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Glaubt ihr, ich koͤnne, gleich den Verſifexen,
Verdrehungen um alles Gute ſpinnen,
Und Mittelmaͤß'ges bis zum Himmel heben?
Glaubt ihr, ich ſey der Boͤttiger von Theben?
Tireſias.
Wir glauben's nicht; doch lange ſind zerſtoben
Die boͤſen Reime, die die Peſt verbreitet:
Uns kam Apoll, der uͤber goldne Globen
Im lichten Himmel auf- und niederſchreitet,
Zu Huͤlfe ſelbſt, er kam herab von oben,
Und zuͤrnte ſtreng, durch unſer Flehn geleitet,
Der Reimerzunft und ihren tollen Haͤndeln;
Denn Viele wagten ſelbſt mit Gott zu taͤndeln!
Und ſchnell verwandelnd jene Dichterſchaaren,
Was ihm gelang mit allzuleichtem Siege,
Macht' er zum Affen Den mit langen Haaren,
Und Den zum Trampelthier und Den zur Ziege,
Die Meiſten wurden Papagai'n und Staaren;
Houwaldchen ward in eine matte Fliege,
Und Raupel, der mit Trauerſtuͤcken handelt,
In einen Wiedhopf alſobald verwandelt.
Doch iſt der Krankheitsſtoff im Volk geblieben,
Und immer neu beginnt der Tod zu wuͤthen:
Er ſichelt frech mit ihren vollſten Trieben
Die Jugend ab, mit ihren ſchoͤnſten Bluͤthen!
Und taͤglich hoͤren Herzen auf zu lieben,
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Platen, August von: Der romantische Oedipus. Stuttgart u. a., 1829, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/platen_oedipus_1829/74>, abgerufen am 11.02.2025.
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