Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

Allein, es ist dagegen mit Erfolg geltend gemacht
worden, dass solche Beispiele rückgängiger Gesammt-
Organisation, wenn überhaupt*), nur sehr selten vorkommen,
und dass sie ausnahmslos dadurch charakterisirt sind, dass
die betreffenden Wesen in einen ganz eng umschriebenen,
in seinen Bedingungen einfacheren Umgebungskreis ge-
bannt wurden, gleichsam in Sackgassen, aus denen
heraus eine Weiterentwickelung in grossem Styl nicht
möglich war. Ein Beispiel hierfür bietet uns der Olm
(Proteus anguineus). Der Olm ist ein blass fleischrother
Molch, der in den unterirdischen finsteren Gewässern des
Karstes sein Wesen treibt. Er besitzt keine ausgebildeten
Augen wie andere Molche, sondern nur kleine dunkle
Pigmentkörnchen unter der Haut. Dies sind die Rudi-
mente der ausgebildeten Augen, welche die noch im Licht
lebenden Vorfahren der Olme besassen, und welche sich
um so mehr zurückbildeten, je mehr sich ein Theil dieser
Vorfahren von den Eingängen der Höhlen immer tiefer in
die finsteren Räume hineinzog und dort Nahrung und
Fortkommen mit Hülfe anderer Sinne fand.

Der darwinistische Mechanismus solcher Rückbildung,
die an einzelnen untergeordneten Organen auch beim
Menschen vorkommt (Zähne, Wurmfortsatz), besteht haupt-
sächlich darin, dass unter den wie bisher auftretenden
Variationen des betreffenden Organs die Besitzer der ge-
ringeren Grade seiner Anlage nicht mehr durch den Kampf
um's Dasein ausgemerzt werden, sondern sich unterschieds-
los mit den Besitzern höherer Grade sexuell mischen --
Weismann's Panmixie oder Allesmischung -- und
daher ebenso gut durch die Fortpflanzung zur Vererbung
ihrer Eigenschaften, in diesem Fall ihres geringer ent-

*) In solchen Fällen entgeht der Beobachtung eine etwaige
grössere Complication der feineren Zellstructur wohl oft und der
Molekularstructur immer.
7*

Allein, es ist dagegen mit Erfolg geltend gemacht
worden, dass solche Beispiele rückgängiger Gesammt-
Organisation, wenn überhaupt*), nur sehr selten vorkommen,
und dass sie ausnahmslos dadurch charakterisirt sind, dass
die betreffenden Wesen in einen ganz eng umschriebenen,
in seinen Bedingungen einfacheren Umgebungskreis ge-
bannt wurden, gleichsam in Sackgassen, aus denen
heraus eine Weiterentwickelung in grossem Styl nicht
möglich war. Ein Beispiel hierfür bietet uns der Olm
(Proteus anguineus). Der Olm ist ein blass fleischrother
Molch, der in den unterirdischen finsteren Gewässern des
Karstes sein Wesen treibt. Er besitzt keine ausgebildeten
Augen wie andere Molche, sondern nur kleine dunkle
Pigmentkörnchen unter der Haut. Dies sind die Rudi-
mente der ausgebildeten Augen, welche die noch im Licht
lebenden Vorfahren der Olme besassen, und welche sich
um so mehr zurückbildeten, je mehr sich ein Theil dieser
Vorfahren von den Eingängen der Höhlen immer tiefer in
die finsteren Räume hineinzog und dort Nahrung und
Fortkommen mit Hülfe anderer Sinne fand.

Der darwinistische Mechanismus solcher Rückbildung,
die an einzelnen untergeordneten Organen auch beim
Menschen vorkommt (Zähne, Wurmfortsatz), besteht haupt-
sächlich darin, dass unter den wie bisher auftretenden
Variationen des betreffenden Organs die Besitzer der ge-
ringeren Grade seiner Anlage nicht mehr durch den Kampf
um’s Dasein ausgemerzt werden, sondern sich unterschieds-
los mit den Besitzern höherer Grade sexuell mischen —
Weismann’s Panmixie oder Allesmischung — und
daher ebenso gut durch die Fortpflanzung zur Vererbung
ihrer Eigenschaften, in diesem Fall ihres geringer ent-

*) In solchen Fällen entgeht der Beobachtung eine etwaige
grössere Complication der feineren Zellstructur wohl oft und der
Molekularstructur immer.
7*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0119" n="99"/>
          <p>Allein, es ist dagegen mit Erfolg geltend gemacht<lb/>
worden, dass solche Beispiele rückgängiger Gesammt-<lb/>
Organisation, wenn überhaupt<note place="foot" n="*)">In solchen Fällen entgeht der Beobachtung eine etwaige<lb/>
grössere Complication der feineren Zellstructur wohl oft und der<lb/>
Molekularstructur immer.</note>, nur sehr selten vorkommen,<lb/>
und dass sie ausnahmslos dadurch charakterisirt sind, dass<lb/>
die betreffenden Wesen in einen ganz eng umschriebenen,<lb/>
in seinen Bedingungen einfacheren Umgebungskreis ge-<lb/>
bannt wurden, gleichsam in Sackgassen, aus denen<lb/>
heraus eine Weiterentwickelung in grossem Styl nicht<lb/>
möglich war. Ein Beispiel hierfür bietet uns der Olm<lb/>
(Proteus anguineus). Der Olm ist ein blass fleischrother<lb/>
Molch, der in den unterirdischen finsteren Gewässern des<lb/>
Karstes sein Wesen treibt. Er besitzt keine ausgebildeten<lb/>
Augen wie andere Molche, sondern nur kleine dunkle<lb/>
Pigmentkörnchen unter der Haut. Dies sind die Rudi-<lb/>
mente der ausgebildeten Augen, welche die noch im Licht<lb/>
lebenden Vorfahren der Olme besassen, und welche sich<lb/>
um so mehr zurückbildeten, je mehr sich ein Theil dieser<lb/>
Vorfahren von den Eingängen der Höhlen immer tiefer in<lb/>
die finsteren Räume hineinzog und dort Nahrung und<lb/>
Fortkommen mit Hülfe anderer Sinne fand.</p><lb/>
          <p>Der darwinistische Mechanismus solcher Rückbildung,<lb/>
die an einzelnen untergeordneten Organen auch beim<lb/>
Menschen vorkommt (Zähne, Wurmfortsatz), besteht haupt-<lb/>
sächlich darin, dass unter den wie bisher auftretenden<lb/>
Variationen des betreffenden Organs die Besitzer der ge-<lb/>
ringeren Grade seiner Anlage nicht mehr durch den Kampf<lb/>
um&#x2019;s Dasein ausgemerzt werden, sondern sich unterschieds-<lb/>
los mit den Besitzern höherer Grade sexuell mischen &#x2014;<lb/><hi rendition="#g">Weismann&#x2019;s Panmixie</hi> oder Allesmischung &#x2014; und<lb/>
daher ebenso gut durch die Fortpflanzung zur Vererbung<lb/>
ihrer Eigenschaften, in diesem Fall ihres geringer ent-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0119] Allein, es ist dagegen mit Erfolg geltend gemacht worden, dass solche Beispiele rückgängiger Gesammt- Organisation, wenn überhaupt *), nur sehr selten vorkommen, und dass sie ausnahmslos dadurch charakterisirt sind, dass die betreffenden Wesen in einen ganz eng umschriebenen, in seinen Bedingungen einfacheren Umgebungskreis ge- bannt wurden, gleichsam in Sackgassen, aus denen heraus eine Weiterentwickelung in grossem Styl nicht möglich war. Ein Beispiel hierfür bietet uns der Olm (Proteus anguineus). Der Olm ist ein blass fleischrother Molch, der in den unterirdischen finsteren Gewässern des Karstes sein Wesen treibt. Er besitzt keine ausgebildeten Augen wie andere Molche, sondern nur kleine dunkle Pigmentkörnchen unter der Haut. Dies sind die Rudi- mente der ausgebildeten Augen, welche die noch im Licht lebenden Vorfahren der Olme besassen, und welche sich um so mehr zurückbildeten, je mehr sich ein Theil dieser Vorfahren von den Eingängen der Höhlen immer tiefer in die finsteren Räume hineinzog und dort Nahrung und Fortkommen mit Hülfe anderer Sinne fand. Der darwinistische Mechanismus solcher Rückbildung, die an einzelnen untergeordneten Organen auch beim Menschen vorkommt (Zähne, Wurmfortsatz), besteht haupt- sächlich darin, dass unter den wie bisher auftretenden Variationen des betreffenden Organs die Besitzer der ge- ringeren Grade seiner Anlage nicht mehr durch den Kampf um’s Dasein ausgemerzt werden, sondern sich unterschieds- los mit den Besitzern höherer Grade sexuell mischen — Weismann’s Panmixie oder Allesmischung — und daher ebenso gut durch die Fortpflanzung zur Vererbung ihrer Eigenschaften, in diesem Fall ihres geringer ent- *) In solchen Fällen entgeht der Beobachtung eine etwaige grössere Complication der feineren Zellstructur wohl oft und der Molekularstructur immer. 7*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ploetz_rassenhygiene_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ploetz_rassenhygiene_1895/119
Zitationshilfe: Ploetz, Alfred: Grundlinien einer Rassenhygiene. Berlin: Fischer, 1895, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ploetz_rassenhygiene_1895/119>, abgerufen am 18.05.2024.