Pocci, Franz von: Lustiges Komödienbüchlein. Bd. 3. München, 1869.
Gemüthe; und da ich vor Kurzem ein Paar Schafe verzehrt habe, brauchst Du keine Angst zu haben, von mir etwa gefressen zu werden; denn mein Wolfs- hunger ist ja gestillt und wenn ich nicht hungerig bin, so hat es gar keine Gefahr mit mir. Rothkäppchen. Das ist aber höchst sonderbar. Und wie kömmt's denn, daß Du wie ein Mensch sprichst? Jch habe noch immer gehört, daß die Wölfe nur heulen können. Wolf. Sieh, liebes Rothkäppchen, ich bin eben ein ge- bildeter Wolf. Es ist bei den Thieren, wie bei euch Menschen: Es gibt ungebildete Wölfe und Wölfe von guter Bildung und Erziehung. Zu den Letzte- ren gehöre ich. Rothkäppchen. Das ist curios. Also brauch ich mich wirklich nicht zu fürchten und davonzulaufen? Wolf. Ganz und gar nicht. Aber sag' mir, liebes Mädchen, wo kommst Du denn des Weges daher und wo gehst Du hin? Rothkäppchen. Jetzt geh ich heim und dann gegen Abend gehe
Gemüthe; und da ich vor Kurzem ein Paar Schafe verzehrt habe, brauchſt Du keine Angſt zu haben, von mir etwa gefreſſen zu werden; denn mein Wolfs- hunger iſt ja geſtillt und wenn ich nicht hungerig bin, ſo hat es gar keine Gefahr mit mir. Rothkäppchen. Das iſt aber höchſt ſonderbar. Und wie kömmt’s denn, daß Du wie ein Menſch ſprichſt? Jch habe noch immer gehört, daß die Wölfe nur heulen können. Wolf. Sieh, liebes Rothkäppchen, ich bin eben ein ge- bildeter Wolf. Es iſt bei den Thieren, wie bei euch Menſchen: Es gibt ungebildete Wölfe und Wölfe von guter Bildung und Erziehung. Zu den Letzte- ren gehöre ich. Rothkäppchen. Das iſt curios. Alſo brauch ich mich wirklich nicht zu fürchten und davonzulaufen? Wolf. Ganz und gar nicht. Aber ſag’ mir, liebes Mädchen, wo kommſt Du denn des Weges daher und wo gehſt Du hin? Rothkäppchen. Jetzt geh ich heim und dann gegen Abend gehe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#WOLF"> <p><pb facs="#f0132" n="128"/> Gemüthe; und da ich vor Kurzem ein Paar Schafe<lb/> verzehrt habe, brauchſt Du keine Angſt zu haben,<lb/> von mir etwa gefreſſen zu werden; denn mein Wolfs-<lb/> hunger iſt ja geſtillt und wenn ich nicht hungerig<lb/> bin, ſo hat es gar keine Gefahr mit mir.</p> </sp><lb/> <sp who="#ROT"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Rothkäppchen.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Das iſt aber höchſt ſonderbar. Und wie kömmt’s<lb/> denn, daß Du wie ein Menſch ſprichſt? Jch habe<lb/> noch immer gehört, daß die Wölfe nur <hi rendition="#g">heulen</hi><lb/> können.</p> </sp><lb/> <sp who="#WOLF"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Wolf.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Sieh, liebes Rothkäppchen, ich bin eben ein ge-<lb/> bildeter Wolf. Es iſt bei den Thieren, wie bei<lb/> euch Menſchen: Es gibt ungebildete Wölfe und Wölfe<lb/> von guter Bildung und Erziehung. Zu den Letzte-<lb/> ren gehöre ich.</p> </sp><lb/> <sp who="#ROT"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Rothkäppchen.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Das iſt curios. Alſo brauch ich mich wirklich<lb/> nicht zu fürchten und davonzulaufen?</p> </sp><lb/> <sp who="#WOLF"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Wolf.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Ganz und gar nicht. Aber ſag’ mir, liebes<lb/> Mädchen, wo kommſt Du denn des Weges daher und<lb/> wo gehſt Du hin?</p> </sp><lb/> <sp who="#ROT"> <speaker> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Rothkäppchen.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Jetzt geh ich heim und dann gegen Abend gehe<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [128/0132]
Gemüthe; und da ich vor Kurzem ein Paar Schafe
verzehrt habe, brauchſt Du keine Angſt zu haben,
von mir etwa gefreſſen zu werden; denn mein Wolfs-
hunger iſt ja geſtillt und wenn ich nicht hungerig
bin, ſo hat es gar keine Gefahr mit mir.
Rothkäppchen.
Das iſt aber höchſt ſonderbar. Und wie kömmt’s
denn, daß Du wie ein Menſch ſprichſt? Jch habe
noch immer gehört, daß die Wölfe nur heulen
können.
Wolf.
Sieh, liebes Rothkäppchen, ich bin eben ein ge-
bildeter Wolf. Es iſt bei den Thieren, wie bei
euch Menſchen: Es gibt ungebildete Wölfe und Wölfe
von guter Bildung und Erziehung. Zu den Letzte-
ren gehöre ich.
Rothkäppchen.
Das iſt curios. Alſo brauch ich mich wirklich
nicht zu fürchten und davonzulaufen?
Wolf.
Ganz und gar nicht. Aber ſag’ mir, liebes
Mädchen, wo kommſt Du denn des Weges daher und
wo gehſt Du hin?
Rothkäppchen.
Jetzt geh ich heim und dann gegen Abend gehe
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |