Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_379.001
ihrer Verirrungen eine hohe Theilnahme zu erregen ppo_379.002
vermag (so Karl Moor in den Räubern; so ppo_379.003
Fiesko; so Wallenstein; so Maria Stuart; ppo_379.004
so Klingers Medea; so Leisewitzens Julius von ppo_379.005
Tarent
u. a.). Allein je mehr sittlich und rein ppo_379.006
menschlich der Held des Trauerspiels erscheint; je ppo_379.007
weniger er durch eigene Schuld, je mehr er um seiner ppo_379.008
sittlichen Größe und Erhabenheit willen leidet; ppo_379.009
oder, wenn er die Schuld eigener Verirrungen trägt, ppo_379.010
je öfter die sittliche Kraft in ihm sich ermannt, je ppo_379.011
entschiedener das Uebergewicht der Lichtseiten in seinem ppo_379.012
Wesen über die Schattenseiten ist, und je gereinigter ppo_379.013
er von seinen Verirrungen in dem Augenblicke ppo_379.014
seines Unterganges erscheint; je mehr überhaupt ppo_379.015
die Kraft, die er entfaltet, aus seinem innersten ppo_379.016
Wesen hervorgehet, und mit der Steigerung ppo_379.017
der auf ihn eindringenden Leiden und Gefahren ebenfalls ppo_379.018
immer höher steigt; je fester und gehaltener ppo_379.019
er, bis zum letzten entscheidenden Augenblicke, die ppo_379.020
Kraft der Freiheit gegen die Macht des Schicksals ppo_379.021
behauptet und geltend macht; desto mehr werden ppo_379.022
auch in dem Anschauenden alle edlere Gefühle der ppo_379.023
Theilnahme und der Bewunderung aufgeregt, und ppo_379.024
von dem dramatischen Dichter die Eigenschaften des ppo_379.025
Großen, des Erhabenen, des Rührenden und des ppo_379.026
Pathetischen angewendet. Die hohe Kunst des ppo_379.027
Trauerspieldichters besteht also zunächst darin, die ppo_379.028
Freiheit des Helden und die Macht des Schicksals, ppo_379.029
selbst während der ununterbrochenen Steigerung ihres ppo_379.030
Kampfes, im gleichmäßigen Gegengewichte bis ppo_379.031
zum Augenblicke der Entwickelung im letzten Acte ppo_379.032
des Trauerspiels zu erhalten, so daß die Theilnahme ppo_379.033
an diesem Kampfe ununterbrochen genährt und befriedigt ppo_379.034
wird, bis sie in dem entschiedenen Siege

ppo_379.001
ihrer Verirrungen eine hohe Theilnahme zu erregen ppo_379.002
vermag (so Karl Moor in den Räubern; so ppo_379.003
Fiesko; so Wallenstein; so Maria Stuart; ppo_379.004
so Klingers Medea; so Leisewitzens Julius von ppo_379.005
Tarent
u. a.). Allein je mehr sittlich und rein ppo_379.006
menschlich der Held des Trauerspiels erscheint; je ppo_379.007
weniger er durch eigene Schuld, je mehr er um seiner ppo_379.008
sittlichen Größe und Erhabenheit willen leidet; ppo_379.009
oder, wenn er die Schuld eigener Verirrungen trägt, ppo_379.010
je öfter die sittliche Kraft in ihm sich ermannt, je ppo_379.011
entschiedener das Uebergewicht der Lichtseiten in seinem ppo_379.012
Wesen über die Schattenseiten ist, und je gereinigter ppo_379.013
er von seinen Verirrungen in dem Augenblicke ppo_379.014
seines Unterganges erscheint; je mehr überhaupt ppo_379.015
die Kraft, die er entfaltet, aus seinem innersten ppo_379.016
Wesen hervorgehet, und mit der Steigerung ppo_379.017
der auf ihn eindringenden Leiden und Gefahren ebenfalls ppo_379.018
immer höher steigt; je fester und gehaltener ppo_379.019
er, bis zum letzten entscheidenden Augenblicke, die ppo_379.020
Kraft der Freiheit gegen die Macht des Schicksals ppo_379.021
behauptet und geltend macht; desto mehr werden ppo_379.022
auch in dem Anschauenden alle edlere Gefühle der ppo_379.023
Theilnahme und der Bewunderung aufgeregt, und ppo_379.024
von dem dramatischen Dichter die Eigenschaften des ppo_379.025
Großen, des Erhabenen, des Rührenden und des ppo_379.026
Pathetischen angewendet. Die hohe Kunst des ppo_379.027
Trauerspieldichters besteht also zunächst darin, die ppo_379.028
Freiheit des Helden und die Macht des Schicksals, ppo_379.029
selbst während der ununterbrochenen Steigerung ihres ppo_379.030
Kampfes, im gleichmäßigen Gegengewichte bis ppo_379.031
zum Augenblicke der Entwickelung im letzten Acte ppo_379.032
des Trauerspiels zu erhalten, so daß die Theilnahme ppo_379.033
an diesem Kampfe ununterbrochen genährt und befriedigt ppo_379.034
wird, bis sie in dem entschiedenen Siege

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0391" n="379"/><lb n="ppo_379.001"/>ihrer Verirrungen eine hohe Theilnahme zu erregen <lb n="ppo_379.002"/>vermag (so <hi rendition="#g">Karl Moor</hi> in den Räubern; so <lb n="ppo_379.003"/><hi rendition="#g">Fiesko;</hi> so <hi rendition="#g">Wallenstein;</hi> so <hi rendition="#g">Maria Stuart;</hi> <lb n="ppo_379.004"/>so Klingers <hi rendition="#g">Medea;</hi> so Leisewitzens <hi rendition="#g">Julius von <lb n="ppo_379.005"/>Tarent</hi> u. a.). Allein je mehr sittlich und rein <lb n="ppo_379.006"/>menschlich der Held des Trauerspiels erscheint; je <lb n="ppo_379.007"/>weniger er durch eigene Schuld, je mehr er um seiner <lb n="ppo_379.008"/>sittlichen Größe und Erhabenheit willen leidet; <lb n="ppo_379.009"/>oder, wenn er die Schuld eigener Verirrungen trägt, <lb n="ppo_379.010"/>je öfter die sittliche Kraft in ihm sich ermannt, je <lb n="ppo_379.011"/>entschiedener das Uebergewicht der Lichtseiten in seinem <lb n="ppo_379.012"/>Wesen über die Schattenseiten ist, und je gereinigter <lb n="ppo_379.013"/>er von seinen Verirrungen in dem Augenblicke <lb n="ppo_379.014"/>seines Unterganges erscheint; je mehr überhaupt <lb n="ppo_379.015"/>die Kraft, die er entfaltet, aus seinem innersten <lb n="ppo_379.016"/>Wesen hervorgehet, und mit der Steigerung <lb n="ppo_379.017"/>der auf ihn eindringenden Leiden und Gefahren ebenfalls <lb n="ppo_379.018"/>immer höher steigt; je fester und gehaltener <lb n="ppo_379.019"/>er, bis zum letzten entscheidenden Augenblicke, die <lb n="ppo_379.020"/>Kraft der Freiheit gegen die Macht des Schicksals <lb n="ppo_379.021"/>behauptet und geltend macht; desto mehr werden <lb n="ppo_379.022"/>auch in dem Anschauenden alle edlere Gefühle der <lb n="ppo_379.023"/>Theilnahme und der Bewunderung aufgeregt, und <lb n="ppo_379.024"/>von dem dramatischen Dichter die Eigenschaften des <lb n="ppo_379.025"/>Großen, des Erhabenen, des Rührenden und des <lb n="ppo_379.026"/>Pathetischen angewendet. Die hohe Kunst des <lb n="ppo_379.027"/>Trauerspieldichters besteht also zunächst darin, die <lb n="ppo_379.028"/>Freiheit des Helden und die Macht des Schicksals, <lb n="ppo_379.029"/>selbst während der ununterbrochenen Steigerung ihres <lb n="ppo_379.030"/>Kampfes, im gleichmäßigen Gegengewichte bis <lb n="ppo_379.031"/>zum Augenblicke der Entwickelung im letzten Acte <lb n="ppo_379.032"/>des Trauerspiels zu erhalten, so daß die Theilnahme <lb n="ppo_379.033"/>an diesem Kampfe ununterbrochen genährt und befriedigt <lb n="ppo_379.034"/>wird, bis sie in dem entschiedenen Siege
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[379/0391] ppo_379.001 ihrer Verirrungen eine hohe Theilnahme zu erregen ppo_379.002 vermag (so Karl Moor in den Räubern; so ppo_379.003 Fiesko; so Wallenstein; so Maria Stuart; ppo_379.004 so Klingers Medea; so Leisewitzens Julius von ppo_379.005 Tarent u. a.). Allein je mehr sittlich und rein ppo_379.006 menschlich der Held des Trauerspiels erscheint; je ppo_379.007 weniger er durch eigene Schuld, je mehr er um seiner ppo_379.008 sittlichen Größe und Erhabenheit willen leidet; ppo_379.009 oder, wenn er die Schuld eigener Verirrungen trägt, ppo_379.010 je öfter die sittliche Kraft in ihm sich ermannt, je ppo_379.011 entschiedener das Uebergewicht der Lichtseiten in seinem ppo_379.012 Wesen über die Schattenseiten ist, und je gereinigter ppo_379.013 er von seinen Verirrungen in dem Augenblicke ppo_379.014 seines Unterganges erscheint; je mehr überhaupt ppo_379.015 die Kraft, die er entfaltet, aus seinem innersten ppo_379.016 Wesen hervorgehet, und mit der Steigerung ppo_379.017 der auf ihn eindringenden Leiden und Gefahren ebenfalls ppo_379.018 immer höher steigt; je fester und gehaltener ppo_379.019 er, bis zum letzten entscheidenden Augenblicke, die ppo_379.020 Kraft der Freiheit gegen die Macht des Schicksals ppo_379.021 behauptet und geltend macht; desto mehr werden ppo_379.022 auch in dem Anschauenden alle edlere Gefühle der ppo_379.023 Theilnahme und der Bewunderung aufgeregt, und ppo_379.024 von dem dramatischen Dichter die Eigenschaften des ppo_379.025 Großen, des Erhabenen, des Rührenden und des ppo_379.026 Pathetischen angewendet. Die hohe Kunst des ppo_379.027 Trauerspieldichters besteht also zunächst darin, die ppo_379.028 Freiheit des Helden und die Macht des Schicksals, ppo_379.029 selbst während der ununterbrochenen Steigerung ihres ppo_379.030 Kampfes, im gleichmäßigen Gegengewichte bis ppo_379.031 zum Augenblicke der Entwickelung im letzten Acte ppo_379.032 des Trauerspiels zu erhalten, so daß die Theilnahme ppo_379.033 an diesem Kampfe ununterbrochen genährt und befriedigt ppo_379.034 wird, bis sie in dem entschiedenen Siege

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/391
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/391>, abgerufen am 23.11.2024.