Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.ppo_417.001 Und sah das schönste Schloß von Jaspis und Porphyr, ppo_417.002 ppo_417.009Jn einem Cedernhain vor meinen Augen stehen. ppo_417.003 Was weiland Rom, Athen und Babel groß gemacht, ppo_417.004 War hier weit trefflicherund edler vorgestellet, ppo_417.005 Weil reiche Lieblichkeit und wundervolle Pracht ppo_417.006 Sich zu der seltnen Kunst und Zierlichkeit gesellet. ppo_417.007 Das Auge ward entzückt; die Sinne stimmten ein, ppo_417.008 Und schlossen, dieses Werk muß mehr als menschlich seyn. Jndem ich aber noch an diesem Wunderbau, ppo_417.010 ppo_417.020Der unvergleichlich war, mich freudenvoll ergötze; ppo_417.011 So hör' ich eine Stimm': Auf, Sterblicher, komm, schau, ppo_417.012 Wie hoch des Himmels Gunst die reinen Seelen schätze; ppo_417.013 Halt aber Augen, Hand, Herz, Ohr' und Zunge rein, ppo_417.014 Und zieh dich völlig ab von Venus geilem Triebe; ppo_417.015 Hier glänzt ein göttlichs Licht, ein Engelgleicher Schein; ppo_417.016 Hier ist, mit einem Wort, der Tempel keuscher ppo_417.017 Liebe. ppo_417.018 Komm, lerne, daß die Welt und ihr bethörter Wahn ppo_417.019 Nicht, wie der Himmel will, die Liebe treiben kann. Damit bewegte sich das diamantne Thor; ppo_417.021 ppo_417.030Die Riegel sprangen ab; ich kam in einen Garten, ppo_417.022 Der überirdisch war; hier wurden Aug' und Ohr ppo_417.023 Mit höchster Lust erquickt; die hundertfachen Arten ppo_417.024 Des schönsten Rosenstocks vermählten ihren Glanz ppo_417.025 Mit Nelken, Lilien, Violen und Jesminen. ppo_417.026 Hier stand kein flüchtiger, kein welker Blumenkranz; ppo_417.027 Die sanfte Frühlingsluft war voller Seraphinen; ppo_417.028 Die stimmten einen Ton mit Händ' und Lippen an, ppo_417.029 Dem sich kein Lautenspiel des Orpheus gleichen kann. Nachdem ich mich genug an diesem Ort erquickt; ppo_417.031
So hieß ein Seraphin mich, über mein Verhoffen, ppo_417.032 Noch etwas weiter gehn; wie ward ich hier entzückt; ppo_417.033 Jch fand, o schönster Blick! den Tempel selber offen. ppo_417.001 Und sah das schönste Schloß von Jaspis und Porphyr, ppo_417.002 ppo_417.009Jn einem Cedernhain vor meinen Augen stehen. ppo_417.003 Was weiland Rom, Athen und Babel groß gemacht, ppo_417.004 War hier weit trefflicherund edler vorgestellet, ppo_417.005 Weil reiche Lieblichkeit und wundervolle Pracht ppo_417.006 Sich zu der seltnen Kunst und Zierlichkeit gesellet. ppo_417.007 Das Auge ward entzückt; die Sinne stimmten ein, ppo_417.008 Und schlossen, dieses Werk muß mehr als menschlich seyn. Jndem ich aber noch an diesem Wunderbau, ppo_417.010 ppo_417.020Der unvergleichlich war, mich freudenvoll ergötze; ppo_417.011 So hör' ich eine Stimm': Auf, Sterblicher, komm, schau, ppo_417.012 Wie hoch des Himmels Gunst die reinen Seelen schätze; ppo_417.013 Halt aber Augen, Hand, Herz, Ohr' und Zunge rein, ppo_417.014 Und zieh dich völlig ab von Venus geilem Triebe; ppo_417.015 Hier glänzt ein göttlichs Licht, ein Engelgleicher Schein; ppo_417.016 Hier ist, mit einem Wort, der Tempel keuscher ppo_417.017 Liebe. ppo_417.018 Komm, lerne, daß die Welt und ihr bethörter Wahn ppo_417.019 Nicht, wie der Himmel will, die Liebe treiben kann. Damit bewegte sich das diamantne Thor; ppo_417.021 ppo_417.030Die Riegel sprangen ab; ich kam in einen Garten, ppo_417.022 Der überirdisch war; hier wurden Aug' und Ohr ppo_417.023 Mit höchster Lust erquickt; die hundertfachen Arten ppo_417.024 Des schönsten Rosenstocks vermählten ihren Glanz ppo_417.025 Mit Nelken, Lilien, Violen und Jesminen. ppo_417.026 Hier stand kein flüchtiger, kein welker Blumenkranz; ppo_417.027 Die sanfte Frühlingsluft war voller Seraphinen; ppo_417.028 Die stimmten einen Ton mit Händ' und Lippen an, ppo_417.029 Dem sich kein Lautenspiel des Orpheus gleichen kann. Nachdem ich mich genug an diesem Ort erquickt; ppo_417.031
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Das Auge ward entzückt; die Sinne stimmten ein, ppo_417.008
Und schlossen, dieses Werk muß mehr als menschlich seyn.
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Jndem ich aber noch an diesem Wunderbau, ppo_417.010
Der unvergleichlich war, mich freudenvoll ergötze; ppo_417.011
So hör' ich eine Stimm': Auf, Sterblicher, komm, schau, ppo_417.012
Wie hoch des Himmels Gunst die reinen Seelen schätze; ppo_417.013
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Dem sich kein Lautenspiel des Orpheus gleichen kann.
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So hieß ein Seraphin mich, über mein Verhoffen, ppo_417.032
Noch etwas weiter gehn; wie ward ich hier entzückt; ppo_417.033
Jch fand, o schönster Blick! den Tempel selber offen.
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Zitationshilfe: | Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/429>, abgerufen am 26.06.2024. |