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Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

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Der Rosenmund -- vor seinem Stufenjahre, ppo_469.002
Wen ließe wohl ein solch Madonnchen kalt? ppo_469.003
Und wie gesagt, ich war erst dreißig alt: ppo_469.004
Da trat die holde Dirn' herein ins Zimmer, ppo_469.005
Mit einer Anmuth, ich vergeß' es nimmer, ppo_469.006
Bot sie mir guten Tag, vor Schüchternheit ppo_469.007
Erröthend. Jch sprang gleich voll Freundlichkeit ppo_469.008
Entgegen ihr. -- Mit sanftgebognem Nacken ppo_469.009
Trat sie zurück. Jch kniff sie in die Backen. ppo_469.010
Sie pflückt' am Schürzchen, sah zur Erde hin. ppo_469.011
Lieb Klärchen, werde meine Schaffnerin, ppo_469.012
So bat ich sie, mit lauten Herzensschlägen; ppo_469.013
Mein schönes Klärchen hatte nichts dagegen. ppo_469.014
Den Sonntag nickt' ich ihr blos freundlich zu. ppo_469.015
Den Montag hieß ich sie vertraulich Du. ppo_469.016
Den Dienstag küßt' ich sie. Roth sah sie nieder; ppo_469.017
Die Mittwoch küßte sie mich zärtlich wieder. ppo_469.018
Den Donnerstag drang sie auf einen Schwur; ppo_469.019
Jch schenkt' ihr Freitags eine Perlenschnur; ppo_469.020
Sonnabends wagt' ich kleine Schäkereien, ppo_469.021
Allein sie weint', und wollt' um Hülfe schreien. ppo_469.022
Drob ward ich Sonntags etwas aufgebracht. ppo_469.023
Es war gerade tief um Mitternacht, ppo_469.024
Da zog ein Wetter auf; ich lag im Bette. ppo_469.025
Es blitzt; drauf knarrt die Thür; im Nachtcorsette, ppo_469.026
Ein Lämpchen in der Hand -- zwölf mocht' es seyn -- ppo_469.027
Schlüpft sie, gleich einer Heiligen, herein. ppo_469.028
Herr Pater, sprach das holde Kind mit Zittern: ppo_469.029
Jch bin nicht gern allein bei Ungewittern; ppo_469.030
Jch hab' euch wach geglaubt, verzeiht! -- Jch bot ppo_469.031
Jhr liebreich meine Hand; sie ward blutroth ppo_469.032
Und sträubte sich. Jch zog sie sanft herüber; ppo_469.033
Die Lamp' erlosch, der Donner ging vorüber. ppo_469.034
Der Mond schien hell; sie seufzte zärtlich, ach!
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Der Rosenmund — vor seinem Stufenjahre, ppo_469.002
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Erröthend. Jch sprang gleich voll Freundlichkeit ppo_469.008
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Es blitzt; drauf knarrt die Thür; im Nachtcorsette, ppo_469.026
Ein Lämpchen in der Hand — zwölf mocht' es seyn — ppo_469.027
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Herr Pater, sprach das holde Kind mit Zittern: ppo_469.029
Jch bin nicht gern allein bei Ungewittern; ppo_469.030
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[469/0481] ppo_469.001 Der Rosenmund — vor seinem Stufenjahre, ppo_469.002 Wen ließe wohl ein solch Madonnchen kalt? ppo_469.003 Und wie gesagt, ich war erst dreißig alt: ppo_469.004 Da trat die holde Dirn' herein ins Zimmer, ppo_469.005 Mit einer Anmuth, ich vergeß' es nimmer, ppo_469.006 Bot sie mir guten Tag, vor Schüchternheit ppo_469.007 Erröthend. Jch sprang gleich voll Freundlichkeit ppo_469.008 Entgegen ihr. — Mit sanftgebognem Nacken ppo_469.009 Trat sie zurück. Jch kniff sie in die Backen. ppo_469.010 Sie pflückt' am Schürzchen, sah zur Erde hin. ppo_469.011 Lieb Klärchen, werde meine Schaffnerin, ppo_469.012 So bat ich sie, mit lauten Herzensschlägen; ppo_469.013 Mein schönes Klärchen hatte nichts dagegen. ppo_469.014 Den Sonntag nickt' ich ihr blos freundlich zu. ppo_469.015 Den Montag hieß ich sie vertraulich Du. ppo_469.016 Den Dienstag küßt' ich sie. Roth sah sie nieder; ppo_469.017 Die Mittwoch küßte sie mich zärtlich wieder. ppo_469.018 Den Donnerstag drang sie auf einen Schwur; ppo_469.019 Jch schenkt' ihr Freitags eine Perlenschnur; ppo_469.020 Sonnabends wagt' ich kleine Schäkereien, ppo_469.021 Allein sie weint', und wollt' um Hülfe schreien. ppo_469.022 Drob ward ich Sonntags etwas aufgebracht. ppo_469.023 Es war gerade tief um Mitternacht, ppo_469.024 Da zog ein Wetter auf; ich lag im Bette. ppo_469.025 Es blitzt; drauf knarrt die Thür; im Nachtcorsette, ppo_469.026 Ein Lämpchen in der Hand — zwölf mocht' es seyn — ppo_469.027 Schlüpft sie, gleich einer Heiligen, herein. ppo_469.028 Herr Pater, sprach das holde Kind mit Zittern: ppo_469.029 Jch bin nicht gern allein bei Ungewittern; ppo_469.030 Jch hab' euch wach geglaubt, verzeiht! — Jch bot ppo_469.031 Jhr liebreich meine Hand; sie ward blutroth ppo_469.032 Und sträubte sich. Jch zog sie sanft herüber; ppo_469.033 Die Lamp' erlosch, der Donner ging vorüber. ppo_469.034 Der Mond schien hell; sie seufzte zärtlich, ach!

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Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/481>, abgerufen am 16.06.2024.