Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825.

Bild:
<< vorherige Seite

ppo_491.001
des Stoffes, eben so frei, wie über den ppo_491.002
Kreis des Wirklichen gebietet. Die reichste Quelle ppo_491.003
und die ansprechendste Form des Mährchens ist das ppo_491.004
sogenannte Volksmährchen, wo der Stoff der ppo_491.005
Darstellung aus dem einheimischen Sagenkreise des ppo_491.006
vaterländischen Volkes entlehnt ist.

ppo_491.007

Die Novelle ist an sich ein abgekürzter Roman, ppo_491.008
oft selbst im metrischen Gewande. Jn dem ppo_491.009
Worte selbst liegt kein, seinem Wesen nach von der ppo_491.010
allgemeinen Bezeichnung des Romans abweichender, ppo_491.011
Begriff; allein nach den ästhetischen Erzeugnissen ppo_491.012
zu urtheilen, die unter dem Namen der Novelle ppo_491.013
sich ankündigen, verstehen die Dichter derselben ppo_491.014
solche romantische, bald kürzere, bald längere, Erzählungen, ppo_491.015
in welchen die dargestellten Jndividuen ppo_491.016
unter sehr verschiedenartigen Verhältnissen des Lebens ppo_491.017
und nach einem oft räthselhaften Gange ihres ppo_491.018
Schicksals erscheinen. Wenn die Erfinder der Novellen, ppo_491.019
die Spanier und Jtaliener, zunächst unter ppo_491.020
diesem Namen scherzhafte Liebesabenteuer schilderten; ppo_491.021
so haben die Teutschen diesen Namen im weitern ppo_491.022
Sinne gebraucht, und nicht selten ernsthafte und ppo_491.023
sentimentale Kunstformen unter dieselbe Bezeichnung ppo_491.024
gebracht.

ppo_491.025
77. ppo_491.026
i) Das Sinngedicht und Epigramm.
ppo_491.027

Die Benennung und Form des Epigramms ist ppo_491.028
griechischen Ursprungs; es enthielt eine sinnvolle ppo_491.029
kurze Ueberschrift oder Aufschrift auf Tempeln, Gebäuden, ppo_491.030
Kunstwerken u. s. w. -- Jn der neuern ppo_491.031
Dichtkunst beruht der Charakter des Epigramms auf ppo_491.032
der Versinnlichung Eines hervorstechenden Gedankens, ppo_491.033
in der möglichst kleinsten, aber ästhetisch vollendeten

ppo_491.001
des Stoffes, eben so frei, wie über den ppo_491.002
Kreis des Wirklichen gebietet. Die reichste Quelle ppo_491.003
und die ansprechendste Form des Mährchens ist das ppo_491.004
sogenannte Volksmährchen, wo der Stoff der ppo_491.005
Darstellung aus dem einheimischen Sagenkreise des ppo_491.006
vaterländischen Volkes entlehnt ist.

ppo_491.007

Die Novelle ist an sich ein abgekürzter Roman, ppo_491.008
oft selbst im metrischen Gewande. Jn dem ppo_491.009
Worte selbst liegt kein, seinem Wesen nach von der ppo_491.010
allgemeinen Bezeichnung des Romans abweichender, ppo_491.011
Begriff; allein nach den ästhetischen Erzeugnissen ppo_491.012
zu urtheilen, die unter dem Namen der Novelle ppo_491.013
sich ankündigen, verstehen die Dichter derselben ppo_491.014
solche romantische, bald kürzere, bald längere, Erzählungen, ppo_491.015
in welchen die dargestellten Jndividuen ppo_491.016
unter sehr verschiedenartigen Verhältnissen des Lebens ppo_491.017
und nach einem oft räthselhaften Gange ihres ppo_491.018
Schicksals erscheinen. Wenn die Erfinder der Novellen, ppo_491.019
die Spanier und Jtaliener, zunächst unter ppo_491.020
diesem Namen scherzhafte Liebesabenteuer schilderten; ppo_491.021
so haben die Teutschen diesen Namen im weitern ppo_491.022
Sinne gebraucht, und nicht selten ernsthafte und ppo_491.023
sentimentale Kunstformen unter dieselbe Bezeichnung ppo_491.024
gebracht.

ppo_491.025
77. ppo_491.026
i) Das Sinngedicht und Epigramm.
ppo_491.027

Die Benennung und Form des Epigramms ist ppo_491.028
griechischen Ursprungs; es enthielt eine sinnvolle ppo_491.029
kurze Ueberschrift oder Aufschrift auf Tempeln, Gebäuden, ppo_491.030
Kunstwerken u. s. w. — Jn der neuern ppo_491.031
Dichtkunst beruht der Charakter des Epigramms auf ppo_491.032
der Versinnlichung Eines hervorstechenden Gedankens, ppo_491.033
in der möglichst kleinsten, aber ästhetisch vollendeten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0503" n="491"/><lb n="ppo_491.001"/> des Stoffes, eben so frei, wie über den <lb n="ppo_491.002"/>Kreis des Wirklichen gebietet. Die reichste Quelle <lb n="ppo_491.003"/>und die ansprechendste Form des Mährchens ist das <lb n="ppo_491.004"/>sogenannte <hi rendition="#g">Volksmährchen,</hi> wo der Stoff der <lb n="ppo_491.005"/>Darstellung aus dem einheimischen Sagenkreise des <lb n="ppo_491.006"/>vaterländischen Volkes entlehnt ist.</p>
          <lb n="ppo_491.007"/>
          <p>  Die <hi rendition="#g">Novelle</hi> ist an sich ein abgekürzter Roman, <lb n="ppo_491.008"/>oft selbst im metrischen Gewande. Jn dem <lb n="ppo_491.009"/>Worte selbst liegt kein, seinem Wesen nach von der <lb n="ppo_491.010"/>allgemeinen Bezeichnung des Romans abweichender, <lb n="ppo_491.011"/>Begriff; allein nach den ästhetischen Erzeugnissen <lb n="ppo_491.012"/>zu urtheilen, die unter dem Namen der Novelle <lb n="ppo_491.013"/>sich ankündigen, verstehen die Dichter derselben <lb n="ppo_491.014"/>solche romantische, bald kürzere, bald längere, Erzählungen, <lb n="ppo_491.015"/>in welchen die dargestellten Jndividuen <lb n="ppo_491.016"/>unter sehr verschiedenartigen Verhältnissen des Lebens <lb n="ppo_491.017"/>und nach einem oft räthselhaften Gange ihres <lb n="ppo_491.018"/>Schicksals erscheinen. Wenn die Erfinder der Novellen, <lb n="ppo_491.019"/>die Spanier und Jtaliener, zunächst unter <lb n="ppo_491.020"/>diesem Namen scherzhafte Liebesabenteuer schilderten; <lb n="ppo_491.021"/>so haben die Teutschen diesen Namen im weitern <lb n="ppo_491.022"/>Sinne gebraucht, und nicht selten ernsthafte und <lb n="ppo_491.023"/>sentimentale Kunstformen unter dieselbe Bezeichnung <lb n="ppo_491.024"/>gebracht.</p>
        </div>
        <div n="2">
          <lb n="ppo_491.025"/>
          <head> <hi rendition="#c">77. <lb n="ppo_491.026"/><hi rendition="#aq">i</hi>) <hi rendition="#g">Das Sinngedicht und Epigramm.</hi></hi> </head>
          <lb n="ppo_491.027"/>
          <p>  Die Benennung und Form des Epigramms ist <lb n="ppo_491.028"/>griechischen Ursprungs; es enthielt eine sinnvolle <lb n="ppo_491.029"/>kurze Ueberschrift oder Aufschrift auf Tempeln, Gebäuden, <lb n="ppo_491.030"/>Kunstwerken u. s. w. &#x2014; Jn der neuern <lb n="ppo_491.031"/>Dichtkunst beruht der Charakter des Epigramms auf <lb n="ppo_491.032"/>der Versinnlichung Eines hervorstechenden Gedankens, <lb n="ppo_491.033"/>in der möglichst kleinsten, aber ästhetisch vollendeten
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[491/0503] ppo_491.001 des Stoffes, eben so frei, wie über den ppo_491.002 Kreis des Wirklichen gebietet. Die reichste Quelle ppo_491.003 und die ansprechendste Form des Mährchens ist das ppo_491.004 sogenannte Volksmährchen, wo der Stoff der ppo_491.005 Darstellung aus dem einheimischen Sagenkreise des ppo_491.006 vaterländischen Volkes entlehnt ist. ppo_491.007 Die Novelle ist an sich ein abgekürzter Roman, ppo_491.008 oft selbst im metrischen Gewande. Jn dem ppo_491.009 Worte selbst liegt kein, seinem Wesen nach von der ppo_491.010 allgemeinen Bezeichnung des Romans abweichender, ppo_491.011 Begriff; allein nach den ästhetischen Erzeugnissen ppo_491.012 zu urtheilen, die unter dem Namen der Novelle ppo_491.013 sich ankündigen, verstehen die Dichter derselben ppo_491.014 solche romantische, bald kürzere, bald längere, Erzählungen, ppo_491.015 in welchen die dargestellten Jndividuen ppo_491.016 unter sehr verschiedenartigen Verhältnissen des Lebens ppo_491.017 und nach einem oft räthselhaften Gange ihres ppo_491.018 Schicksals erscheinen. Wenn die Erfinder der Novellen, ppo_491.019 die Spanier und Jtaliener, zunächst unter ppo_491.020 diesem Namen scherzhafte Liebesabenteuer schilderten; ppo_491.021 so haben die Teutschen diesen Namen im weitern ppo_491.022 Sinne gebraucht, und nicht selten ernsthafte und ppo_491.023 sentimentale Kunstformen unter dieselbe Bezeichnung ppo_491.024 gebracht. ppo_491.025 77. ppo_491.026 i) Das Sinngedicht und Epigramm. ppo_491.027 Die Benennung und Form des Epigramms ist ppo_491.028 griechischen Ursprungs; es enthielt eine sinnvolle ppo_491.029 kurze Ueberschrift oder Aufschrift auf Tempeln, Gebäuden, ppo_491.030 Kunstwerken u. s. w. — Jn der neuern ppo_491.031 Dichtkunst beruht der Charakter des Epigramms auf ppo_491.032 der Versinnlichung Eines hervorstechenden Gedankens, ppo_491.033 in der möglichst kleinsten, aber ästhetisch vollendeten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/503
Zitationshilfe: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig: Das Gesamtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt. Dritter Band: Sprache der Dichtkunst. Leipzig, 1825, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/poelitz_poetik_1825/503>, abgerufen am 17.05.2024.