Poersch, Bruno: Woran krankt die deutsche Gewerkschaftsbewegung? Berlin, 1897.liegt die Sache in Organisationen mit Arbeitslosen-Unterstützung. liegt die Sache in Organiſationen mit Arbeitsloſen-Unterſtützung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0029" n="21"/> liegt die Sache in Organiſationen mit Arbeitsloſen-Unterſtützung.<lb/> Die Lohn- und Arbeitsbedingungen bewegen ſich hier nicht im<lb/> Kreiſe, ſondern durchgängig auf aufſteigender Skala. Warum?<lb/> Weil die Arbeitenden durch die <hi rendition="#g">Arbeitsloſen-Unter¬<lb/> ſtützung</hi> gegen beabſichtigte Reduzirungen ſich <hi rendition="#g">erfolgreich<lb/> wehren können</hi>; weil ferner die <hi rendition="#g">Arbeitsloſen</hi> in <hi rendition="#g">Folge</hi> der<lb/><hi rendition="#g">Arbeitsloſen-Unterſtützung</hi> nicht zu <hi rendition="#g">jedem Preis an¬<lb/> fangen werden</hi>. — Denn in Organiſationen mit Arbeitsloſen-<lb/> Unterſtützung erlangt die Organiſation eine viel größere Macht<lb/> gegenüber den einzelnen Mitgliedern; ſie kann dieſelben zwingen,<lb/> die gefaßten Beſchlüſſe zur Durchführung zu bringen und ſie ein¬<lb/> zuhalten, was in Organiſationen ohne Arbeitsloſen-Unterſtützung<lb/> ſo gut wie nicht der Fall iſt. Letztere Vereinigungen haben zur<lb/> Durchführung und Einhaltung gefaßter Beſchlüſſe nur das<lb/> Mittel des <hi rendition="#g">moraliſchen</hi> Drucks zur Verfügung, während die<lb/> Organiſationen mit Arbeitsloſen- und anderen Unterſtützungen<lb/> auch einen gewiſſen <hi rendition="#g">materiellen</hi> Druck auf ihre Mitglieder aus¬<lb/> üben können. Verſucht der Unternehmer die Löhne zu reduziren<lb/> oder andere Verſchlechterungen vorzunehmen, ſo wird der Ar¬<lb/> beiter, der Arbeitsloſen-Unterſtützung erhält, wenn er ſich nicht<lb/> ſelbſt dagegen wehrt, von ſeiner Organiſation gezwungen, da¬<lb/> gegen Front zu machen, ſonſt wird er — natürlich immer vor¬<lb/> ausgeſetzt, daß ſeine Berufsvereinigung beſtimmte Lohnſätze ꝛc.<lb/> feſtgeſetzt hat — ausgeſchloſſen, was für ihn mit <hi rendition="#g">materiellem</hi><lb/> Schaden verbunden iſt, da dann alle ſeine langjährig erworbenen<lb/> Rechte zum Teufel gehen. Der reine <hi rendition="#g">moraliſche</hi> Druck kann<lb/> nie in demſelben Maaße eine Wirkung ausüben, da er zum Theil<lb/> durch Noth und Elend beſeitigt wird und an den wenig feſten<lb/> Charakteren ſcheitert. — Daher finden wir auch, daß ſtabile Or¬<lb/> ganiſationen mit Arbeitsloſen-Unterſtützung ein großes Augen¬<lb/> merk auf die Einhaltung gefaßter Beſchlüſſe und erzielter Er¬<lb/> rungenſchaften richten, wählend die Organiſationen ohne Arbeits¬<lb/> loſen-Unterſtützung dieſes meiſtens nicht thun und in Folge der<lb/> geſchilderten Umſtände nicht thun können und ſtillſchweigend,<lb/> ohnmächtig zuſehen müſſen, wie die Beſchlüſſe und Abmachungen<lb/> nicht eingehalten werden. — Dann ferner wird der Arbeitsloſe<lb/> — wie bereits betont — nicht zu jedem Preis anfangen, weil<lb/> er vor der größten Noth gleichſam geſchützt iſt, und auch nicht<lb/> anfangen dürfen aus den ſchon vorher angeführten Gründen. —<lb/> So iſt alſo die Arbeitsloſen-Unterſtützung im Stande, die Ar¬<lb/> beitskraft reſp. den Preis der Waare Arbeitskraft indirekt zu<lb/> beeinfluſſen und erweiſt ſich daher als ein vorzügliches Kampfes¬<lb/> mittel zur Verbeſſerung der Lebenslage des Proletariats. — Die<lb/> Geſchichtsſchreiber der engliſchen Gewerkſchaftsbewegung betonen<lb/> daher auch, daß eines der wichtigſten und wirkſamſten Mittel der<lb/> beſſeren Organiſationen zur indirekten Beeinfluſſung des Arbeits¬<lb/> marktes und zur Verhütung von Lohnreduktionen die Unter¬<lb/> ſtützung der Arbeitsloſen ſei. — Obgleich die Richtigkeit meiner<lb/> Ausführungen für jeden Denkenden ſelbſtverſtändlich ſein muß,<lb/> will ich doch noch einen Beweis für dieſelben anführen. — Der<lb/> Vorſtand des Verbandes der deutſchen Handſchuhmacher theilte z. B.<lb/> der General-Kommiſſion der Gewerkſchaften Deutſchlands im<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [21/0029]
liegt die Sache in Organiſationen mit Arbeitsloſen-Unterſtützung.
Die Lohn- und Arbeitsbedingungen bewegen ſich hier nicht im
Kreiſe, ſondern durchgängig auf aufſteigender Skala. Warum?
Weil die Arbeitenden durch die Arbeitsloſen-Unter¬
ſtützung gegen beabſichtigte Reduzirungen ſich erfolgreich
wehren können; weil ferner die Arbeitsloſen in Folge der
Arbeitsloſen-Unterſtützung nicht zu jedem Preis an¬
fangen werden. — Denn in Organiſationen mit Arbeitsloſen-
Unterſtützung erlangt die Organiſation eine viel größere Macht
gegenüber den einzelnen Mitgliedern; ſie kann dieſelben zwingen,
die gefaßten Beſchlüſſe zur Durchführung zu bringen und ſie ein¬
zuhalten, was in Organiſationen ohne Arbeitsloſen-Unterſtützung
ſo gut wie nicht der Fall iſt. Letztere Vereinigungen haben zur
Durchführung und Einhaltung gefaßter Beſchlüſſe nur das
Mittel des moraliſchen Drucks zur Verfügung, während die
Organiſationen mit Arbeitsloſen- und anderen Unterſtützungen
auch einen gewiſſen materiellen Druck auf ihre Mitglieder aus¬
üben können. Verſucht der Unternehmer die Löhne zu reduziren
oder andere Verſchlechterungen vorzunehmen, ſo wird der Ar¬
beiter, der Arbeitsloſen-Unterſtützung erhält, wenn er ſich nicht
ſelbſt dagegen wehrt, von ſeiner Organiſation gezwungen, da¬
gegen Front zu machen, ſonſt wird er — natürlich immer vor¬
ausgeſetzt, daß ſeine Berufsvereinigung beſtimmte Lohnſätze ꝛc.
feſtgeſetzt hat — ausgeſchloſſen, was für ihn mit materiellem
Schaden verbunden iſt, da dann alle ſeine langjährig erworbenen
Rechte zum Teufel gehen. Der reine moraliſche Druck kann
nie in demſelben Maaße eine Wirkung ausüben, da er zum Theil
durch Noth und Elend beſeitigt wird und an den wenig feſten
Charakteren ſcheitert. — Daher finden wir auch, daß ſtabile Or¬
ganiſationen mit Arbeitsloſen-Unterſtützung ein großes Augen¬
merk auf die Einhaltung gefaßter Beſchlüſſe und erzielter Er¬
rungenſchaften richten, wählend die Organiſationen ohne Arbeits¬
loſen-Unterſtützung dieſes meiſtens nicht thun und in Folge der
geſchilderten Umſtände nicht thun können und ſtillſchweigend,
ohnmächtig zuſehen müſſen, wie die Beſchlüſſe und Abmachungen
nicht eingehalten werden. — Dann ferner wird der Arbeitsloſe
— wie bereits betont — nicht zu jedem Preis anfangen, weil
er vor der größten Noth gleichſam geſchützt iſt, und auch nicht
anfangen dürfen aus den ſchon vorher angeführten Gründen. —
So iſt alſo die Arbeitsloſen-Unterſtützung im Stande, die Ar¬
beitskraft reſp. den Preis der Waare Arbeitskraft indirekt zu
beeinfluſſen und erweiſt ſich daher als ein vorzügliches Kampfes¬
mittel zur Verbeſſerung der Lebenslage des Proletariats. — Die
Geſchichtsſchreiber der engliſchen Gewerkſchaftsbewegung betonen
daher auch, daß eines der wichtigſten und wirkſamſten Mittel der
beſſeren Organiſationen zur indirekten Beeinfluſſung des Arbeits¬
marktes und zur Verhütung von Lohnreduktionen die Unter¬
ſtützung der Arbeitsloſen ſei. — Obgleich die Richtigkeit meiner
Ausführungen für jeden Denkenden ſelbſtverſtändlich ſein muß,
will ich doch noch einen Beweis für dieſelben anführen. — Der
Vorſtand des Verbandes der deutſchen Handſchuhmacher theilte z. B.
der General-Kommiſſion der Gewerkſchaften Deutſchlands im
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