oder gar zanken könne, war ganz unmöglich, sich vorzu¬ stellen.
Aber es war so furchtbar schwer, den Anfang zu finden. Es klang so entsetzlich, ein solches Geständnis. Pauline dachte wie oft: jetzt wirst Du's sagen! sobald Ida einen Satz zu Ende gesprochen. Und sie verschob es doch wieder. So ging es eine ganze Weile fort, das Mädchen begriff immer deut¬ licher, daß sie fortgehen würde von hier, ohne ihr Herz er¬ leichtert zu haben.
Ida begann davon zu sprechen, daß sie es nicht zu be¬ greifen vermöge, wie eine Mutter ihr Kind von sich lassen und einer Fremden zur Pflege übergeben könne. Sie fragte Pauline, was denn die Mutter dieses Kindes für eine Frau sei, daß sie so etwas über's Herz gebracht habe.
Da fühlte Pauline, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, zu sprechen. Mit kaum vernehmlicher Stimme kamen die paar Worte heraus, die der andern alles sagten.
Ida verlor für einen Augenblick die Fassung. Da merkte man auf einmal, was für leidenschaftlich jähes Frauengefühl unter dieser Decke von guter Erziehung und jahrelanger Ge¬ wöhnung verborgen lag. Sie war aufgesprungen von ihrem Sitze, stand da bis in die Lippen erblaßt, die Hand aufge¬ stemmt auf die Tischkante mit den Knöcheln, atmete schwer und hastig, und die weiße Hand zitterte.
Keines sprach ein Wort. Pauline saß vor Ida, gesenkten Hauptes und blickte in den Schoß. Ida betrachtete diese Gestalt mit eigenartig leuchtenden Augen. Einen Augenblick kam es wie ein herber, selbstgerechter Zug in ihr Gesicht. Ihre Nasenflügel flogen, die Lippen schürzten sich verächtlich. Jetzt war sie das hochfahrende Edelfräulein, das die ver¬ worfene Bauernmagd richten wollte.
Aber das war schnell verschwunden. Thränen traten ihr auf einmal in die Augen, um die Mundwinkel zuckte es. Mitleid war es nun, was aus jedem Zuge sprach, Mitleid mit Pauline, Mitleid mit sich selbst, mit ihrem ganzen Ge¬ schlecht.
oder gar zanken könne, war ganz unmöglich, ſich vorzu¬ ſtellen.
Aber es war ſo furchtbar ſchwer, den Anfang zu finden. Es klang ſo entſetzlich, ein ſolches Geſtändnis. Pauline dachte wie oft: jetzt wirſt Du's ſagen! ſobald Ida einen Satz zu Ende geſprochen. Und ſie verſchob es doch wieder. So ging es eine ganze Weile fort, das Mädchen begriff immer deut¬ licher, daß ſie fortgehen würde von hier, ohne ihr Herz er¬ leichtert zu haben.
Ida begann davon zu ſprechen, daß ſie es nicht zu be¬ greifen vermöge, wie eine Mutter ihr Kind von ſich laſſen und einer Fremden zur Pflege übergeben könne. Sie fragte Pauline, was denn die Mutter dieſes Kindes für eine Frau ſei, daß ſie ſo etwas über's Herz gebracht habe.
Da fühlte Pauline, daß jetzt der Augenblick gekommen ſei, zu ſprechen. Mit kaum vernehmlicher Stimme kamen die paar Worte heraus, die der andern alles ſagten.
Ida verlor für einen Augenblick die Faſſung. Da merkte man auf einmal, was für leidenſchaftlich jähes Frauengefühl unter dieſer Decke von guter Erziehung und jahrelanger Ge¬ wöhnung verborgen lag. Sie war aufgeſprungen von ihrem Sitze, ſtand da bis in die Lippen erblaßt, die Hand aufge¬ ſtemmt auf die Tiſchkante mit den Knöcheln, atmete ſchwer und haſtig, und die weiße Hand zitterte.
Keines ſprach ein Wort. Pauline ſaß vor Ida, geſenkten Hauptes und blickte in den Schoß. Ida betrachtete dieſe Geſtalt mit eigenartig leuchtenden Augen. Einen Augenblick kam es wie ein herber, ſelbſtgerechter Zug in ihr Geſicht. Ihre Naſenflügel flogen, die Lippen ſchürzten ſich verächtlich. Jetzt war ſie das hochfahrende Edelfräulein, das die ver¬ worfene Bauernmagd richten wollte.
Aber das war ſchnell verſchwunden. Thränen traten ihr auf einmal in die Augen, um die Mundwinkel zuckte es. Mitleid war es nun, was aus jedem Zuge ſprach, Mitleid mit Pauline, Mitleid mit ſich ſelbſt, mit ihrem ganzen Ge¬ ſchlecht.
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[104/0118]
oder gar zanken könne, war ganz unmöglich, ſich vorzu¬
ſtellen.
Aber es war ſo furchtbar ſchwer, den Anfang zu finden.
Es klang ſo entſetzlich, ein ſolches Geſtändnis. Pauline dachte
wie oft: jetzt wirſt Du's ſagen! ſobald Ida einen Satz zu
Ende geſprochen. Und ſie verſchob es doch wieder. So ging
es eine ganze Weile fort, das Mädchen begriff immer deut¬
licher, daß ſie fortgehen würde von hier, ohne ihr Herz er¬
leichtert zu haben.
Ida begann davon zu ſprechen, daß ſie es nicht zu be¬
greifen vermöge, wie eine Mutter ihr Kind von ſich laſſen
und einer Fremden zur Pflege übergeben könne. Sie fragte
Pauline, was denn die Mutter dieſes Kindes für eine Frau
ſei, daß ſie ſo etwas über's Herz gebracht habe.
Da fühlte Pauline, daß jetzt der Augenblick gekommen ſei,
zu ſprechen. Mit kaum vernehmlicher Stimme kamen die paar
Worte heraus, die der andern alles ſagten.
Ida verlor für einen Augenblick die Faſſung. Da merkte
man auf einmal, was für leidenſchaftlich jähes Frauengefühl
unter dieſer Decke von guter Erziehung und jahrelanger Ge¬
wöhnung verborgen lag. Sie war aufgeſprungen von ihrem
Sitze, ſtand da bis in die Lippen erblaßt, die Hand aufge¬
ſtemmt auf die Tiſchkante mit den Knöcheln, atmete ſchwer und
haſtig, und die weiße Hand zitterte.
Keines ſprach ein Wort. Pauline ſaß vor Ida, geſenkten
Hauptes und blickte in den Schoß. Ida betrachtete dieſe
Geſtalt mit eigenartig leuchtenden Augen. Einen Augenblick
kam es wie ein herber, ſelbſtgerechter Zug in ihr Geſicht.
Ihre Naſenflügel flogen, die Lippen ſchürzten ſich verächtlich.
Jetzt war ſie das hochfahrende Edelfräulein, das die ver¬
worfene Bauernmagd richten wollte.
Aber das war ſchnell verſchwunden. Thränen traten ihr
auf einmal in die Augen, um die Mundwinkel zuckte es.
Mitleid war es nun, was aus jedem Zuge ſprach, Mitleid
mit Pauline, Mitleid mit ſich ſelbſt, mit ihrem ganzen Ge¬
ſchlecht.
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/118>, abgerufen am 23.11.2024.
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