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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895.

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Mutter gegenüber den Schein der Gleichgiltigkeit aufrecht
zu halten.

Nichtsdestoweniger besorgte sie alles, schaffte und ordnete,
wie sie es jeden Abend zu thun gewohnt war. Aber als sie
allein war in der Kammer bei dem schlafenden Kinde, brach
der zurückgehaltene Jammer aus.

Sie saß auf der Kante ihres Bettes. Die Thränen liefen
ihr über die Wangen, unaufhörlich. Daß er ihr das anthun
konnte! Er war im Dorfe! Seit dem frühen Morgen schon war
er da, und zu ihr hatte er den Weg noch nicht gefunden. So
wenig hielt er auf sie, so wenig bedeutete sie für ihn. Das
hatte sie nicht verdient um ihn! --

So saß sie stundenlang. Das Kind störte sie nicht.
Ruhig lag der Junge in seinem Korbe, mit den gleichmäßig
leichten Atemzügen des gesunden Kinderschlummers. Die Kälte,
welche von allen Seiten eindrang in die Kammer, seit im
Nebenraum das Feuer ausgegangen war, fühlte sie kaum.
Ihr Blick war durch die kleinen Scheiben des Schiebefensterchens
hinaus gerichtet in den Garten, der in hellem Mondschein
lag, wie ein Tuch. Die alten Obstbäume zeichneten mit
ihren krüppeligen Ästen verzwickte Schattenbilder darauf. Wie
oft in früheren Zeiten hatte sie hier so gesessen, klopfenden
Herzens in die Nacht hinein wartend, ob er wohl kommen
werde. Sie dachte an jenes erste Mal, wo er vor ihrem
Fenster gestanden. In einer warmen Juninacht war es ge¬
wesen; nur seinen Kuß hatte sie bis dahin gekannt. Wie er sie
da um Einlaß gebeten! welche Worte er da gehabt hatte! welche
Gebete und Schwüre! --

Und jetzt, nachdem sie ihm alles gestattet, alles gegeben,
was sie hatte, nachdem sie ihm ein Kind geboren und ihm
durch schwere Zeiten hindurch die Treue gehalten, jetzt brachte
er es über sich, nach langer Trennung, einen ganzen Tag im
Dorfe zu sein und nicht zu ihr zu kommen.

Die Uhr schlug zehn Uhr vom Kirchturme. Sie starrte
noch immer in den Garten. Ihre Thränen waren versiegt.
Eine Art von Kälte war auch über ihre Seele gekommen.

Mutter gegenüber den Schein der Gleichgiltigkeit aufrecht
zu halten.

Nichtsdeſtoweniger beſorgte ſie alles, ſchaffte und ordnete,
wie ſie es jeden Abend zu thun gewohnt war. Aber als ſie
allein war in der Kammer bei dem ſchlafenden Kinde, brach
der zurückgehaltene Jammer aus.

Sie ſaß auf der Kante ihres Bettes. Die Thränen liefen
ihr über die Wangen, unaufhörlich. Daß er ihr das anthun
konnte! Er war im Dorfe! Seit dem frühen Morgen ſchon war
er da, und zu ihr hatte er den Weg noch nicht gefunden. So
wenig hielt er auf ſie, ſo wenig bedeutete ſie für ihn. Das
hatte ſie nicht verdient um ihn! —

So ſaß ſie ſtundenlang. Das Kind ſtörte ſie nicht.
Ruhig lag der Junge in ſeinem Korbe, mit den gleichmäßig
leichten Atemzügen des geſunden Kinderſchlummers. Die Kälte,
welche von allen Seiten eindrang in die Kammer, ſeit im
Nebenraum das Feuer ausgegangen war, fühlte ſie kaum.
Ihr Blick war durch die kleinen Scheiben des Schiebefenſterchens
hinaus gerichtet in den Garten, der in hellem Mondſchein
lag, wie ein Tuch. Die alten Obſtbäume zeichneten mit
ihren krüppeligen Äſten verzwickte Schattenbilder darauf. Wie
oft in früheren Zeiten hatte ſie hier ſo geſeſſen, klopfenden
Herzens in die Nacht hinein wartend, ob er wohl kommen
werde. Sie dachte an jenes erſte Mal, wo er vor ihrem
Fenſter geſtanden. In einer warmen Juninacht war es ge¬
weſen; nur ſeinen Kuß hatte ſie bis dahin gekannt. Wie er ſie
da um Einlaß gebeten! welche Worte er da gehabt hatte! welche
Gebete und Schwüre! —

Und jetzt, nachdem ſie ihm alles geſtattet, alles gegeben,
was ſie hatte, nachdem ſie ihm ein Kind geboren und ihm
durch ſchwere Zeiten hindurch die Treue gehalten, jetzt brachte
er es über ſich, nach langer Trennung, einen ganzen Tag im
Dorfe zu ſein und nicht zu ihr zu kommen.

Die Uhr ſchlug zehn Uhr vom Kirchturme. Sie ſtarrte
noch immer in den Garten. Ihre Thränen waren verſiegt.
Eine Art von Kälte war auch über ihre Seele gekommen.

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[141/0155] Mutter gegenüber den Schein der Gleichgiltigkeit aufrecht zu halten. Nichtsdeſtoweniger beſorgte ſie alles, ſchaffte und ordnete, wie ſie es jeden Abend zu thun gewohnt war. Aber als ſie allein war in der Kammer bei dem ſchlafenden Kinde, brach der zurückgehaltene Jammer aus. Sie ſaß auf der Kante ihres Bettes. Die Thränen liefen ihr über die Wangen, unaufhörlich. Daß er ihr das anthun konnte! Er war im Dorfe! Seit dem frühen Morgen ſchon war er da, und zu ihr hatte er den Weg noch nicht gefunden. So wenig hielt er auf ſie, ſo wenig bedeutete ſie für ihn. Das hatte ſie nicht verdient um ihn! — So ſaß ſie ſtundenlang. Das Kind ſtörte ſie nicht. Ruhig lag der Junge in ſeinem Korbe, mit den gleichmäßig leichten Atemzügen des geſunden Kinderſchlummers. Die Kälte, welche von allen Seiten eindrang in die Kammer, ſeit im Nebenraum das Feuer ausgegangen war, fühlte ſie kaum. Ihr Blick war durch die kleinen Scheiben des Schiebefenſterchens hinaus gerichtet in den Garten, der in hellem Mondſchein lag, wie ein Tuch. Die alten Obſtbäume zeichneten mit ihren krüppeligen Äſten verzwickte Schattenbilder darauf. Wie oft in früheren Zeiten hatte ſie hier ſo geſeſſen, klopfenden Herzens in die Nacht hinein wartend, ob er wohl kommen werde. Sie dachte an jenes erſte Mal, wo er vor ihrem Fenſter geſtanden. In einer warmen Juninacht war es ge¬ weſen; nur ſeinen Kuß hatte ſie bis dahin gekannt. Wie er ſie da um Einlaß gebeten! welche Worte er da gehabt hatte! welche Gebete und Schwüre! — Und jetzt, nachdem ſie ihm alles geſtattet, alles gegeben, was ſie hatte, nachdem ſie ihm ein Kind geboren und ihm durch ſchwere Zeiten hindurch die Treue gehalten, jetzt brachte er es über ſich, nach langer Trennung, einen ganzen Tag im Dorfe zu ſein und nicht zu ihr zu kommen. Die Uhr ſchlug zehn Uhr vom Kirchturme. Sie ſtarrte noch immer in den Garten. Ihre Thränen waren verſiegt. Eine Art von Kälte war auch über ihre Seele gekommen.

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Zitationshilfe: Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/155>, abgerufen am 27.11.2024.