hoher, dünner Greisenstimme schauerliche Geschichten zu erzählen, von der Franzosenzeit und der Kosackeneinquartierung.
Leberecht Büttner verstand es, die neugewonnene Unab¬ hängigkeit, mit der sein Vater nichts anzufangen gewußt hatte, vortrefflich auszunutzen. Der Aufschwung, den die Landwirt¬ schaft zu Anfang des Jahrhunderts genommen, die Erkennt¬ nis der Bodenpflege, die veränderte Fruchtfolge, die Bekannt¬ schaft mit neuen Kulturgewächsen, begann langsam durch¬ zusickern und verdrängte allmählich auch in diesem entlegenen Winkel die veraltete Wirtschaftsweise der Väter. Durch die Aufteilung der Gemeindeweide und die Einschränkung des Vieh¬ treibens und der Streunutzung im Walde wurde der Bauer, selbst wenn er widerwillig war, zu vernünftigerem Wirtschaften gezwungen.
An Stelle der Weide trat der Stall, dadurch wurde der bisher verschleppte Mist für die Felddüngung gewonnen. Man mußte Futterkräuter anbauen und mit der Brachenwirtschaft brechen. Hand in Hand damit ging die bessere Wiesenpflege und die Tiefkultur.
Leberecht Büttner war der erste Bauer in Halbenau, welcher mit der Dreifelderwirtschaft brach. Er baute eine massive Düngergrube auf seinem Hofe und führte regelmäßige Stallfütterung ein für das Vieh; trotzdem konnte man ihm nicht vorwerfen, daß er neuerungssüchtig sei. Von dem zäh¬ konservativen Bauernsinne hatte er sich den besten Teil be¬ wahrt: wohlüberlegtes Maßhalten. Er überstürzte nichts, auch nicht das Gute. Seine Bauernschlauheit riet ihm, zu beobachten und abzuwarten, andere die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, nichts bei sich einzuführen, was nicht bereits erprobt war, vorsichtig ein Stück hinter der Reihe der Pioniere zu marschieren. Behutsam und mit Vorbedacht ging dieser Neuerer zu Werke. Er begnügte sich mit dem Sperling in der Hand und überließ es anderen, nach der Taube auf dem Dache Jagd zu machen.
Dabei war ihm das Glück günstig. Die jahrzehntelang gedrückten Getreidepreise begannen auf einmal zu steigen. Der
hoher, dünner Greiſenſtimme ſchauerliche Geſchichten zu erzählen, von der Franzoſenzeit und der Koſackeneinquartierung.
Leberecht Büttner verſtand es, die neugewonnene Unab¬ hängigkeit, mit der ſein Vater nichts anzufangen gewußt hatte, vortrefflich auszunutzen. Der Aufſchwung, den die Landwirt¬ ſchaft zu Anfang des Jahrhunderts genommen, die Erkennt¬ nis der Bodenpflege, die veränderte Fruchtfolge, die Bekannt¬ ſchaft mit neuen Kulturgewächſen, begann langſam durch¬ zuſickern und verdrängte allmählich auch in dieſem entlegenen Winkel die veraltete Wirtſchaftsweiſe der Väter. Durch die Aufteilung der Gemeindeweide und die Einſchränkung des Vieh¬ treibens und der Streunutzung im Walde wurde der Bauer, ſelbſt wenn er widerwillig war, zu vernünftigerem Wirtſchaften gezwungen.
An Stelle der Weide trat der Stall, dadurch wurde der bisher verſchleppte Miſt für die Felddüngung gewonnen. Man mußte Futterkräuter anbauen und mit der Brachenwirtſchaft brechen. Hand in Hand damit ging die beſſere Wieſenpflege und die Tiefkultur.
Leberecht Büttner war der erſte Bauer in Halbenau, welcher mit der Dreifelderwirtſchaft brach. Er baute eine maſſive Düngergrube auf ſeinem Hofe und führte regelmäßige Stallfütterung ein für das Vieh; trotzdem konnte man ihm nicht vorwerfen, daß er neuerungsſüchtig ſei. Von dem zäh¬ konſervativen Bauernſinne hatte er ſich den beſten Teil be¬ wahrt: wohlüberlegtes Maßhalten. Er überſtürzte nichts, auch nicht das Gute. Seine Bauernſchlauheit riet ihm, zu beobachten und abzuwarten, andere die Kaſtanien aus dem Feuer holen zu laſſen, nichts bei ſich einzuführen, was nicht bereits erprobt war, vorſichtig ein Stück hinter der Reihe der Pioniere zu marſchieren. Behutſam und mit Vorbedacht ging dieſer Neuerer zu Werke. Er begnügte ſich mit dem Sperling in der Hand und überließ es anderen, nach der Taube auf dem Dache Jagd zu machen.
Dabei war ihm das Glück günſtig. Die jahrzehntelang gedrückten Getreidepreiſe begannen auf einmal zu ſteigen. Der
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hoher, dünner Greiſenſtimme ſchauerliche Geſchichten zu erzählen,
von der Franzoſenzeit und der Koſackeneinquartierung.
Leberecht Büttner verſtand es, die neugewonnene Unab¬
hängigkeit, mit der ſein Vater nichts anzufangen gewußt hatte,
vortrefflich auszunutzen. Der Aufſchwung, den die Landwirt¬
ſchaft zu Anfang des Jahrhunderts genommen, die Erkennt¬
nis der Bodenpflege, die veränderte Fruchtfolge, die Bekannt¬
ſchaft mit neuen Kulturgewächſen, begann langſam durch¬
zuſickern und verdrängte allmählich auch in dieſem entlegenen
Winkel die veraltete Wirtſchaftsweiſe der Väter. Durch die
Aufteilung der Gemeindeweide und die Einſchränkung des Vieh¬
treibens und der Streunutzung im Walde wurde der Bauer,
ſelbſt wenn er widerwillig war, zu vernünftigerem Wirtſchaften
gezwungen.
An Stelle der Weide trat der Stall, dadurch wurde der
bisher verſchleppte Miſt für die Felddüngung gewonnen. Man
mußte Futterkräuter anbauen und mit der Brachenwirtſchaft
brechen. Hand in Hand damit ging die beſſere Wieſenpflege
und die Tiefkultur.
Leberecht Büttner war der erſte Bauer in Halbenau,
welcher mit der Dreifelderwirtſchaft brach. Er baute eine
maſſive Düngergrube auf ſeinem Hofe und führte regelmäßige
Stallfütterung ein für das Vieh; trotzdem konnte man ihm
nicht vorwerfen, daß er neuerungsſüchtig ſei. Von dem zäh¬
konſervativen Bauernſinne hatte er ſich den beſten Teil be¬
wahrt: wohlüberlegtes Maßhalten. Er überſtürzte nichts, auch
nicht das Gute. Seine Bauernſchlauheit riet ihm, zu beobachten
und abzuwarten, andere die Kaſtanien aus dem Feuer holen
zu laſſen, nichts bei ſich einzuführen, was nicht bereits erprobt
war, vorſichtig ein Stück hinter der Reihe der Pioniere zu
marſchieren. Behutſam und mit Vorbedacht ging dieſer Neuerer
zu Werke. Er begnügte ſich mit dem Sperling in der Hand
und überließ es anderen, nach der Taube auf dem Dache Jagd
zu machen.
Dabei war ihm das Glück günſtig. Die jahrzehntelang
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Polenz, Wilhelm von: Der Büttnerbauer. Berlin, 1895, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/polenz_buettnerbauer_1895/170>, abgerufen am 29.11.2024.
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